Wednesday, 29 October 2014

The Beautiful Game

Wau, was für ein Buch! Zuallererst, weil es mich in meine Jugend zurück katapultiert, und zwar heftigst. Für mich gab es damals nämlich nichts anderes als Fussball, und später nichts anderes als Rockmusik. Und dieser Band zeigt eindrücklich auf – die Bilder sind superb – , dass die beiden damals Hand in Hand gingen, dass Fussball rockte! Und wie! George Best und Johan Cruyff, das waren für mich die Popstars des grünen Rasens. Auch der heute so pseudo-seriös und bieder wirkende Franz Beckenbauer sah damals cool aus.

Bei diesem Buch komme ich nicht nur ins Schwärmen, bei diesem Buch kann ich mit dem Schwärmen fast nicht mehr aufhören. Wegen Bildern wie dem des kleinen Jungen im Haiti-Dress und Haiti-Mütze, aufgenommen von Neil Leifer in München. Oder dem von wartenden Fans während der Weltmeisterschaft in West-Berlin, das von Bernd Wende stammt. Oder denen der Cheerleader der New York Cosmos von Paul Slade. Oder wegen ... also, da gibt es so viele, ich kann die ja jetzt nicht alle hier aufzählen, doch der absolute Brüller, fotografiert von Bevilaqua, ist Diego Maradona unter der Trockenhaube! Um seine Dauerwelle in Form zu halten, ging er einmal im Monat zum Friseur, heisst es da.
Die Aufnahmen in diesem Band stammen von ganz verschiedenen Fotografen, sind teils farbig, teils schwarz/weiss und zeigen die Spieler in oft ungewohnten und überaus witzigen Posen, etwa Franz Beckenbauer und Bobby Moore als eine Art James Bond-Verschnitt, Rücken an Rücken, mit Pistolen in den Händen oder Gerd Müller und Franz Beckenbauer eingerahmt von den Rolling Stones Keith Richards und Ron Wood.

Die damalige Zeit war weniger glatt, weniger stromlinienförmig, menschlicher als die heutige, in der sich kaum mehr Prominente in der Öffentlichkeit zeigen und äussern, ohne von Beratern instruiert worden zu sein. Und dieser ganz wunderbare Bildband legt davon Zeugnis ab.
Von dem oben abgebildeten George Best ist der Satz überliefert: "Ich habe viel Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst." Nach seiner Aktiv-Zeit verfiel er jedoch immer mehr dem Alkohol, selbst nach einer Lebertransplantation war er nicht imstande, das Trinken aufzugeben.
Und da war Pelé, der brasilianische Jahrhundertspieler, der mit vollem Namen Edson Arantes do Nascimento heisst, was ich damals total exotisch fand und in mir (genauso wie die brasilianischen Nationalfarben) eine frühe Sehnsucht nach der brasilianischen Weite auslöste (Minas Gerais ist mir, einer Juniorenmannschaft wegen, über die ich in einem Jugendbuch gelesen hatte, seither ein Sehnsuchtsort).
The Beautiful Game ist ein wirklich singuläres Buch. Einmal der Vielzahl der teils spektakulären Bilder wegen, vor allem aber, weil dieser Band ein Lebensgefühl vermittelt, das eine freudvolle und spielerische Verbundenheit erahnen lässt, die selten geworden ist.

The Beautiful Game
Fussball in den 1970ern
Taschen Verlag, Köln 2014

Wednesday, 22 October 2014

Elena Perlino: Pipeline

Elena Perlino, a documentary photographer, born 1972 in Italy, lives in Paris and attempts, I read on the back cover of her book Pipeline, "to show the complexities and contradictions" of migrant Nigerian prostitutes' experiences in Italy. I'm not really sure how photographs can actually show that ... I'm not saying that the life of "sex slaves" or "victims of trafficking", as they are mostly referred to in this book, is not full of complexities and contradictions – it is, it is (and, by the way, what is not?) – yet photographs, by their very nature, are reductions of complexities and thus not exactly apt at showing them. 

Elena Perlino seems to be aware of this which is why the book comes with texts that, in addition to the pictures, try to express that complexity with words. The one text I warm to most is The Girls from Benin City ...

For more, see my fstopmagazine review

Wednesday, 15 October 2014

Interkulturelle Kommunikation

Zuerst aufgefallen ist mir, dass dieses Buch von einem emeritierten Lehrstuhlinhaber für Marketing (Stefan Müller) und einer Lehrstuhlinhabern für Internationales Management (Katja Gelbrich) verfasst worden ist, von Leuten also, die nicht unwesentlich mit Fragen des Verkaufens befasst sind und damit speziell geeignet scheinen, sich über interkulturelle Kommunikation auszulassen. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass der Teil über kommerzielle Kommunikation, der praktischen Relevanz wegen, der ergiebigste ist.

Meinen ersten Blick warf ich ins Literaturverzeichnis, wo ich, wie zu erwarten war, mein eigenes Buch nicht fand. Doch auch einige der Autoren, von denen ich viel halte und einiges gelernt habe, waren dort nicht zu finden: Christoph Antweiler, Norbert von Mecklenburg und ganz besonders Elmar Holenstein. Dafür waren natürlich ganz, ganz viele andere dort vermerkt ...

