Wednesday, 25 September 2013

Oscar Niemeyer

Oscar Niemeyer begeistert mich, auch wenn ich so recht eigentlich kaum etwas von ihm weiss. Es sind die Fotos von Bauten und Formen, die dieser Mann geschaffen hat, die mich gefangen nehmen, staunen und mein Herz jubeln lassen. Sie lösen etwas in mir auf, bewirken, dass ich mich frei fühle, zeigen mir Neues, Ungewohntes, meine Wahrnehmung Befreiendes. Siehe auch hier.

Diesem schön gemachten, von Alberto Riva herausgegebenen Büchlein ist ein Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet (1902-1963) vorangestellt, das mich sehr anspricht und ich hier wiedergeben will:

Das Leben ist kein Scherz,
so nimm es ernst
(...)
ernst in dem Masse,
dass du als Siebzigjähriger zum Beispiel
Olivenbäume pflanzt, nicht etwa, um
den Kindern sie zu hinterlassen, sondern
weil niemals an den Tod du glaubst, dabei
ihn fürchtend und nicht wenig, aber
das Leben auf der Waage überwiegt.

Niemeyer fand den Kapitalismus abstossend ("denn er bedeutet, dass einige alles haben und andere nichts und dass oft nur um des Besitzens willen anderen etwas weggenommen wird. All dies ist zutiefst ungerecht"), war sein Leben lang Kommunist und hat ein Menschenbild, das mein Herz erwärmt: "Wenn der Architekt am Zeichentisch sitzt, darf er nie vergessen, dass der Mensch nicht nur eine Maschine ist, die aufgeräumt und geschützt werden muss in einer stabileren Maschine namens Haus: Der Mensch ist vielmehr ein seltsames Lebewesen, das eine Seele und Gefühle besitzt, sich nach Gerechtigkeit und Schönheit sehnt und Trost und Anregung braucht."

Glück heisst für ihn, "mein Leben gemäss den eigenen Idealen und umgeben von Freunden zu verbringen." Dass das nicht nur einfach so dahin gesagt ist, unterstreicht Alberto Riva in seinem Nachwort: "... um einem Freund zuzuhören und mit ihm zu plaudern, hat er stets sogar seine Arbeit unterbrochen, selbst wenn die Termine drängten. Das ist für mich Grosszügigkeit: den anderen zur Verfügung zu stehen, nicht bloss als Geste sondern als Ansporn und konkrete Hilfe, wenn jemand etwas braucht, und immer Zeit für ein Gespräch zu haben."

"Wir müssen die Welt verändern" ist ein ganz wunderbares, mit ansprechenden Bildern ausgestattetes Büchlein, das mich sowohl für den Menschen Niemeyer als auch für seine Arbeit, die – und das ist bei grossen Künstlern nicht die Regel – eine Einheit bilden, eingenommen hat. Ganz besonders ist mir dabei geblieben, was der Architekt Jair Valera, der mehr als dreissig Jahre mit Niemeyer zusammengearbeitet hat, vor einigen Jahren gesagt hat: "Oscar Niemeyer gefällt auch einem Kind. Als ich meinen vierjährigen Sohn ins Museum von Niterói mitnahm, war er ganz begeistert davon. Das heisst: Mit seinen hundert Jahren ist Niemeyer noch in der Lage, ein vierjähriges Kind zu bezaubern."

Oscar Niemeyer
Wir müssen die Welt verändern
Verlag Antje Kunstmann, München 2013

Wednesday, 18 September 2013

Carlos Crespo: Badain Jaran

Carlos Crespo, born in 1973, is a freelance art photographer and photographer, I read, and assume that the distinction must have special relevance. I'm not really sure whether this distinction makes sense  generally speaking, that is  but looking at the photographs in this tome I'd say there is definitely something to it for they strike me as thoughfully composed, as interesting creations, in short: artfully done.

The photographs in this work "were created over the past years in the course of research trips to the Badain Jaran Desert southwest of the Gobi Desert. This remote desert in China is also home to the Biluthu. which at 1610 metres is the world's largest sand dune. Crespo set out on a journey through a region of our planet that until now – for political and other reasons  has virtually never been artistically explored", I learn from Cathérine Hug, curator at the Kunsthaus Zürich. 
Carlos Crespo not only took photos of the Inner Monglian desert, "what is now an autonomous region of the People's Republic of China", as Bill Kouwenhoven ("considered an expert in contemporary photography") informs me, but also of the people of the region. Again Kouwenhoven: "The people of the region have been caught in the competing interests of their Mongolian heritage and the drive by the Chinese authorities to bring modernity and progress at all costs." Although I very much liked the pics of the people and their habitat (they seemed taken with a sympathetic eye), the Chinese efforts "to bring modernity and progress at all costs" I was not able to detect.

