Wednesday, 22 November 2017

National Geographic: Asien & Ozeanien

Die vorliegende grossformatige Band dokumentiert eine fotografische Reise vom Libanon bis zur Osterinsel. So beeindruckend die Aufnahmen auch häufig sind, die ausgewählten Berichte und Reportagen aus dem Archiv von National Geographic, von denen der Klappentext spricht, sind in diesem Band nicht zu finden, denn er kommt, abgesehen von einem kurzen einführenden Essay von Douglas Brinkley (der sich hauptsächlich mit Mike McCurrys berühmtester Aufnahme, dem afghanischen Mädchen, befasst) ohne Textbeiträge aus, dafür sind die Bildlegenden von Mark Collins Jenkins höchst informativ – eine (sehr willkommene) Rarität, wie jeder weiss, der sich mit Photojournalismus beschäftigt. Als Beispiel möge die Legende zur folgenden Aufnahme von Steve McCurry aus dem Irak dienen.
Irak, 1984 @ Steve McCurry/Taschen
Im Herzen des a-Schahid-Monuments in Bagdad brennt eine ewige Flamme. Die 'Gedenkstätte der Märtyrer' soll augenfällig an den Sieg der Araber über die Perser bei Kadesia im Jahre 637 n. Chr. erinnern. Auf diese Schlacht nahm Saddam Hussein Bezug, als er 1980 das moderne Persien  den Iran  überfiel. Acht Jahre später, als er den ersten Golfkrieg (1980-1988) mit Unterstützung des Westens und der arabischen Golfstaaten sowie durch den Einsatz chemischer Waffen beendet, ehrt dieses Denkmal auch die halbe Million Iraker, die in diesem Krieg gefallen sind (eine Million Tote auf iranischer Seite zählen allerdings nicht). Letztlich sind aber alle Opfer umsonst, denn kein Quadratzentimeter Land wechselte den Besitzer.

Ganz viele und ganz erstaunliche Bilder sind in diesem prächtigen Band zu sehen. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Etwa wenn ich die Aufnahme von Kal Muller (der im Anhang, der die Biografien der Fotografen auflistet, fehlt) von den Neuen Hebriden aus dem Jahre 1969 betrachte, worauf ein Mann von einem 25 Meter hohen Turm springt, der aus Lianen, Langhölzern und Ästen zusammengebastelt wurde. Bungee-Jumping ohne Gummiseil, bei dem der Mann von Lianen an seinen Knöcheln kurz vor dem Boden abgefangen werden soll.
Libanon, 1957 @ Thomas Abercrombie/Taschen
Ein Schäfer führt seine Schafe über die Rue Georges Picot in Beirut. Ein Kontrast, dem man Mitte des 20. Jahrhunderts oft begegnet: Der Mann trägt ein arabisches Gewand, aber auch ein Sakko westlichen Stils. Teils islamisch, teils christlich, teils morgenländisch, teils abendländisch ist die Hauptstadt des Libanon das "Paris des nahen Ostens". Beirut ist ebenso berühmt für seine glanzvollen Cafés wie für seine Basare, Banken und Handelshäuser.

Es ist selten, sehr selten, dass mich Bildlegenden (es ist eine Kunst, Vielfältiges und Komplexes kurz und prägnant in Worte zu fassen) geradezu begeistern, weshalb ich denn auch gleich auf noch ein Beispiel aufmerksam machen will. Eine schwarz/weisse Aufnahme aus Afghanistan aus dem Jahre 1931 von Maynard Owen Williams zeigt Lastesel, die an den riesigen Buddha-Statuen des Bamiyan-Tals vorbeiziehen. "'Niemals zuvor wurden solche Aufnahmen gemacht, wie sie mir gelangen', begeisterte sich der National Geographic-Fotograf in einem Brief an die Redaktion. Williams ist einer der ersten Berufsfotografen, die in ein Land einreisen dürfen, das bis 1919 für Ausländer gesperrt war. 70 Jahre nach dieser Aufnahme werden die berühmten Standbilder von fanatischen Taliban-Milizen zerstört."
Indonesien, 1988 @ Charles O'Rear/Taschen
Jakartas imposante Istiqlal-Moschee ist zur Gebetszeit voll besetzt. Die Gläubigen richten sich gen Mekka. Der Journalist Tracy Dahlby hat den Auftrag, über das in Schwierigkeiten geratene Indonesien, die grösste muslimische Nation auf Erden, zu berichten und kommt zu dem Schluss, "der Weg in die Zukunft verlaufe durch die islamische Identität des Landes."

"Die lebhaften Kodachrome-Bilder, die Sie hier sehen, zeichnen die Geschichte des 20. Jahrhunderts nach: beispielsweise den Aufstieg und Fall der UdSSR, ein aufkeimendes Umweltbewusstsein, das Verschwinden oder die Rettung gefährdeter Arten", notiert Douglas Brinkley. Dass diese Geschichte immer unvollständig bleiben wird, versteht sich, doch die Akzente, die dieses eindrückliche Werk setzt, sind aufregend, anregend und lehrreich. So lernte ich unter anderem, dass die vermutlich höchstgelegene Mine der Welt (die Grasberg-Mine auf Neuguinea) auf knapp 4 000 Metern über Meer liegt und dass die Russen ganz ähnlich über Sibirien denken wie die Amerikaner einst über ihren Westen dachten.

National Geographic
In 125 Jahren um die Welt
Asien & Ozeanien
Herausgegeben von Reuel Golden
Taschen Verlag, Köln 2017

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