Interkulturelle Kommunikation wendet sich an Studierende und Doktoranden. Da wird also unterschieden, was unterschieden werden kann, werden Begriffe erfunden, um dann wieder geklärt zu werden, wird das akademisch Gefragte präsentiert – damit Studierende und Doktoranden ihre Prüfungen bestehen können. Doch was hilft es dem interkulturell Interessierten, wenn er oder sie weiss, dass es nicht nur verbale und nonverbale, sondern auch paraverbale, und extraverbale Kommunikation gibt?

Die Fülle an Informationen, die Eingang in dieses umfangreiche Werk gefunden hat, ist beeindruckend. Ob die gewählten Beispiele zutreffend dargestellt worden sind, vermag ich nicht generell zu beurteilen, in Einzelfällen hingegen schon. Dass etwa in Thailand "abfällige Bemerkungen über den König und dessen Familie" zu "den ungeeigneten Gesprächsthemen zählen" sollen, gehört jedenfalls zu den Untertreibungen des Jahres, denn Majestätsbeleidung kann in Thailand (laut Wikipedia) mit Gefängnisstrafen bis zu 15 Jahren geahndet werden.

Schade auch, dass die Ausführungen zu "Sprachrelativismus vs. Sprachuniversalismus" so dürftig ausgefallen sind: Sollte 'die Realität' "nicht unterschiedlich wahrgenommen, sondern unterschiedlich kategorisiert und benannt werden", wäre das ja nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Diskussion, denn so recht eigentlich wird doch 'die Realität' erst nachdem sie unterschiedlich kategorisiert und benannt worden ist, auch unterschiedlich wahrgenommen.

Es versteht sich: man kann auf 500 Seiten unmöglich umfassend über ein so weites Feld wie die interkulturelle Kommunikation informieren, doch dass ich da überhaupt gar nichts von Grundkonzepten wie etwa dem thailändischen sanug oder dem brasilianischen jeito las, ohne die diese Kulturen kaum verständlich sind, schien mir dann doch reichlich seltsam. Noch seltsamer ist hingegen die Logik dieser Sätze: "An den zahllosen Ahnenschreinen kann jeder Thailand-Reisende die Toleranz des Buddhismus erkennen. Denn obwohl 94% der Thais sich zum Theravada-Buddhismus bekennen, bestimmen nach wie vor die ursprünglich animistischen Rituale – wie die Ahnenverehrung – das tägliche Leben insb. der Dorfbevölkerung." Nun ja, die Lebenserfahrung lehrt, dass das, wozu man sich bekennt und das, was man praktiziert, sich eher selten decken.

Nichtsdestotrotz, ich finde Interkulturelle Kommunikation auf vielfältige Art und Weise informativ und anregend. So erfährt man etwa, dass die Sprache nicht nur für die Konstruktion der Wirklichkeit entscheidend ist, sondern ebenso "um den sozialen Status der Sprecher zu steigern und (Sexual)Partner zu gewinnen." Oder dass die Variante "Blutspenden verhindern Todesfälle" offenbar mehr Menschen dazu bewegt, Blut zu spenden als die Variante "Blutspenden retten Leben". Oder dass die Effizienz interkultureller Teams "im Prinzip nicht schlechter, zum Teile sogar besser" sei, als die von monokulturellen Gruppen, nur müssten erstere "in der Anfangszeit mehr Probleme bewältigen."

PS: Die Schweiz wird übrigens zweimal erwähnt, beide Male mit einem weitestgehend identischen Text: "Es ist für Schweizer normal", lese ich da, "sich schon vor dem Treffen mit allen Beteiligten über ihre Standpunkte auszutauschen. Das Ergebnis steht oft zum grossen Teil schon vor dem Beginn des Meetings fest." Das liegt vermutlich auch daran, dass man in der Konsens-Schweiz den Kompromiss sucht, bevor man das Problem erkannt hat, nur scheint diese Konsens-Schweiz seit einiger Zeit in Auflösung begriffen ...

Stefan Müller / Katja Gelbrich
Interkulturelle Kommunikation
Verlag Franz Vahlen, München 2014

Wednesday, 8 October 2014

In Amsterdam

At Schiphol airport, a middle-aged woman who speaks a language I cannot really place (something Eastern European, probably a Southern Hungarian dialect) waves a piece of paper in front of my nose, points at the barcode on the paper and makes gestures that indicate I should talk to the ground hostess on behalf of her. The ground hostess asks whether I speak Spanish (the next plane is due to leave for Barcelona) but the woman I'm sort of representing says no, no Spanish and is then told (the ground hostess jots it down next to the barcode) to go to transfer 3 ...

