Wednesday, 30 October 2019

Sebastião Salgado: Gold

"When I first reached Serra Pelada, I was left speechless. Before me, I saw a vast hole, perhaps 200 meters in diameter and almost as deep, teeming with tens of thousands of barely clothed men, roughly half of them carrying heavy sacks up broad wooden ladders, the others leaping down muddy slopes back into the cavernous maw." This is how Sebastião Salgado introduces his by now legendary tome GOLD. This is the apocalypse, was my first reaction to this in every sense of the word stunning pictures. I look at them and think: This is not real. But it is. All of it. And, as always when confronted with the truth, we (I do assume I am not the only one) can  hardly believe what our eyes are showing us. Or, differently put, what Sebastião Salgado has photographed.
Copyright@Sebastião Salgado / Taschen

In order to take these photographs, Salgado had to earn the trust of the people portrayed. "When I climbed down into the hole, no one spoke to me; some even purposely soiled my khaki outfit with mud. It quickly became clear to me that I was the target of a spontaneous protest against the powerful mining company." When subsequently he was led away by a policeman and later released, he was safe. "This run-in with the hated police would help me enormously in the weeks ahead."

The workers he met were very varied – some couldn't neither read nor write, others had been to university. They all lived in barracks, there were no women. Like everywhere, there were also homosexuals. And, needless to say, there were tensions but Salgado also observed tenderness. They were all slaves of their dreams. In his autobiography, he recounts a story that made him smile."You're lucky to live in Paris, Sebastião", said a though looking guy. "Should I find gold, it is my dream to go there and have silicon tits made, they're the best there."
Copyright@Sebastião Salgado / Taschen

It is necessary to take one's time in order to somewhat understand what we are looking at. "I soon learned that what at first glance looked like a disorderly movement of men was in fact a highly sophisticated system, in which every one of the more than 50,000 men working there knew the role he had chosen to play."

 But why would anybody do that? What drove men to abandon their families, leave their homes and take such risks? Needless to say, one can only guess. Mine is that they are primarily driven by hope (the greatest motivator of all) of a better life.

Discounting talent, patience, and courage, Alan Riding opines, what most distinguishes these photographs from earlier coverage of this mine was that they were in black and white. "Salgado's black-and.white photographs project an immediacy that makes them vividly contemporary. We know that the mine at Serra Pelada is now closed, yet the intense drama of the gold rush leaps out of these images. Somehow, in black and white, time has a way of standing still."
Copyright@Sebastião Salgado / Taschen

The Brazilian gold rush started in 1979 when gold was discovered in a stream, it was however hardly the first such fever to strike the Americas. "Landing on the Mexican coast in 1519, Hernán Cortés informed the Aztec emperor that his men suffered from an illness that only gold could cure. And the get-rich-quick stampede continued, reaching heights of madness in the California Gold Rush of the 1840s and Canada's Klondike scramble 50 years later."

What these photos (in fact, most of Salgados photos) show is the inexplicable. What I'm presented with makes me wonder and leaves me stunned. A beehive comes to mind. Rarely has it been more apparent to me that we are very strange creatures.

Sebastião Salgado
GOLD
English, Deutsch, Français
Taschen, Cologne 2019

Wednesday, 23 October 2019

Durch die Nacht

Stig Sæterbakken (1966-2012) gehöre zu den wichtigsten norwegischen Autoren der letzten Jahrzehnte, entnehme ich der Verlagsinformation und rege mich bereits auf, weil das eine dieser absolut idiotischen Aussagen ist (dass sie von Karl Ove Knausgård ist, macht sie nicht besser), die allerdings wunderbar in unsere Zeit der Superlative passt. Wichtig für wen? Nach welchen Kriterien? etc. etc. Sicher, mir wäre auch lieber, ich könnte das entspannter sehen, einfach als Ausdruck der gängigen Marketing-Mentalität, nur eben: ich empfinde Marketing an sich schon eine Zumutung.

Doch ich will zum Text kommen. Und der  hat es in sich. Der achtzehnjährige Sohn des Zahnarztes Karl Meyer hat  Suizid begangen. Karls Frau Eva steht unter Schock, die Tochter Stine verstummt, der Zahnarzt hört von einem Haus in der Slowakei, wo "man mit den schlimmsten Ängsten seines Lebens konfrontiert werde" und das man entweder gebrochen oder geheilt verlässt.

