Wednesday, 28 August 2019

Lisbeth Salander, Kriegerin

Ein Obdachloser asiatischer Herkunft lehnt tot an einer Birke in Stockholm. In seiner Hosentasche befindet sich ein zerknüllter Zettel mit der Telefonnummer des Investigativjournalisten Mikael Blomkvist, der in der Folge von der Rechtsmedizinerin Fredrika Nyman kontaktiert wird.

David Lagercrantz hat schon in seinen drei Stieg Larsson Weiterführungen gezeigt, dass er spannend zu erzählen weiss und darin Larsson in nichts nachsteht. Was er überdies genauso gut beherrscht, ist das Vermitteln psychologischer Befindlichkeiten. So leidet die neunundvierzigjährige Rechtsmedizinern Nyman, alleinstehend mit zwei Kindern, nicht nur an Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit, sondern auch an einem Gefühl allgemeiner Sinnlosigkeit und auch Journalist Blomkvist, „versuchte sich einzureden, dass das Leben vielleicht doch nicht ganz so beknackt war“, was ihm allerdings nicht sonderlich gut gelingt.

Neben Mikael Blomkvist gehört auch Lisbeth Salander, eine Frau von „kompromissloser Unabhängigkeit“ zum Personal von Lagercrantz/Larsson. Lisbeth, die seit der Kindheit mit ihrer Schwester Camilla verfeindet ist, plant in Moskau ein Attentat auf ihre Schwester, die unter dem Schutz der russischen Mafia steht – der Anschlag geht fehl.

Neben der Fehde zwischen Lisbeth und Camilla handelt „Vernichtung“ zentral von einem Sherpa (die Sherpas sind eine Ethnie, die überwiegend im Osten Nepals lebt und glaubt, dass in den Bergen Götter und Geister leben und mittels religiöser Rituale respektiert und verehrt werden müssen), und einem schwedischen Verteidigungsminister, der an einer dramatischen Mount-Everest-Besteigung beteiligt war. Auch eine Rolle spielen Politik, Spionage und Verrat. Und die Medien. Als dann Mikael Blomkvist plötzlich spurlos verschwindet, macht sich Lisbeth Salander auf die Suche nach ihm ...

Einer der wesentlichen Gründe, weshalb ich Lagercrantz/Larsson so sehr mag, ist (neben den absolut genialen Übergängen – es werden mehrere Geschichten gleichzeitig erzählt) die no-nonsense Lisbeth Salander, diese Kriegerin. „Sie musste wieder stark werden und fokussiert.“ Und: „Doch in einem fort suchte die Vergangenheit sie heim, und das behagte ihr nicht. Sie hatte keine Zeit für Vergangenes.“ Mut, Entschlossenheit und Gegenwärtigkeit machen diese Kriegerin aus.

Aufschlussreich an „Vernichtung“ sind auch die Beobachtungen über menschliches Verhalten, die Lagercrantz immer wieder einfliessen lässt. „Wenn man hier schon so lange wohnt wie ich, dann sieht man nichts mehr. Man läuft herum wie ein Blinder“, sagt Mikael Blomkvist einmal, der ein andermal von einer Journalisten-Kollegin darauf hingewiesen wird, dass eine Leitartiklerin und Kolumnistin, die er nicht mag, weil sie ihm zu konservativ und perfekt ist, aus gutem Grund sich für Recht und Ordnung stark mache. „Sie ist in der Gosse aufgewachsen. In einem drogenversifften Hippiekollektiv in Göteborg. Ihre Eltern waren in einer Tour auf LSD und Heroin. Zu Hause das reinste Chaos aus Müll und vollgedröhnten Junkies. Die Klamotten und diese Ordentlichkeit – das war ihre Art zu überleben. Sie ist eine Fighterin, auf gewisse Weise ist sie eine Rebellin.“

Es sind, neben der spannenden Erzählung, diese kämpferischen Charaktere, die jedoch nie eindimensional daher kommen – so heisst es etwa über die gerade geschilderte Frau „.... und selbst wenn sie nie darüber nachgedacht hatte, sich das Leben zu nehmen, verlor sie doch hie und da den Boden unter den Füssen und litt wie ein Tier.“ – , die „Vernichtung“ überzeugend machen.

"Vernichtung" ist ein temporeicher Thriller zum mitfiebern

David Lagercrantz
nach Stieg Larsson
Vernichtung
Wilhelm Heyne Verlag, München 2019

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