It's warm and sunny, lots of people are on the streets. Holland is a very densely populated country, the same size as Switzerland with a population twice as big as the Swiss.
The shuttle bus from my hotel to the airport leaves every 30 minutes. Shortly before the scheduled departure time, an Italian man in his fifties is getting nervous, he consults his watch and when the bus doesn't arrive exactly on time he heads towards the reception to complain. I feel slightly irritated when Italians behave more Swiss than the Swiss and readily admit that I expect them to meet my expectations and be good-looking, well-dressed, loud and chaotic.

The young man says he's from the Czech Republic and wants to know where I'm from and whether I'm alone here, have family and and and  ... Could I take a photo of him? He hands me his camera, I focus on him ... when all of a sudden two big guys are standing next to us. "Police", they say, "where are you from, can we see your passports?" They check the passport of the Czech, they see my red one and don't bother checking it. "Please show us your money", they say. We do as we are told. I ask why they check our money. There are quite some people coming to Amsterdam in order to buy drugs, they say, and people with lots of cash are usually in that line of business.
The Foam Photography Museum at Keizersgracht showed "Under Construction - New Positions In American Photography" as well as "Shadows, Patterns, Pears" and "Close Surrounding". I could not only have done without these exhibitions (what the titles suggest, you get to see: utterly pretentious stuff) but strongly felt that this was very probably my last visit to a museum.

At Schiphol airport, on the day of my departure, I spotted a sign that read: 
Smoking area. 
Inside Sportscafé

Wednesday, 1 October 2014

Erich Lessing: Anderswo

Für mich sind die Bilder des 1923 in Wien als Sohn eines Zahnarztes und einer Konzertpianistin geborenen Erich Lessing eine Entdeckung, mir waren der Mann und sein Werk bisher nicht bekannt.

In Anderswo finden sich Aufnahmen vom Ungarn-Aufstand 1956 sowie aus Wien und Prag, aus Polen, Deutschland, der Türkei und und und. Es seien Dokumente von tiefer Menschlichkeit, bestechend durch das Zusammenspiel von Momentbeobachtung und Komposition, lese ich im Klappentext. Nun ja, so recht eigentlich ist doch jedes Foto ein "Zusammenspiel von Momentbeobachtung und Komposition", doch glaube ich zu erahnen, was mit der tiefen Menschlichkeit gemeint ist. Jedenfalls berühren mich  Lessings Bilder sehr und tun es jedesmal von Neuem, wenn ich zu diesem Band greife.

Verstehen sei ein Gefühl, habe ich bei Robert Adams gelesen. Viele der Aufnahmen in Anderswo lösen in mir sehnsüchtige und auch melancholische Gefühle aus. Das mag zum Teil an den Sujets liegen, doch möglicherweise eben auch daran, dass zum Beispiel das obige Titelbild vom Wiener Westbahnhof im Jahr meiner Geburt aufgenommen worden ist.

Dem Herausgeber Thomas Reche ist aufgefallen, "dass kaum eine der in diesem Band aufgenommenen Personen in die Kamera lächelt, wie es inzwischen längst auch bei Kindern auf Wunsch der Erwachsenen üblich geworden ist, weil man 'positive' Erinnerungsbilder von sich erzeugen und hinterlassen möchte." Das mag auch kulturelle Gründe haben. Letzthin vernahm ich, dass es in Georgien auch heutzutage nicht üblich sei, in die Kamera zu lachen.

Es sind mehrheitlich Alltagssituationen aus der Nachkriegszeit, die in Anderswo abgebildet sind, doch findet sich in dem Band auch etwas zu der Zeit ganz Neues und Ungewöhnliches: Aufnahmen von Polens erster Miss-Wahl im Seebad Sopot, zu der sich Tausende einfanden. "Auf einmal war man in einer anderen Welt, es war kein kommunistisches Regime mehr."

In Zeiten. in denen wir tagtäglich von Flüchtlingsschicksalen lesen und sehr oft mit Bildern von ganz vielen Menschen zusammengepfercht auf einem Boot konfrontiert werden, ist es besonders aufwühlend, Lessings Aufnahmen von mehrheitlich einzelnen Flüchtlingen im türkischen Edirne zu betrachten, weil sie eindrücklich das Verlorensein dieser Menschen vor Augen führen.

Anderswo gehört zu den seltenen Fotobüchern, bei denen sich Bilder wie auch die diese erläuternden Texte durch grosses Einfühlungsvermögen auszeichnen.

"Photographie ist für mich ein wunderbares Medium, um zu reisen und Menschen kennenzulernen. Sie ist aber nicht der Hauptinhalt des Lebens. Der Hauptinhalt des Lebens ist leben. Die meisten Photographen sehen die Welt immer nur durch den Sucher", wird Erich Lessing zitiert. An vielen Orten hat er dabei Stimmungen eingefangen – die mir liebsten, an Filmszenen gemahnend, im norwegischen Tromsö – , die Herausgeber Reche treffend mit "Leben fixieren und bewahren" bezeichnet hat. Schön, dass es diesen Band gibt, er hilft auf behutsame Art und Weise, uns an das Geschenk des Augenblicks zu erinnern.

Erich Lessing
Anderswo
Nimbus Verlag, Wädenswil 2014