Stig Sæterbakken erzählt vom Beginn seiner (des Zahnarzts) Liebe zu Eva (ich lese diesen wie auch jeden anderen Text als weitestgehend autobiografisches Dokument. Andererseits: "Ich wunderte mich, wie sie, unverheiratet und gänzlich unerfahren, was langjährige Beziehungen anging, so eingehend und durchaus überzeugend und wahrheitsgemäss, wie ich oft festgestellt hatte, von etwas schreiben konnte, nie selbst erlebt hatte. Einmal versuchte sie mir, ohne dass ich es wirklich nachvollziehen konnte, zu erklären, dass man oft am besten über das schreibt, wovon man am wenigsten versteht.") und stosse dabei auch auf diesen wunderbar wachen, mich begeisternden Satz: "... und ich war in Gedanken ganz bei ihr, dadurch, dass ich nicht ein Mal an mich dachte, war ich voll und ganz ich selber." Als Eva ihn fragt: "Was glaubst du, wir beide für immer?" schreckt er zusammen und fragt sich, "wie oft die Fragen, die wir dem anderen stellten, in Wirklichkeit Fragen waren, die wir selbst gestellt haben wollten." Es dauert dann eine Weile, bis er sich findet. "Eva? "Ja?" "Ich liebe dich."

Dem Suizid des Sohnes ist eine Liebesverhältnis von Karl mit der wesentlich jüngeren Mona vorangegangen. Der Sohn ist wütend darüber, die Tochter nimmt es einigermassen gelassen und Eva verhält sich derart beherrscht, dass Karl es fast nicht aushält. Das ist derart eindringlich geschildert, dass einem gelegentlich fast der Atem stillsteht.

Die Beziehung mit Mona hält nicht. "Als ob ihre Vorstellung von Liebe darin bestand, geliebt zu werden, aber nicht zu lieben ... Ein egozentrisches Kind." Karl kehrt zu seiner Familie zurück, doch nichts ist mehr wie es einmal war und so verlässt er sie wieder, reist nach Deutschland und dann zu diesem Haus in der Slowakei, begleitet von Erinnerungen, wo man nicht das bekommt, was man haben möchte. "sondern das, was man nicht haben will."

In einem Lokal kommt er mit einem alten Mann ins Gespräch, der ihm erklärt, das Haus wirke wie eine Art Depressivum und dass alle, die hineingingen, verzweifelt wieder heraus kämen. "Mir wurde klar, dass ich mich so gern mit ihm unterhalten hatte, weil er über das gebotene Mass hinaus mitteilsam war und auch mir Fragen gestellt, nicht bloss auf die meinen geantwortet hatte, sodass ich bis ganz zum Schluss darauf hoffen konnte, er würde mich fragen, wozu ich gekommen sei, warum um alles in der Welt ich in dieses schreckliche Haus wollte."

Und dann tritt er ein ...

Stig Sæterbakken
Durch die Nacht
Dumont, Köln 2019

Wednesday, 16 October 2019

Tagebuch eines Buchhändlers

Sie sind rar, die Bücher, bei denen ich schon nach ein paar Zeilen weiss, dass ich sie mögen werde. Sehr rar. Dass Shaun Bythells Tagebuch eines Buchhändlers dazugehören wird, ist mir klar, als ich lese, dass Dylan Moran "das Klischee des ungeduldigen, intoleranten, ungeselligen Buchhändlers" in Black Books perfekt dargestellt habe. Nein, ich kenne den Film Black Books nicht, aber ich habe den Comedian Dylan Moran einmal auf youtube erlebt, wo er erklärte, Donald Trump (D.T.) sei die Art nerviger Dummschwätzer, bei dem man, falls dieser im Bus hinter einem sässe, sich sofort die Ohrenstöpsel reinmache – und mehr gibt es zu D.T. nun wirklich nicht zu sagen.

