Wednesday, 27 March 2019

Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn

Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn schildert die Gedankengänge und Empfindungen des siebzigjährigen Harry, der in seinen alten Texten liest und dabei vor allem ernüchternde Entdeckungen macht – es ist eine philosophische und selbstironische Auseinandersetzung mit den Welträtseln, der Suche nach Sinn und unserem Bedürfnis nach Orientierung.

Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn ist gleichzeitig Reiseerzählung, Essay und Tagebuch. Szenen aus der Wirklichkeit wechseln ab mit Erfundenem. Gedankensplitter, Zitate, Beobachtungen von vor zwanzig Jahren und aus der Gegenwart stehen neben- und hintereinander, in verschiedenen Sprachen, ohne Kontext, ganz so wie das eben im richtigen Leben auch der Fall ist, in dem einem gleichzeitig alles Mögliche durch den Kopf geht. 

Grosse Teile handeln von Harrys Erlebnissen in Brasilien, Südostasien und China, wo die Menschen, entgegen seinen Erwartungen und Hoffnungen auch nicht besser zu leben wissen als im vertrauten Europa.

Nichts geht auf, alles ist im Fluss, Bedeutungsvolles und Gescheites steht bequem neben Banalem und Komischem. Im schlechtesten Fall, so Harrys Erkenntnis, dreht man durch, im besten Fall lernt man das Leben leicht zu nehmen.

Hans Durrer
Harrys Welt oder Die Sehnsucht nach Sinn
Ansichten und Einsichten
neobooks, München 2019

Wednesday, 20 March 2019

100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern

Für einmal fasst der Buchtitel akkurat zusammen, was im Buch zu finden ist. Es ist anzunehmen, dass Wirtschaftsberater davon abgeraten haben. Katapult-Chefredakteur Benjamin Fredrich weist nämlich in seinem Geleitwort auf die Katapult-Philosophie hin, die sich dadurch auszeichnet, beharrlich das Gegenteil von dem zu machen, was Wirtschaftsberater einem sagen. "Das sind dann die besten Hinweise der Welt. Danke."

Ich lerne Einiges in diesem Buch. Dass Bangladesch weltweit über die grösste Bevölkerungsdichte verfügt, gefolgt von Taiwan, Südkorea, Ruanda und Haiti. Oder dass Hemingway an zwei Weltkriegen teilnahm, zwei Flugzeugabstürze überlebte, drei Söhne und vier Ehefrauen gehabt hatte.  

Ganz Unterschiedliches wird mittels dieser hundert Karten beantwortet. Etwa die Frage, wo die meisten Orte mit Bezug zum Kotzen liegen. In Bayern. Oberkotzau, Kotzendorf, Grosskotzenreuth und Kleinkotzenreuth. Oder welches die zehn grössten Meere, gemessen an ihrer Oberfläche sind. Rang eins nimmt die Philippinensee ein, Rang zehn das Mittelmeer.

Die Karte, die Saudi-Arabien, dargestellt anhand seiner Flüsse zeigt, ist ... leer d.h. es gibt sie nicht, denn in Saudi-Arabien gibt es weder Flüsse noch Seen, sondern nur einige wenige Wadis, also Täler oder trockene Flussläufe, die nur bei starken Regenfällen Wasser führen.

Eine der witzigsten Karten zeigt die Welt nach einem Meerespiegelanstieg von 8800 Metern – einzig ein kleiner Punkt ist zu sehen, der als Everest-Insel bezeichnet wird. "Nur Reinhold Messner hätte überlebt." 

Was glauben Sie, welches Land in Sachen Alkoholkonsum an der Spitze steht? Wo werden die Menschen am ältesten? Was sind weltweit die einfallslosesten Strassennamen? All dies und noch viel mehr, werden sie in diesem witzigen und aufklärenden Buch erfahren. Was die Strassennamen anlangt, hier nur soviel: in den USA ist der häufigste '2nd Street', dicht gefolgt von '1st Street' ...

KATAPULT
100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern
Hoffmann und Campe, Hamburg 2019

Wednesday, 13 March 2019

Lewis W. Hine: America at Work

"Der Fotograf, Lehrer und Soziologe Lewis W. Hine (1874-1940) hat unser Bildgedächtnis von der amerikanischen Arbeitswelt des frühen 20. Jahrhunderts wie kein anderer geprägt", lese ich im Klappentext und frage mich, ob es wohl heutzutage Fotografen (weiblich wie männlich) gibt, von denen Ähnliches zu Recht gesagt werden könnte, denn so fassbar wie die damalige Zeit scheint uns Heutigen so ziemlich gar nichts mehr. Die Deutungshoheit der sogenannten Leitmedien ist weitgehend dahin – und das ist gut so, denn allzu oft haben sie nichts anderes getan als einflussreichen Leuten eine Plattform zu bieten, um noch einflussreicher zu werden –, doch die daraus resultierende Unübersichtlichkeit ist problematisch, weil sie den sozialen Kitt, zu dem die traditionellen Medien eben auch beitrugen, weitgehend zum Verschwinden gebracht hat
Wolkenkratzer-Bauarbeiter auf einem Stahlträger 
auf der Baustelle des Empire State Building.
New York City, 1931

