Wednesday, 25 March 2020

Framing what pleases my eyes

Mishima, Japan, April 2019

What we can more or less decide in life is where to turn our attention to. Mine has shifted from what the media think is important to what I deem relevant — what I see, what I hear, and what I feel. Also: Don't get too attached, was one of the Buddhist lessons that I thought to have learned during my time in Thailand in the 1990s — only to forget it again.

After writing on photography for close to twenty years, I've started to regularly (almost daily) take pictures — and Dorothea Lange's "The camera is an instrument that teaches people how to see without a camera" took on yet another meaning. Nowadays, my interest is in the surface of things, in what pleases my eyes. Richard Rorty comes to mind who once penned: "Existence with all its horrors is endurable only as an aesthetic fact."

To photograph helps me to to see what is. Nothing has to be created, it only has to be looked at and framed. Really looking at something means to calmly let things be. As St. Francis of Assisi is reported to have said. "Wear the world as a loose garment, which touches us in a few places and there lightly."

Wednesday, 18 March 2020

Die Welt der Farben

Dieses Buch gehört so recht eigentlich allein schon des Buchumschlags wegen auf jeden Büchertisch. Autorin Kassia St Clair beschreibt es in ihrem Vorwort als den "Versuch eines geschichtlichen Überblicks verbunden mit einer Charakterstudie über die 73 Farbtöne, die mich am meisten fasziniert haben." Dabei versammelt sie auf höchst unterhaltsame Art und Weise ganz unterschiedliche Informationen, von der Medizin zur Geografie, von Geschichtlichem zur Materialkunde. Der Reiz dieses ganz wunderbaren Werkes beruht nicht zuletzt auf diesem Mix von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Kuriosem und Anekdoten.

Wie nehmen wir eigentlich Farben wahr? Von dem elektromagnetischen Wellenspektrum, das uns umgibt, ist nur ein kleiner Teil sichtbar. "Was wir wirklich sehen, wenn wir etwa eine reife Tomate oder grüne Farbe erblicken, ist Licht, das von der Oberfläche eines Objekts reflektiert wird." So saugt etwa die Haut der Tomate den Grossteil der kurzen und mittleren Wellenlängen auf, also Blautöne, Violett, Grün, Gelb und Orange, die Rottöne jedoch nicht. Diese treffen auf unsere Augen und werden vom Gehirn verarbeitet. "In gewisser Weise ist also die Farbe, die wir an einem Objekt wahrnehmen, genau die Farbe, die es nicht hat: nämlich der Teil des Spektrums, der wegreflektiert wird."

Die Welt der Farben klärt vielseitig auf. So lerne ich etwa, dass die Netzhaut, welche sich an der Innenseite des Augapfels befindet, voller lichtempfindlicher Sinneszellen ist. Davon sind etwa 120 Millionen, die Stäbchen genannt werden und zwischen hell und dunkel unterscheiden, und etwa sechs Millionen sogenannte Zäpfchen, die auf Farben reagieren. Auch erfahre ich, dass das Sprechen über Farben voller Tücken ist. "Kinder, die mühelos ein Dreieck von einem Viereck unterscheiden können, haben möglicherweise mit der Unterscheidung von Rosa, Rot und Orange zu kämpfen." Wie immer im Leben ist auch bei den Farben nichts so eindeutig wie wir automatisch annehmen.

À propos Orange: Der russische Maler Wassily Kandinski schrieb in "Über das Geistige in der Kunst" Orange sei einem "von seinen Kräften überzeugten Menschen ähnlich" und Kassia St Clair hat keinen Zweifel, dass Orange ein gewisses Selbstvertrauen entwickelt. Dann wird Orange aber auch verwendet, um auf mögliche Gefahr aufmerksam zu machen. Zudem: "Die Blackbox eines Flugzeugs, die die Fluginformationen aufzeichnet, ist ebenfalls orange, damit sie bei einem Absturz schneller lokalisiert werden kann."

Rosa für Mädchen, Blau für Jungs – so sieht man das überall. Würde man meinen. Doch die klare Rosa-Mädchen/Blau-Jungen Zuordnung ist erst Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden. Augenzwinkernd kommentierte ein Artikel aus dem Jahre 1893 in der New York Times: "Die Aussichten von Jungen sind so viel rosiger als die von Mädchen, dass es genügt, die Mädchen babyblau zu kleiden, um es auf das Leben als Frau vorzubereiten."