Shaun Bythell führt seit 2001 im schottischen Wigtown die grösste Secondhand-Buchhandlung des Landes und beschreibt in seinem Tagebuch die Freuden und Leiden eines leidenschaftlichen Büchermenschen, der sich mit seiner Teilzeit-Mitarbeiterin Norrie, zu deren Lieblingsthemen die Evolution gehört, immer mal wieder Bücher-Gefechte liefert. "Nicht selten entdecke ich, dass sie Ausgaben von Darwins Entstehung der Arten ins Belletristik-Regal einsortiert hat. Ich revanchiere mich mit der Bibel (ihrer Ansicht nach ein Geschichtsbuch) zwischen den Romanen."

Shaun Bythell ist ein eigensinniger Mensch, Bücher mag er sich nicht empfehlen lassen, "weil ich lieber den Naiven spiele und mir vormache, meine eigene literarische Goldgrube zu sein." Das kenne ich auch von mir. Und ebenso, dass ich mich dann doch gelegentlich von der Begeisterung anderer anstecken lasse. Ihm ist es mit William Boyds Eines Menschen Herz so ergangen. Mir selber mit Klaus Cäsar Zehrers Das Genie und Hanya Yanagiharas Ein wenig Leben.

Bythells Antiquariat ist nicht spezialisiert, doch Bücher zum Thema Eisenbahn verkaufen sich am besten, "eine Tatsache, die ich mir vor fünfzehn Jahren, als ich das Geschäft übernahm, niemals hätte träumen lassen." 

Zu den Vorzügen dieses Buches gehört es auch, zahlreiche Absurditäten des Alltags zu dokumentieren. "Um elf Uhr hat eine extrem füllige Frau sechs Kisten mit Kochbüchern hereingebracht, die vor allem das Thema Diät behandelten."

Ausgesprochen skurrile Typen, darunter häufig Exzentriker, tauchen regelmässig im Laden auf. Nicht wenige feilschen um den Preis, andere sind notorische Besserwisser, Normalos scheinen eher selten den Weg ins Antiquariat zu finden. Und auch die Mitarbeiterin Nicky ist ein sehr spezieller Charakter. "Nicky kam heute wie gewöhnlich um diese Jahreszeit in ihrem schwarzen Skianzug ins Geschäft. Sie sah aus, als würde sie zur Tiefkühlabteilung einer Grossmetzgerei gehören und nicht in einem Antiquariat arbeiten."

Tagebuch eines Buchhändlers klärt auch auf, etwa über das Phänomen der Bestseller. "Was auf dem Buchmarkt der Neuerscheinungen als Bestseller gilt, ist genau jene Art Buch, die in der Antiquitätsbranche wenig Erfolg hat."

Dann gibt es aber auch Stellen in diesem Buch, die nur am Rande mit Büchern und dem Buchgeschäft zu tun haben, doch mich in der Gewissheit bestärken, dass Buchliebhaber eindeutig mehr drauf haben und oft spannendere Menschen sind als Nicht-Büchermenschen. Nehmen wir den Bücher-Freak Callum aus Nordirland. "Sein ausgesprochen abwechslungsreiches Arbeitsleben hat ihm eine Reihe höchst interessanter Jobs beschert – von einer geologischen Expedition in Venezuela über das Sammeln der Zapfen von Waldkiefern im schottischen Hochland bis hin zu einer Stelle als Finanzberater. Momentan hackt und verkauft er unter anderem Brennholz. Ich vermute, wir verstehen uns deshalb so gut, weil keiner je von sich gedacht hat, für irgendeinen Beruf karrieretauglich zu sein ...".

Karrieretauglich ist übrigens auch Bythells frühere Angestelltere Sara nicht, die von ihm mit der Aufforderung "Streng dich besser an, du Arsch, sonst komm ich persönlich vorbei"  eine Referenz forderte. Und so beschrieb er wie er sie erlebt hatte: "In der Regel war sie extrem unhöflich und aggressiv. Sie tat fast nie, worum man sie bat ..." (er wurde dann noch deutlicher).

Fazit: Unterhaltsam, witzig und aufklärend.

