Sunday, 19 September 2010

Herz aus Sand

Ort der Handlung dieses Romans ist ein Camp in der Westsahara, wo UNO-Beobachter einen Waffenstillstand überwachen und ein Referendum organisieren sollen und mit Tausenden von Flüchtlingen, deren Traum die Heimkehr oder die Flucht ins Wohlstandsparadies Europa ist, zusammentreffen.

Dann taucht Druncker auf, ein Berliner Architekt, der Frank, den Protagonisten dieses Romans, an Alma, Franks grosse Liebe erinnert und dem Autor Anlass ist, von Franks Vergangenheit zu berichten.

Als ehemaliger Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz im südlichen Afrika hat mich vor allem interessiert, wie der Autor diese Beobachter-"Arbeit" vor Ort schildert. Sehr überzeugend, weil sehr realistisch, kann ich nur sagen.

Ein Beispiel: "Nun, es ist nicht an mir, die Erfolgsaussichten unserer Mission zu beurteilen. Laut meines Einsatzvertrags bin ich ein Beobachter. Ich brauche also nichts weiter zu tun, als zu beobachten. Hielt ich dies einst für eine Tätigkeit, die erhöhte Wachsamkeit und Scharfsinn erforderte, wurde ich hier eines Besseren belehrt. Nicht die Tiefe soll ich ausloten, nicht in Abgründe hinabspähen, nicht nach Hintergründen forschen, meine Aufgabe erschöpft sich im Betrachten der Oberfläche." Und im Berichte-Schreiben, was Frank wunderbar trocken so kommentiert: "Auf den Abgabetag hin wird jeweils der Bericht der Vorwoche kopiert, werden ein paar Adjektive geändert und die Daten angepasst. Ein Wochenbericht soll nicht aufregender sein, als es unsere erlebte Woche war ... (...) ... Wo nichts geschieht, erhält jedes Wort dramatisches Gewicht. Ganze Bedeutungsfelder kommen ins Rutschen, wenn wir beispielsweise 'manchmal' durch 'gewöhnlich' oder 'schottergrau' durch 'herbstgrau' ersetzen. Und obgleich diese Berichte völlig nutzlos sind, opfern wir ihnen bereitwillig unsere Zeit. Wir können nicht auf sie verzichten. Wozu wären wir sonst hier?"

Genau so isses. Ein Bürokrat ist ein Bürokrat, ob "sur le terrain" oder am Hauptsitz in Genf.

Daniel Goetsch führt in diesem gelungenen Roman vor, was es mit internationalen Beobachter-Missionen auf sich hat: Augenwischerei einerseits, Beschäftigungsprogramm andrerseits. "Herz aus Sand" ist ein aufklärendes und aufklärerisches Buch, das mich immer mal wieder zum Schmunzeln brachte: "Es geht das Gerücht, er schreibe die besten Wochenberichte, stilistisch gekonnt und sehr präzise. Wen wundert's? Jeder verfällt anfangs diesem Ehrgeiz. Als Neuling steckt man viel Herzblut in die Berichte. Man nimmt sie als willkommenen Anlass, sich über die Zustände hier zu empören. Man prangert das Elend an, die Ungerechtigkeit, den Drogenmissbrauch, den Kantinenfrass, das verdreckte Sitzbrett in der Latrine. Man berauscht sich am Glauben, mit dem Schreiben die Wirklichkeit zu entlarven."

Es sind solche Einsichten und Schilderungen, die die Lektüre dieses schön gestalteten Buches lohnen. Und Sätze wie dieser: "Und natürlich schreibe ich alles nieder und beschönige es, wo es angezeigt scheint". Und dieser: "Wie versprechen ihnen Demokratie und Freiheit, wissen aber selbst nicht mehr, wie es entstand und warum es uns heilig ist." Und dieser: "Meistens waren wir uns uneins. Wir hatten nicht dieselben Bücher gelesen, nicht dieselben Wahrheiten gefressen." Und und und ...

Daniel Goetsch
Herz aus Sand
Bilger Verlag, Zürich 2009

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