I guess that the main reason I warmed so much to these photographs is my fascination for the desert. My first desert was the Namibian desert, the so far last one the Mojave desert. The dominant sensation that I recall was caused by the immense space: I felt liberated from civilisation, from the imperative "You Must". And, I felt entranced by how the wind had formed the environment. And this is precisely what Carlos Crespo creatively and convincingly documented.

Carlos Crespo
Badain Jaran
Scheidegger & Spiess, Zurich 2013

Wednesday, 11 September 2013

In Barcelona

"It is such a pleasure to see a happy man", approaches me a middle-aged woman at Barcelona Airport. She is all smiles and quite obviously recruiting victims for some survey. I smile back at her and say (for I had already been approached before), "No, I'm not living in Barcelona, and I'm not living in Spain either but I'm looking for the airport bus, can you help?" "Yes," she says and points at rolling stairs. "But really," she continues, "you not only looked happy, it was also the way you walked that made me feel that you were happy." Was I? Probably, and without even realising it. I had just changed money ...

The young couple next to me in the computer room of the hotel seem lost. The woman shows me a map and asks for a train station called Sants. Although I have no clue where that could possibly be I nevertheless look at the map and immediately see it. I'm probably more surprised than the woman is. We are from Kazakhstan, she says. And, we are Moslems, she adds. She looks oriental, is wearing shorts, sandals, and a sleeveless blouse.

Some time later, a short, stocky man in his sixties takes the place next to me and starts a conversation. He's from Egypt. I'm wondering what business he's in. He's retired, he says, he had been a diplomat and is quite opiniated. I'm myself diplomatic enough not to reveal what he confided in me.

Burger King at Plaza Cataluña/La Rambla. The guy behind the counter offers me to place my order in French, English, Italian and Spanish. What makes you think I could be French? I ask him ('cause that was what he had mentioned first). Well, the French always stand there silently and watch ...
Why does the little girl insist to sit on the pavement to drink her water? I ask the elderly woman accompanying her. She likes to play, and she has to have it her way, the woman says.

Wednesday, 4 September 2013

Bilderkrieger

Es sei gleich gesagt: Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, weshalb jemand freiwillig in den Krieg zieht. Für mich sind Kriegsfotografen Adrenalin-Junkies. Der Fotograf Michael Kamber sieht das nicht so. Warum also ging er in den Krieg? "Bei mir war immer Gewalt zu Hause", sagt er, "vielleicht mag ich sie deshalb." Eine ziemlich eigenartige Erklärung. Im Vorwort lese ich: "Für ihn ist es kein Foto, wenn in einem Krieg ein Soldat mit einem Sturmgewehr durch die Gegend läuft. Es ist erst dann ein Foto, wenn ein Mensch schiesst, explodiert oder blutet. Deshalb gehen Kriegsfotografen an die Front, sie warten auf Sprengfallen, sie hoffen auf Hinterhalte."

Man müsse wissen, schreibt Takis Würger, Reporter beim Spiegel, der das Vorwort beigesteuert hat, dass Fotografen für gewöhnlich keine grossen Redner seien, "besonders dann nicht, wenn es um ihre Ängste, Wünsche und Hoffnungen geht." Ein paar Seiten weiter wird dann Michael Kamber mit dem Satz zitiert: "Viele Fotografen sind grosse Geschichtenerzähler." Ja, was denn nun? Beides natürlich, doch glücklicherweise hat Kamber etwas mehr recht, jedenfalls machen einen die 18 Interviews in diesem Buch die Ängste, Wünsche und Hoffnungen der Fotografen gut nachvollziehbar.

Das erste Gespräch mit dem 1978 geborenen Deutschen Christoph Bangert, der im Irak fotografierte, als die berühmten Namen wieder abgereist waren, ist auf vielfältige Art erhellend: "Es gab im Irak damals keine permanenten Gefechte, Schiessereien oder ständige Explosionen - boom! boom! Nein, oft war es sehr, sehr ruhig., sehr viel komplizierter als in so einem Film." Etwas vom Schlimmsten sei die gewaltige Kluft zwischen den Amerikanern und den Irakern gewesen. Zudem habe die Kommunikation auch unter unfähigen Dolmetschern gelitten. Er mache seine Bilder, weil er sie für wichtig halte: "Du musst selbst entscheiden, was wichtig genug ist, um darüber zu berichten, nicht das, wovon du denkst, dass es dein Leser will. Das ist keine Anzeigenkampagne. Das ist Journalismus:" Eines von Bangerts eindrücklichsten Bildern vom Irakkrieg, so erfährt man, zeige einen Mann auf einem Müllhaufen, dessen Hals beinahe vollständig abgeschnitten ist. Das Foto wurde nie veröffentlicht, umso unverständlicher, dass es auch in diesem Band nicht gezeigt wird.

