Monday, 22 June 2009

Die ungenaue Lage des Paradieses

Ich habe letzthin ein in jeder Hinsicht tolles Buch ausgelesen: Die ungenaue Lage des Paradieses von Peter Haff. Ein gescheites, differenziertes, anregendes, aufmerksames, ja waches Werk, das von einer Reise zu den einst berühmtesten Städten der östlichen Hempshäre berichtet - nach Petra, Muskat, Rangoon, Pagan, Vientiane, Luang Prabang, Angkor Wat, Kathmandu, Lhasa, Ulan Bator und Samarkand. Hier einige Auszüge:

Mir fällt eine Szene im Louvre ein, bei meinem letzten Besuch, wann immer das war. Ich ging so ziemlich als letzter durch die Gänge des klassischen Sektors, als Glocken ankündigten, dass es Zeit sei, den Bau zu verlassen. Da kam vom anderen Ende des Ganges eine junge Frau mit einem Kind daher. Sie schleppte das kleine Mädchen keuchend hinter sich her, stürzte auf mich zu, holte Atem und sagte, sorry, do you know, where is Mona Lisa? Sie stand fast davor. Ich zeigte ihr das Bild, sie jauchzte, oh, I did it, und raste davon.

Nachdem wir eine Weile gegangen sind, sagt Gamal einen Satz in unser Schweigen hinein, den ich nicht vergessen werde: Zwei Dinge kann man nicht anschauen, die Sonne und den Tod.

Was auffällt: Keiner ist da, wo er ist. Alle reden, während sie hier in Kambodscha auf dem Flughafen sitzen, von vergangenen Reisen oder erzählen davon, was sie tun werden, wenn sie wieder zu Hause oder auf einer nächsten, schon geplanten Reise sind.

Ich konnte immer wieder feststellen, dass einer unserer hartnäckigsten Wünsche darin besteht, das Leben nicht als willkürliches Verstreichen von Zeit zu betrachten, sondern als Kontinuum, das andauernd mit Zeremonien ausstraffiert werden muss, damit das Gefühl von Notwendigkeiten entsteht.

Um das Phänomen der Zeitdehnung anschaulich zu machen, hatte Einstein empfohlen, sich je eine Minute lang auf eine heisse Herdplatte und auf den Schoss einer schönen Frau zu setzen.

Durch unsere Gespräche auf Ausflügen oder in kleinen Bars oft bis tief in die Nacht vollzog sich das einzig Wichtige, das mir, dem Touristen, widerfahren konnte: Ich wurde von Augenblicken berührt, von Farben, Gerüchen, den Essenzen fremden menschlichen Lebens, sogar von der Substanz toter Steine. Ich liess für drei Wochen den ruhelosen, verachtenden Menschen, der an Geheimnissen vorbeieilt, hinter mir.

Vielleicht ist Bang Sang Hai das fünf Tagereisen westlich von Vieng Tjan gelegene Dorf, wo Edward-Tonelli bei einem sintflutartigen Gewitterregen am Ufer sass, und "nach all den strahlenden Burgen der Götter" sich überwältigt fühlte vom "Glück der Einfachheit und der ungeteilten Wahrnehmung des Augenblicks". Ich glaube nicht, dass Edward-Tonelli die Pracht und die Erhabenheit der Gotteshäuser gestört haben, ihm war das Schielen auf Künftiges suspekt. Dennoch blieben zwischen den Zeilen immer die Fragen: Sind die Burgen der Götter am Ende nichts anderes als ein Ausfluss des Göttlichen in uns selbst? Und: Könnten sie nichts weiter sein als Symbole des Dankes für empfangenes Glück? Aber wem danken? Wo wäre der Gott, der weder vorschreibt noch fordert und der dem Menschen den Wunsch nach dem Jenseits erspart? Wenn ich jetzt, an diesem paradiesischen Ort, an Edward-Tonellis Aufzeichnungen denke, geschieht es aus dem Gefühl, in ihm einen gefunden zu haben, den seine Reisen zu einem Künstler des Augenblicks machten; trotz aller Strapazen und Leiden kultivierte er die Musse als seinen Rosengarten, in dem er Knospen pflückte, so oft und so lange es ging.

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