"So guet!", dieses Cover, war meine erste Reaktion auf diesen schön gestalten (abgerundete Coverecken und Inhaltsseiten sowie Fadenheftung) Band und es dauerte eine ganze Weile, bis ich meinen Blick wieder von dem Porträt auf dem Umschlag lösen konnte. Ja, je länger ich hinschaute, desto fasziniernder fand ich dieses Bild – sowohl die Komposition als auch die Kleidung und den Blick des jungen Mannes.
Markus Schüpf vom Fotobüro Bern, dem dieser Band zu verdanken ist, hat sich für eine Gliederung in Ortsbilder, Landleben, Augenblicke, Werken, Kohle und Fernab entschieden. Als ich mir die Bilder zum ersten Mal ansehe, denke ich bei den Ortsbildern ganz automatisch an appenzellische Wandteppiche (ich weiss zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Gondiswil im Kanton Bern liegt). Mit anderen Worten: Bildlegenden sind wichtig, möglichst aussagekräftige. "Kleines Mädchen mit Kuh, um 1925", die Legende, die der untenstehenden Aufnahme (dieses ganz wunderbare Foto allein lohnt den Kauf dieses Buches!) beigegeben ist, ist nicht nur (abgesehen vom Jahr) überflüssig, sondern fast schon absurd. Sicher, ich weiss, man arbeitet eben mit dem, was man vorgefunden hat und weiss eben häufig wenig bis gar nichts über die Entstehung der Aufnahmen ... Trotzdem: Bilder, die selbst erklärend sind, brauchen keine Legenden.
Markus Schüpf weist in seinem höchst anschaulichen und informativen Text unter anderem darauf hin, "dass bei Schär Hochzeitsfotografien vergleichweise rar sind. Offensichtlich nahmen die Gondiswiler dafür lieber die Dienste professioneller Fotografen in Anspruch. Rührend sind die Aufnahmen älterer Menschen und Paare sowie von kranken und beeinträchtigten Menschen. Will man den Zeitungsmeldungen glauben, die im 'Unteremmentaler' regelmässig erschienen, war Gondiswil ein Dorf mit besonders vielen teils hochbetagten Menschen. Schliesslich wurde Schär hin und wieder geholt, wenn es darum ging, Tote zu fotografieren."
Wie es bei Fotobüchern oft der Fall ist, so kann der Begleittext so recht eigentlich meist ohne die Bilder auskommen. Der Text liefert häufig nur den Kontext, ein direkter Bezug zu den einzelnen Bildern ist selten. So auch im vorliegenden Band, der allerdings einleitend erläutert, wie es zu diesem Buch gekommen ist. Das ist höchst verdienstvoll.
Fotos anzuschauen beziehungsweise Bilder zu lesen ist ein sehr subjektiver Vorgang. Damit er nicht nur subjektiv bleibt, braucht es möglichst viele Informationen zu den Bildern, den Verhältnissen der Zeit und zum Fotografen. Schär war um 1900 offenbar der häufigste Name in Gondiswil, weshalb man denn auch zu Übernamen griff, um die verschiedenen Schärs voneinander zu unterscheiden. Der Fotograf Johann Schär lief unter "Dängi Hannes", war ein einziger Sohn, der mit einer jüngeren und einer älteren Schwester zusammen auf dem elterlichen Hof aufwuchs. Wie sein Vater amtete er während vieler Jahre als Genossenschaftssekretär.
"Wie die meisten Dorf- und Wanderfotografen hatte sich Schär das Fotografieren weitgehend selbst beigebracht." Seinem Onkel sei ein friedfertiger Charakter eigen gewesen, schreibt Wilhelm Iff, was wahrlich eine gute Voraussetzung ist für einen Dorffotografen, der, wie ja auch der Lokaljournalist, ständig darauf bedacht sein muss, es sich mir den Leuten nicht zu verderben.
Bei den Porträts fällt nicht zuletzt auf, dass da kaum einmal jemand lacht oder lächelt. Man zeigt zwar stolz, was man hat, doch die heutzutage gängige Auffassung, dass das Leben fun zu sein habe, hat Gondiswil um 1900 eindeutig noch nicht erreicht.
Johann Schär, Dorffotograf, Gondiswil zeigt nicht nur, wie etwas einmal gewesen ist, sondern auch wie die Menschen sich damals dargestellt sehen wollten. Ein rundum gelungenes Zeitdokument!
Markus Schürpf
Johann Schär
Dorffotograf, Gondiswil
1855-1938
Limmat Verlag, Zürich 2017