Dass die Farbwahrnehmung auch vom Zeitgeist abhängig ist, zeigt sich unter anderem beim Grün, das heutzutage oft mit umweltfreundlicher Politik in Zusammenhang gebracht wird, von dem jedoch zu Shakespeares Zeiten geglaubt wurde, es würde als Kostüm auf der Bühne getragen Unglück bringen. Kassia St Clair berichtet auch von der buddhistischen Fabel, gemäss welcher einem kleinen Jungen im Schlaf eine Gottheit erscheint, die ihn anweist, seine Augen zu schliessen und sich nicht Meeresgrün vorzustellen, damit sein grösster Wunsch in Erfüllung gehe. "Die Geschichte hat zwei mögliche Ausgänge: Bei dem einen gelingt es dem Jungen irgendwann, und er findet die Erleuchtung; bei dem anderen wird er so von seinem permanenten Scheitern zermürbt, dass ihm Leben und Verstand nach und nach entgleiten."

Bei Gold denke ich automatisch an ein Metall und nicht etwa an eine Farbe, obwohl es das natürlich auch ist. Sie gilt gleichzeitig als Farbe der Verehrung und als das Verehrte selbst, was auch auf seine Knappheit zurückzuführen ist. "Obwohl überall auf der Welt Goldminen gefunden wurden, hat der Goldrausch dazu geführt, dass sie schnell ausgeschöpft wurden. Europa verfügt über vergleichsweise wenig Goldvorkommen und war schon immer auf Gold aus Afrika und Asien angewiesen." Dass es in Asien Gold gibt, war mir nicht bekannt. Ich erinnere mich, auch gestaunt zu haben, als einige meiner Englisch-Studenten im argentinischen Mendoza für eine Goldschürffirma arbeiteten.

Es ist die faszinierende und beeindruckende Bandbreite an aufschlussreichem Wissen, die Kassia St Clair in Die Welt der Farben sehr unterhaltsam ausbreitet, die mich ganz unbedingt für dieses ungemein anregende Buch einnimmt.

Fazit: Ein Geniestreich!

Kassia St Clair
Die Welt der Farben
Atlantik, Hamburg 2019

Wednesday, 11 March 2020

In Gothenburg, Sweden

I only know that Gothenburg is by the sea when I arrive for a three-day-visit end of February. Apart from museums and the like (they are of no interest to me, they remind me of school), what would you recommend to go and see?, I ask at the reception of my centrally located hotel. The old town, I'm told, it is a twenty-minute walk. There is no such thing as an old town here, informs me a man on the street, only Stockholm has an old town. Two young women however suggest Haga, a part of town with lots of cafés. The cappuccino is excellent, and to my surprise, cheaper than in my native Switzerland.

I spend my short time in Gothenburg wandering through the streets. Wide avenues, generous space, impressive buildings, big squares, dominant architecture. For quite some time now, my camera is my treasured companion whenever I leave home – it has taught me to look, and increasingly I've started to see lots of things I've never had eyes for.
My walks lead me to an alternative culture centre, the port, various cafés. Also, I tried to practise what I had read on my flight – to replace my autopilot with being in the moment. Once again I failed miserably. Not only was I busily following the corona virus saga and got as usual angry at the media that reported what the loudmouth in the White House who doesn't know shit had said. I also didn't really want to let go of the various distractions my mind seems to like. Only twice was I fully in the Here & Now: When I suffered from a migraine sans migraine and was not able to see properly for around twenty minutes, and when I was visiting a cemetery where I once again became aware how short some lives are.
Apart from the Mongolian roomcleaner who said to be in Sweden for a year, everybody's English happened to be pretty fluent. What surprised me were the many people who crossed the street at red lights.
What books you sell the most?, I ask in the airport bookstore. Management, the young woman smiles, and adds: „We have several shops in town but only the one here has a management section.“ I felt reminded of my former boss in a publishing company who, when asked what kind of books he read, had said: „Management books, of course.“ Until then I hadn't even considered them books. I still don't.

Wednesday, 4 March 2020

Dear Oxbridge

Ich bin schon weit über die Hälfte, als ich die Charakterisierung auf dem Buchumschlag lese. Es handle sich um einen Liebesbrief an England (so auch der Untertitel), um eine messerscharfe Analyse, die tragikomisch, liebevoll und wütend sei. Da ich das Alles ganz, ganz anders gelesen habe, beschliesse ich, ab sofort nie mehr einer Verlagspropaganda Beachtung zu schenken ...

