Sunday, 22 July 2012

Das BILD-Buch


Ein solch grossformatiges und schweres (11 Kilo zeigt meine Waage an) Buch hatte ich noch nie in Händen: Hardcover, 37,2 x 53 cm, 748 Seiten.

Über 700 Titelseiten, alle im Zeitungsformat, je eine Seite aus jedem Monat seit dem 24. Juni 1952, dem Gründungstag von BILD.

Hier eine Auswahl meiner Lieblingsüberschriften:
Das verdammte Geld machte meinen Mann zum Spion (31. Oktober 1968). 
Sex-Droge: Bein steif (24. November 1986).
Rezept für glückliche Ehen: ein bisschen schwindeln (13. Dezember 1986).
Honecker lebt, liest BILD, und ärgert sich (13. September 1989).
Macht das Handy Männer doch unfruchtbar? (25. Oktober 2006).

"Zuweilen reflektierten die Titelzeilen keine Realität mehr, sondern wurden kunstvoller Selbstzweck  - bis hin zur dadaistischen Lautmalerei", schreibt Stefan Aust in seinem Beitrag "Keine Atempause: 60 Jahre BILD". Beispiele gefällig? "Franzi, Franzi, wunderbar." "Guru Franz - meine Botschaft. 1. Kehrt um, liebt euch 2. Wir sind unsterblich 3. Lebt wie Brüder und Schwestern". "Brando frisst sich tot". "Naddels Pfui-TV, Kanzler tobt".

Ferdinand von Schirach hat auch einen Text beigesteuert ("Paternoster"). Darin erfährt man unter anderem, dass er nach Alpträumen zum Bücherschrank geht und in den alten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts liest. Zudem zitiert er den Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner, mit dem Satz: "Für die BILD-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten."

Laut Sebastian Turner ("Gefühlte Geschichte") ist es das Wechselspiel von Bild und Text, das die BILD-Zeitung ausmacht: "... die Text-Foto-Spannung lädt BILD auf. Gefühl kommt zum Bild erst durch das Wort und die Aufladung zwischen beiden. Als Axel Springer 'Bild' sagte, hatte er Spannung gemeint." Es lohnt, sich das vorliegende Werk mit diesem Gedanken im Kopf vorzunehmen.

Das BILD-Buch ist nicht zuletzt ein Zeitdokument. Das will nicht heissen, dass es beziehungsweise die BILD-Zeitung die jeweilige Zeit abbildet (das tut kein Buch und keine Zeitung), das will heissen, dass wir die jeweilige Zeit durch die BILD-Sicht zu sehen kriegen. Gleichzeitig jedoch, und in diesem Sinne ist dieses Buch auch Zeitdokument, können wir mitverfolgen, welche Ereignisse den damaligen Zeitungsverantwortlichen Wert schienen, ihrer Leserschaft mitgeteilt zu werden - dabei staunt man, wie vieles einem nicht oder nicht mehr präsent ist.

Pocken-Alarm in aller Welt (12. Januar 1962). 
US-Negerführer: Die schwarze Revolution hat begonnen (25. Juli 1967).
Es ist einfach herrlich! Die farbige Mattscheibe verzaubert alle (26. August 1967).
Ehebruch nicht mehr strafbar (31. Oktober 1968).

Was sind das eigentlich für Leute, die für BILD texten? Einer von ihnen ist Franz Josef Wagner, der bekennt: "Ich schreibe gern für BILD. Weil ich schreien darf, mich aufregen darf." Wenn dabei Sätze rauskommen wie "Wir sind Papst" ist das echt toll, bei Sätzen wie (in Sachen Guttenberg) "Wir finden die GUTT! Nörgler, Neider, Niederschreiber: Einfach mal die Klappe halten!" ist das hingegen mehr als bedenklich, aber eben auch eine treffende Selbstcharakterisierung.

Das BILD-Buch
Taschen, Köln 2012
ISBN 978-3-8365-3863-3

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