Shaun Bythell
Tagebuch eines Buchhändlers
btb, München 2019

Wednesday, 9 October 2019

Schluss mit dem täglichen Weltuntergang

Die wertvollste Ressource im 21. Jahrhundert sei unsere Aufmerksamkeit, meint Maren Urner in Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. Das zu verstehen, ist notwendiger denn je – vorausgesetzt natürlich, man will über sein Leben mitbestimmen. Nur eben, die meisten wollen das gar nicht, denn für die überwiegende Mehrheit gilt, was die alten Römer bereits wussten: mundus vult decipi, die Welt will betrogen werden. Mit anderen Worten: Dieses Buch richtet sich an die, welche mitentscheiden wollen, wie sie ihr Leben verbringen.

William James drückt es pointiert aus: "Unser Leben ist nichts anderes als das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten." Zwei Jahre später notierte er: "Unser ganzes Leben, solange wie es eine bestimmte Form hat, ist nichts als eine Anhäufung von Gewohnheiten." Angesichts von Studien, die herausgefunden haben, dass zwischen 50 und 95 Prozent unserer Handlungen nichts anderes als Gewohnheiten sind, ist das einleuchtend.

Dass wir die meiste Zeit unseres Lebens auf Autopilot unterwegs sind, hat natürlich sein Gutes. Ich bin wohl nicht der Einzige, der, wäre er denn für seinen Atem oder seinen Herzschlag zuständig, gänzlich überfordert wäre. Maren Urner formuliert die Vorteile von Gewohnheiten (schmunzelnd, stelle ich mir vor) so: "Nicht nur verhältnismässig einfache Dinge, wie das Tippen auf einer Tastatur, Kochen und Radfahren, können zur Gewohnheit werden, sondern auch komplexe Zusammenhänge, wie das Frühstücksgespräch zwischen dem lang verheirateten Ehepaar, das trotz laufenden Radios und Zeitungslektüre mühelos gelingt."

Doch natürlich gibt es auch Gewohnheiten, die eher Fluch denn Segen sind. Man denke an Süchte oder den Medienkonsum. "Nachrichten sind stressiger als die Realität" lautet ein treffender Zwischentitel, denn nicht nur zeichnen die Medien ein übertrieben negatives Bild der Welt, sie bringen uns auch dazu, uns hilfloser zu fühlen als wir wirklich sind. Nur eben: Wir können uns wehren, etwa indem wir entscheiden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.

Maren Urner argumentiert einleuchtend und untermauert alles mit Studien, wie das Akademiker eben so tun, auch wenn für das meiste, das sie behauptet, der gesunde Menschenverstand durchaus genügen würde. "Bekommen wir immer wieder nur das vorgesetzt, was falsch läuft in der Welt, sorgt das bei uns nicht nur für ein negatives Weltbild und möglicherweise chronischen Stress, der uns krank machen kann. Er lässt uns auch hilflos zurück."

Klar, das ist no good, was also schlägt sie vor? Das Konzept des von ihr mitbegründeten Perspective Daily, das einen neuen Blick auf die Welt propagiert. Dieser orientiert sich an einem Merksatz, der banal klingen mag, aber eben nur dann, wenn man nicht darüber nachdenkt: "Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen." Nein, so einfach ist es nicht, und ja, Journalisten haben selten Lösungen parat, doch wer Lösungsansätze diskutiert, geht konstruktiv mit dem Leben um – und genau darum geht es. 

Auf der Strecke geblieben ist mir bei diesem Ansatz voller bester Absichten und reich an nützlichen Vorschlägen, dass da ein paar wesentliche Funktionen der traditionellen Medien ausgeblendet werden. Etwa die Ablenkung oder die Unterhaltung, denn nichts ist für eine Gesellschaft wichtiger als Stabilität, die man dadurch erreicht, dass man den Leuten "Brot und Spiele" vorsetzt.

Fazit: Schluss mit dem täglichen Weltuntergang ist ein empfehlenswertes Plädoyer gegen die Ignoranz und fürs Aufstehen gegen Bullshit.

Maren Urner
Schluss mit dem täglichen Weltuntergang
Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren
Droemer Verlag, München 2019

Wednesday, 2 October 2019

My French Zen Pics

Sévrier, Lac d'Annecy

Sévrier, Lac d'Annecy

Annecy

Annecy

Annecy