Schöner Denken 2, was für ein toller Titel, denkt es so in mir. Schade, dass ich Band 1 verpasst habe, nehme jedoch an, dass angesichts der ständig zunehmenden Verwirrung in der nach wie vor wachsenden Konsumwelt Band Nummer 3 wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen wird.
Die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache, meinte bekanntlich Ludwig Wittgenstein. Dieser entwickelt sich aufgrund vieler unregulierter Faktoren, doch das passt nicht allen. Und so glauben sie, sie müssten/sollten/dürften da Einfluss nehmen. Ob sie dafür eine Mehrheit haben, interessiert sie nicht, sie wissen ganz einfach, dass sie Recht haben. Mit solchen Leuten kann und soll man nicht diskutieren. Man kann das allerdings auch anders angehen. Aufklärend. Josef Joffe und Michael Miersch zeigen in Schöner Denken 2 wie das geht.
Damit Aufklärung gelingen kann, braucht es Menschen, die bereit und willig sind, sich aufklären zu lassen. Das ist eher selten, hindert Aufklärer jedoch nicht, weiterhin den Sisyphus zu geben, den man sich ja angeblich als glücklichen Menschen vorzustellen hat. Anders gesagt: Ich gehöre zu denen, die sich von Aufklärung eher wenig versprechen. Doch ich schätze intelligente, witzige und unterhaltsame Argumente. Und davon finden sich in diesem Band, der so recht eigentlich eine Sammlung der Absurditäten unserer Zeit darstellt, zahlreiche.
So fordert etwa das Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Stadt München "Respekt" für städtische Bäume, damit diese "in Würde altern" dürfen. Mir scheint, da war eine PR-Agentur am Werk, die vermutlich gerade für eine Kampagne für ältere Mitbürger ausgezeichnet worden war. Von einer Behörde wäre eigentlich zu erwarten, "dass sie nicht Forderungen aufstellt, sondern sich um das Stadtgrün kümmert." In unserem Zeitalter der Ankündigungen und Versprechungen, auch als Businesspläne bekannt, ist das eher selten.
"Nach über 3000 Jahren anatomischer Überbewertung der Physis erkannte die akademische Welt im Licht der Genderwissenschaft, dass jeder Mensch sich frei entscheiden kann, ob er/sie/es weiblich, männlich oder divers ist." Was dabei unter anderem untergeht: Jeder Entscheid kann auch falsch sein. Doch wer sich dagegen auflehnt, dass der Mensch sich zum Gestalter von Allem und Jedem aufschwingt (kein Wunder, nimmt diese Tendenz zu, seit das Hubble- und das James Webb-Teleskop klar gemacht haben, dass wir noch unbedeutender sind, als wir bisher geglaubt haben), hat mehr als nur einen schweren Stand. "Kathleen Stock, Philosophin an der Universität Sussex, gab ihren Lehrstuhl auf, weil sie den Shitstorm nicht aushalten konnte. Die leidenschaftliche Feministin hatte behauptet, das biologisch bestimmte Geschlecht könne nicht durch Umbenennung abgeschafft werden."
Der Glaube, man könne mittels Sprache das Bewusstsein verändern, scheint in dem Masse zuzunehmen, in dem wir uns machtlos fühlen. Allerdings nicht bei allen. Es gibt auch Menschen, die ihre Orientierungslosigkeit im Universum einigermassen gelassen hinnehmen. Humor hilft dabei. Und von diesem findet sich in diesem Band viel. Auch an sich nüchterne Feststellungen wie "Es gehört zum festen Repertoire von Bundespräsidenten, Bischöfen und Leitartiklern Konsens zu rühmen und vor einer Spaltung der Gesellschaft zu warnen" lesen sich sehr lustig.
Ich reagiere allergisch auf Gängelungen sogenannt Wohlmeinender, ertrage es so ziemlich überhaupt gar nicht, von Trotteln belehrt zu werden, kann weder Politiker noch Pädagogen noch Medienschaffende (was für ein Ausdruck) wirklich ernst nehmen, doch ich lasse mir gerne echte Aufklärung gefallen. Und bin geradezu entzückt, wenn mich jemand auf Verblüffendes aufmerksam macht, das mir vollkommen entgangen ist. Etwa darauf, dass man kaum mehr von Flüchtlingen, dafür von Geflüchteten hört, weil Endungen wie "ling" oder "linge" angeblich abwertend seien!!
Speziell aufschlussreich fand ich die Ausführungen zur Kulturellen Aneignung, auch weil sie aufzeigen, wie aus einem nicht nur normalen, sondern bereichernden Austausch ein bornierter, destruktiver, lebensfeindlicher Vorgang werden soll. "Was erlaubte sich die Engländerin Agatha Christie, als sie den belgischen Meisterdetektiv Hercule Poirot erfand, der im Film vom russischstämmigen Peter Ustinov gespielt wird?" Man wünschte sich diesen politisch Korrekten einen Ausflug nach Asien, wo so ziemlich alles ohne zu fragen (und zu meiner Freude: es ist billiger!) kopiert wird.
Schöner Denken 2 ist auch deutlich und klar. "Kunst kommt von Können, nicht von Tugend." Oder: "Ein paar Klassiker: 'Frieden schaffen ohne Waffen,' 'Reden statt rüsten', 'politische Probleme lassen sich nie militärisch lösen'. Solche erhabene Parolen klingen stets besser als die Wirklichkeit; spätestens seit Putins Eroberungszug gegen die Ukraine sind sie Makulatur. Putin redet nicht; er raubt."
Die beiden Autoren sind bestens informiert unterwegs, wissen eigenständig zu denken und bieten mit diesem Werk auch die Möglichkeit zu mannigfaltigen Entdeckungen. Zu meinen liebsten gehört der William Buckley zugeschriebene Spruch: "Ich möchte lieber von den ersten 2000 Leuten im Boston-Telefonbuch regiert werden als von den Professoren der Harvard-Universität." Angesichts der Tatsache, dass die Verbreitung von unausgegorenem Schwachsinn vor allem Studierten zu verdanken ist, würde man sich die Ankunft von Humpty Dumpty auch im deutschsprachigen Sprachgebiet wünschen. Sie wissen nicht, wer das ist? Lesen Sie dieses Buch!
Josef Joffe
Michael Miersch
Schöner Denken 2
99 Phrasen für die geistige Inneneinrichtung der Nation
Edition Tiamat, Berlin 2022