Mit Lewis W. Hine assoziiere ich automatisch das Empire State Building und die berühmte Aufnahme der Bauarbeiter, die in luftiger Höhe nebeneinander auf einem Stahlträger sitzen, rauchen und sich unterhalten. Dieses Bild findet sich nicht in diesem Band, doch dafür andere (und überaus eindrückliche) aus der Zeit als dieses Gebäude gebaut wurde – die meisten hatte ich noch nie zuvor gesehen, obwohl mir die Arbeiten des Dokumentaristen Lewis W. Hine nicht unvertraut sind.

Hine verbrachte die ersten Jahre seines Lebens ohne materielle Sorgen (sein Vater betrieb ein Café, seine Mutter arbeitete zeitweise als Lehrerin) in einer Kleinstadt in Wisconsin. Der Unfalltod seines Vaters bedeutet jedoch eine Zäsur, fortan muss er mit schlecht bezahlten Jobs mitverdienen – er kennt also die Bedingungen der Kinderarbeit, die er später dokumentieren sollte, aus eigener Erfahrung.

Er wurde vom Kinderschutzkomitee angeheuert und begann ab 1906, neben seiner Arbeit als Lehrer, die Heimarbeit von Minderjährigen in New York zu dokumentieren. Die Bildlegenden der Aufnahmen von Zeitungsjungen erwähnen meist deren Alter (die manchmal erst 12 Jahre alt waren) sowie den (äusserst mageren) Verdienst.
11 Uhr, Montag, 9. Mai 1910
Zeitungsjungen am Skeeter's Branch, Jefferson, bei Franklin.
Alle haben geraucht.

A moment in time werden Fotografien oft genannt und selten war das treffender als bei der obigen Aufnahme, die heutzutage so wohl nicht mehr vorstellbar wäre.

Es ist eine eindrückliche Zusammenstellung, die Peter Walther mit diesem umfangreichen Band vorlegt, die überzeugend demonstriert, dass die Dokumentarfotografie (bei welcher die Bildlegenden genau so wichtig sind wie die Bilder) entscheidend von der Haltung des Fotografen geprägt ist.

"Die ganze Zeit musste ich dafür sorgen, dass meine Fotografien 100% echt waren – nichts durfte retuschiert, nichts durfte, auf welche Art auch immer, gefälscht werden. Das hatte zur Folge, dass ich bei der Straight Photography blieb, die mir von Anfang an am meisten zugesagt hatte."
Eine typische Gruppe von Botenjungen der Post in 
Norfolk, Va. Der Kleinste ganz links, Wilmore Johnson,
ist seit einem Jahre dabei. Er arbeitet nur tagsüber. Die 
Jungen bei der Post sind in Norfolk und in anderen
Städten in Virginia bei weiten nicht so klein wie die
jungen bei Western Union.

Der handliche Band zeigt auch Aufnahmen der Einwanderer auf Ellis Island – von 1880 bis 1900 strömten über neun Millionen Neuankömmlinge in die USA, die meisten über Ellis Island – sowie aus Europa, wo er 1918/19 die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs dokumentiert.

"Ich habe zweierlei gewollt", hat Hine seine Arbeit als Fotograf zusammengefasst, "ich wollte die Dinge zeigen, die korrigiert werden müssen. Und ich wollte die Dinge zeigen, die Beachtung verdienen."

Peter Walther
America at Work
Englisch / Deutsch / Französisch
Taschen, Bibliotheca Universalis, Köln 2018

Wednesday, 6 March 2019

Recovered Memories of Paris and New York

“Why New York and Paris?” journalist and photographer Frank Van Riper asks. “New York is simple: It’s what I am. I was born in Manhattan and grew up in the Bronx, just blocks from Yankee Stadium. New York is in my blood, along with egg creams, the Daily News, the subway pastrami, and cannoli. Paris came more slowly, after my friends Neil and Carol Offen moved to France in 1976 for what would be a nine-year stay, first in Paris and then in Provence, after which they wrote an amazing (though sadly unpublished) book about France and the French of their day. My frequent visits to these New York-born Francophiles helped form my appreciation – and ultimately my love – of Paris.”

The photos in this tome illustrate this love. They also lead to images that exist in my own memory of these two cities. The fact that they are all in black and white certainly contributes to the feelings of nostalgia that come over me when spending time with these heart-warming images. The fact that they were taken before “B.I.”, as Van Riper calls it, before the internet, that is, means that they bear testimony to people, places and things actually observed. Or differently put: “If you wanted to experience something back then, you had to be there. You went to the ballpark, the theater, the concert, the reading, the lecture.” And, the photos in this book convey this presence.

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