Mit England und Englischem hat "Dear Oxbridge" zwar auch zu tun, doch hauptsächlich geht es darum, dass die Autorin ganz unbedingt in Oxford und Cambridge (Oxbridge) studieren wollte und das auch geschafft hat. Ein solches Unterfangen bringt es mit sich, dass man viel über das Denken, Fühlen und Handeln der jungen Fau (Nele Pollatschek ist 1988 in Berlin geboren) erfährt – sie ist sehr ambitioniert, arbeitet hart für ihre Ziele und hat einen guten Sinn für Humor. "Dear Oxbridge" ist informativ und liest sich anregend. Aber ein Liebesbrief ist etwas anderes, abgesehen vom letzten Kapitel, einem warmherzigen und engagierten.

Dass sie's nach Oxbridge geschafft hat, liegt nicht zuletzt daran (mit ihren Noten lag sie voll im Durchschnitt), dass sie nicht aufgegeben und sich angepasst hat. "Ich musste herausfinden, was eigentlich gefragt war." Für Karriere-Interessierte ist das ein empfehlenswerter Ansatz. 

Insbesondere die Ausführungen über die unterschiedliche Art des Studierens in Deutschland und England fand ich aufschlussreich. "Anstatt wie in Deutschland sehr wenig sehr tief zu tun, tut man sehr. sehr viel mit einer gewissen Oberflächlichkeit (…) Das Ideal des Oxbridge-Studium, speziell des geisteswissenschaftlichen, ist dann auch nicht korrektes wissenschaftliches Arbeiten und nicht mal Kenntnis des eigenen Faches, sondern die Fähigkeit, über fast jedes Thema gewinnbringend reden zu können."

"Wer in Oxbridge studiert, der lernt nicht primär, die Methoden eines Faches, sondern wie man in kürzester Zeit grosse Mengen an Daten so bearbeitet, dass man sich eloquent und innovativ über sie äussern kann." Und dies, so die Autorin, prädestiniere Oxbridge-Absolventen für eine Grosszahl von Berufen, insbesondere für Führungspositionen. Ich habe da so meine Zweifel, ob es an dieser Art der Ausbildung liegt (das Elite-Label, eine Zuschreibung, die wenig mit Fähigkeiten und mehr mit Privilegien zu tun hat, scheint mir wesentlicher), denn neben den Oxbridge-Absolventen glauben auch die Absolventen der französischen ENA (ich gehe davon aus, dass das französische Lernen ein anderes ist) für Führungspositionen ganz besonders geeignet zu sein. 

Höchst spannend fand ich die Aufklärungen über das englische Klassensystem ("Der Erhalt der Monarchie, der Erhalt von England, wie wir es kennen, hängt davon ab, dass es eine Familie gibt, die von sich selbst denkt, dass sie erblich bedingt einzigartig ist.") und insbesondere das Kapitel "They: Gendern auf Englisch", einer differenzierten Auseinandersetzung mit Sprache und Denken. Gefallen hat mir auch, dass Nele Pollatscheks Oxbridge-Begeisterung mit einer durchaus nüchternen Haltung einher geht. "... dass die Art Mensch, die nach Oxford geht, wahrscheinlich ein hohes Mass an Ehrgeiz hat, mit Niederlagen nur schlecht umgehen kann und wahrscheinlich am Hochstapler-Syndrom leidet …". 

"Dear Oxbridge" ist nicht nur gut geschrieben, es ist auch ein ausgesprochen lehrreiches und sehr unterhaltsames Buch  wunderbar amüsant sind etwa die Erfahrungen der Autorin mit dem englischen Verkehr und der Pünktlichkeit. Auch mit dem englischen Gesundheitssystem machte sie Bekanntschaft und wunderte sich darüber, wie anders die Engländer im Vergleich zu den Deutschen über Psychopharmaka denken. "Because drugs work", erhält sie zur Antwort, als sie fragt, warum so oft Antidepressiva verschrieben werden. Ihre Nachforschungen scheinen dies zu bestätigen. Ich selber bin zum Schluss gekommen: Ja, Antidepressiva wirken, aber nicht gegen Depressionen. Man lese James Davies' Cracked. Why Psychiatry is doing more harm than good.

PS: Ich habe auch einmal einen Abschluss an einer Institution mit exzellenter Reputation gemacht, der Cardiff School of Journalism, Media and Cultural Studies, die auf Wikipedia als "Oxbridge for journalism" bezeichnet wird, und war weit weniger beeindruckt von meiner Ausbildung als Nele Pollatschek von ihrer. Und so recht eigentlich fand ich den Unterricht an der Charles Darwin University im australischen Darwin, die (damals) meines Wissens über gar keine Reputation verfügte, mindestens so gut, wenn nicht besser.

Nele Pollatschek
Dear Oxbridge
Liebesbrief an England
Galiani Verlag Berlin 2020