Wednesday, 24 February 2016

Kindheit in der Schweiz

Herausgeber Peter Pfrunder unterscheidet in seiner Einleitung zwischen Familienalben "voll von sentimentalen Bildern, die für die Angehörigen zweifellos ihren Wert und ihre Bedeutung haben, darüber hinaus jedoch keine Wirkung entfalten" (er bezeichnet sie als "Visuelle Zuckerwatte"), und Bildern, "bei denen sich die Fotografen forschend, fragend und einfühlsam beobachtend jenem rätselhaften Kontinent Kindheit annähern, durchaus wissend, dass es zwischen Feldforschern und Eingeborenen eine unüberbrückbare Kluft gibt. Diese Kluft lässt sich als Spielraum für Deutungen und Gestaltungen nutzen – wenn es dem Bildermacher gelingt, auch seine eigenen, vielschichtigen, ambivalenten Empfindungen miteinzubeziehen. Um solche Fotografien geht es in diesem Band."

Ich blättere in dem Band, verweile hier und dort, fühle mich einmal mehr und einmal etwas weniger angesprochen, könnte nicht immer genau sagen, wieso, es drängt mich auch gar nicht. Und komme dann auf diese Behauptung zurück – "wenn es dem Bildermacher gelingt, auch seine eigenen, vielschichtigen, ambivalenten Empfindungen miteinzubeziehen" – und frage mich, wie sich das konkret in einer Fotografie zeigen soll, etwa bei den beiden folgenden Abbildungen. 
Theo Frey, Obersaxen, 1948

Es sind wunderbar gelungene Bilder, die dieser Band versammelt. Das muss niemandem erklärt werden, das kann jeder und jede sehen. Sie stammen von bekannten Namen – unter ihnen Gotthard Schuh, Theo Frey, René Burri, Robert Frank oder Paul Senn – , auch ein paar Frauen sind vertreten, ihre Namen (etwa Yvonne Griss, Monique Jacot, Anita Niesz) sind mir nicht vertraut.

Vereinzelt finden sich auch kurze Texte mit einem Kindheitsbezug, doch ohne dass diese mit den daneben abgebildeten Aufnahmen in einem Verhältnis stehen. Eine eigenartige, wenn auch gängige Praxis. Und ein generelles Übel von Fotobüchern.

Nichtsdestotrotz, Kindheit in der Schweiz ist ein überaus gelungener Band. Das liegt auch daran, dass Herausgeber Pfrunder darauf verzichtet hat, die Aufnahmen "nach inhaltlichen Kriterien oder nach äusseren Motiven zu organisieren." Stattdessen hat er sich entschieden, die Bilder so zu behandeln, wie Kinder ihre Welt erleben  – als "Garten voller Überraschungen".
Hans Baumgartner, Thurgau, 1938, Heimweg von der Schulreise

Die Kinderbilder in diesem Band zu betrachten, löst bei mir ganz Unterschiedliches aus. Ob sie vor hundert oder vor zwanzig Jahren aufgenommen worden sind, scheint nicht besonders relevant – auch Fotos, die weit vor meiner Zeit entstanden sind, können ähnliche Gefühle auslösen wie Aufnahmen, über die man mir sagt, dass sie aus der Zeit meiner eigenen Kindheit stammen. Und es gilt auch für die oft farbigen Bilder von Kindern aus jüngerer Zeit.

Kinder, von einst oder von heute, sind Kinder – sehr gegenwärtig, sehr sehnsüchtig und sehr nahe bei ihren Gefühlen. Es tut gut, das gezeigt zu kriegen. Und es erfüllt einen (mich jedenfalls) mit einer Mischung aus Zuneigung, Freude und Wehmut.

Kindheit in der Schweiz
Fotografien
Enfance Suisses
L'Infanzia in Svizzera
Uffanza En Svizra
Herausgegeben und mit einer Einleitung
von Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz
Limmat Verlag, Zürich 2015

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