Die Einleitung zum Gespräch mit dem 1970 geborenen Marco di Lauro fand ich wunderbar eindringlich geschildert, doch die der Einleitung und dem Gespräch vorangestellten Sätze erweckten meinen Widerwillen: "Für mich ist ein getöteter Zivilist ein getöteter Zivilist zu viel, egal aus welchem Grund und von wem er getötet wurde. Ich bin gegen niemanden. Ich bin nur gegen die Verletzung der Menschenrechte." Ich halte diese Kombination von Sätzen für unreflektiert, ja für dumm. Wer solches äussert, fällt auf die Propaganda rein, die zwischen toten Zivilisten und toten Soldaten einen Unterschied macht. In der letzten Konsequenz bedeutet das, dass wer eine Uniform trägt, getötet werden darf. Das ist hirnrissig.

Das Bild von di Lauro, das einen Jungen zeigt, der über in einer Schule aufgereihte Tote springt, ist aussergewöhnlich und eindrücklich. Überhaupt ist die Bildauswahl dieses Bandes superb. Und illustriert damit, dass Kriegsbilder, von denen es doch angeblich zu viele gibt, als dass wir noch von ihnen berührt sein könnten, uns nach wie vor erreichen und bewegen können. Treffend sagt es auch der 1957 geborene Ed Kashi, Mitglied der Agentur VII: "Interessant, wie uns die Fotografie durchs Leben begleitet und uns Dinge zeigt, die wir ansonsten womöglich nicht erkennen würden."

Fotografen sind Augenzeugen: sie sind vor Ort und häufig nah am Geschehen. Selten erfährt man, was sie sich so für Gedanken machen. Und genau deshalb ist dieser Band zu empfehlen: weil man hier erfährt, wie Fotografen Konflikte, zu denen sie die Bilder beisteuern, erlebt haben. Was zum Beispiel der gerade erwähnte Ed Kashi zum Stammesdenken im Irak zu sagen hat, ist unbedingt lesenswert.

Bilderkrieger ist ein aufklärendes und aufklärerisches Buch: so wie hier habe ich zum Beispiel noch nie über den Irak gelesen. Zudem hat mein Bild vom Kriegsfotografen als Adrenalin-Junkie einen kleinen Riss bekommen. Und das meint. Kriegsfotografen auf Adrenalin-Junkies zu reduzieren ist zu kurz gegriffen, das Leben ist dann doch etwas komplexer. Konkret: "Man muss die Momente der Menschlichkeit zeigen, sei es einen Arzt, der seine Patientin in diesem Chaos weiterbehandelt oder eine Gemeinde, die sich gegen die Schrecken wehrt. Irgendetwas, das einem ein Gefühl der Hoffnung vermittelt, sonst ist es die totale Verzweiflung" (Ed Kashi). "Ich habe mich stets mehr dafür interessiert, was am Rande passiert, wie das Leben der Menschen berührt wird. Die Männer interessieren sich mehr für die Kämpfe. Mitch, mein langjähriger Freund, ist definitiv eher der Actionjunkie ..." (Stephanie Sinclair).

Bilderkrieger ist ein notwendiges Buch: aufrüttelnd und nachdenklich machend. "Manchmal denke ich, ich habe komplett versagt. Nicht eines meiner Fotos hat gezeigt, was im Irak wirklich geschehen ist"  (Andrea Bruce). "Für mich waren die definitiven Fotos bislang die Bilder, die Soldaten in Abu Ghraib aufgenommen haben" (Andrea Bruce). Das Foto, das mich am nachhaltigsten beeindruckt hat (zusammen mit der Bildlegende), ist das Hochzeitsfoto von Renee und Tyler Ziegel, der bei einem Selbstmordanschlag im Irak schwer verletzt worden war, es stammt von Nina Berman.

Michael Kamber
Bilderkrieger
Ankerherz Verlag, Hollenstedt 2013