Notes on things intercultural, photography, the media, and other things that interest me
Wednesday, 29 December 2021
Photo Favourites from 2021
Wednesday, 22 December 2021
Das Leben in den Griff kriegen?
Nach dem Aufwachen, der Film in meinem Kopf transportiert mich nach Südbrasilien, nach Santa Cruz do Sul: Sonnenschein, Vogelgezwitscher, der Jabuticaba-Baum. Hier in der Schweiz, in Sargans: Sonnenschein, Vogelgezwitscher, der Apfelbaum.
Ich habe mir angewöhnt, nach dem Erwachen liegen zu bleiben und meine Gedanken zu beobachten – es ist völlig irre, unfassbar und faszinierend, was da abläuft: Rasant wechseln die Schauplätze an diesem Morgen. Gerade noch war ich in Oberschan und jetzt bin am Santa Monica Pier in Los Angeles, Dann tauchen Bilder vom Innern der Klosterkirche Disentis vor meinem inneren Auge auf, von meiner Mutter auf dem Sterbebett, von meiner Nichte, der Turnerin, von A, in die ich mich vor Jahren heftig verliebt hatte. Kurz darauf bin ich in Maienfeld, nehme den Weg durch Weinberge nach Landquart. Dann, übergangslos, wieder in Sargans bei der Tochter eines strengen Lehrers, die einen erfolgreichen Geschäftsmann geheiratet hat, dessen erste Frau mich bei einem Spaziergang über ihn 'aufklärte'.
Dieser ständige Strom von Bildern und Emotionen, die sich (vermutlich) in Millisekunden abwechseln, lässt mich zwar staunen, doch er hinterlässt auch ein Gefühl von Hilflosigkeit. Niemals bin ich verletzlicher als beim Aufwachen, wenn die Schutzbarrieren noch nicht hochgefahren sind.
Die Vorstellung, wir könnten das Leben in den Griff kriegen, gehört angesichts dessen, was wir beobachten, erleben und erfahren können, zu den absurdesten, die wir zu denken imstande sind. Kein Wunder, suchen wir bei diesem ständigen Wirbelwind Halt und das Gehirn, unser Illusionen-Produzent, liefert ihn. Es erzählt uns nicht, was geschehen ist, denn dies ist zu komplex, als dass wir es verstehen könnten, es erzählt uns (im Nachhinein, wohlverstanden) die Version, die wir zu verstehen imstande sind – die vereinfachte, logische und für uns nachvollziehbare.
Konzentriert euch, fordert der Lehrer in der Schule. Was er nicht sagt, ist: Vergesst alles, was euch durch Kopf und Herz geht. Nehmt nicht wahr, was ist, nehmt nur wahr, was ihr wahrnehmen sollt. Kein Wunder, fragen wir uns hin und wieder, worin der Sinn eines solchen Lebens liegen könnte.
Hans Durrer: Gregors Pläne. neobooks 2021
Wednesday, 15 December 2021
Águas de Ouro
Yet my restless mind does not stop at Ipanema and the folks depicted there, it transports me to other Brazilian beaches in the South and the Northeast. And then — my mind does what it wants! — to beaches in Southern Thailand and and and …
The power of photographs lies in their ability to direct our attention. Returning to the ones by Sandra Cattaneo Adorno in Águas de Ouro brings me once again to Rio and Ipanema. Contemplating them not only makes me dream but also fills me with the wish of going there … “… must we dream our dreams and have them, too?” Elizabeth Bishop asked in Question of Travel. Sometimes that would indeed be nice …
For the full review, go to www.fstopmagazine.com
Wednesday, 8 December 2021
Kleider machen Leute
An der Busstation von Porto Alegre. Innerhalb von zehn Minuten wurde er drei Mal von Buspassagieren um Auskunft gefragt. Warum fragten sie ihn? Wie kam es bloss, dass sie ihn für einen Angestellten der Busbetriebe hielten? Er sah, jedenfalls seiner Einschätzung nach, überhaupt nicht wie ein Busfahrer aus. Andere sahen das offenbar anders. Bis es ihm dämmerte – er war wie einer gekleidet, Busfahrer im Süden Brasiliens trugen hellblaue Hemd und dunkelblaue Hosen, die Fahrkartenkontrolleure ebenso.
Ähnlich fatal kann die Kombination weisses Hemd, schwarze Hosen sein. In einer gut besuchten Pizzeria in Basel versuchte er lange vergeblich den Kellner auf sich aufmerksam zu machen, der jedes Mal in einem Affentempo an ihm vorbeirauschte. Bis es ihm reichte und er laut durch das Lokal rief: 'He, Sie, kann ich bitte bestellen!' 'Ich bin Gast hier', gab der Mann indigniert zurück. Und jetzt bemerkte auch Harry, dass er zwar die typische Kellner Kleidung – weisses Hemd, schwarze Hosen – doch statt des roten Blumenbouquet des Pizzeria Personals um den Hals eine schwarze Krawatte trug.
Aus: Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn, neobooks 2019