Wednesday, 3 June 2020

Der Gärtner im Dschungel

. Mein Interesse an diesem gut in der Hand liegenden Buch gründet einerseits darin, dass ich mit Helmut Salzinger (1935-1993) seine Musikkritiken im legendären Sounds verbinde (er publizierte sie unter dem Namen Jonas Überrohr), auch wenn ich keine wirkliche Erinnerung mehr an sie habe (mein damaliger Favorit war Jörg Gülden), und hat andererseits mit dem Zitat auf dem Buchumschlag zu tun, das meine Grundeinstellung zum Leben auf diesem Planeten treffend zusammenfasst: "Wenn wir etwas vom Wesen des Menschlichen begriffen haben, dann dieses: dass der Mensch als Natur- und Lebewesen von keinerlei Bestimmung über die Erde gesetzt ist, sondern dass er von gleicher Art ist wie alles Lebendige." (Es ist übrigens nicht das ganze Zitat, dieses findet man im Buch).

Unter dem schönen Titel "Schreiben wie die Maus buddelt" hat Mathias Bröckers ein schlaues Vorwort beigesteuert, in dem er unter anderem Salzingers Garten-Philosophie als umfassende Bioethik charakterisiert. "Weniger in programmatischen Sätzen als in den alltäglichen Beobachtungen, den mit offenen Sinnen eingefangenen Wechselwirkungen dieses unendlich vielfältigen Universums der Gräser, Büsche, Blätter und Bäume. Und in der geschärften Wahrnehmung für alles, was mit und zwischen ihnen lebt, einschliesslich des Gärtners selbst, dem der Garten nicht nur zum Wohnort, sondern, indem er ihn anschaut, auch zum Meditationsraum wird."

Helmut Salzinger und seine Frau hatten ein Haus fern der Stadt gesucht und waren im nördlichen Teil des Weser-Elbe-Dreiecks im Lande Hadeln fündig geworden. Auf die zwei Morgen Land (das sind fünftausend Quadratmeter), die mit dabei waren, waren sie jedoch nicht wirklich vorbereitet. Der Gärtner im Dschungel handelt von den Erlebnissen der beiden in ihrem neuen Lebensraum. Und ist eine differenzierte, gescheite, witzige und lehrreiche Lektüre.

Ich habe mich bestens identifizieren könne mit diesem Werk, obwohl ich mich noch nie zum Gärtnern gedrängt gefühlt habe. Ich lese lieber Bücher darüber und nicke dann immer mal wieder zustimmend, etwa bei Sätzen wie diesem: "Ein gutes Gartenbuch kommt allein aus der Erfahrung. Mit entsprechenden Konsequenzen für die Handlungsanweisungen, die gewöhnlich auf die Empfehlung hinauslaufen, die eigenen Erfahrungen gefälligst selber zu machen."

Der Gärtner im Dschungels machte mich auch oft schmunzeln und gelegentlich laut herauslachen. "Dass sich in unserm Garten Schlangen eingefunden haben, nehmen wir natürlich als Vertrauensbeweis, als Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind." Was allerdings nicht von allen erkannt wird. So mähte ihr Nachbar Richard, der ihnen eine Gefallen tun wollte, in ihrer Abwesenheit die Wiese, worin sie eine grosse Zahl Eiben und Geissblattranken gepflanzt hatten, deren betäubenden Duft sie gehofft hatten, im Frühjahr geniessen zu können.

Lehrreich ist dieses Buch überdies für Menschen, denen es schon schwer genug fällt, "eine Kuh von der anderen zu unterscheiden, einen Spatz von dem anderen, eine Maus von der anderen, eine Ameise, Biene, Fliege vor den anderen." Und so lerne ich unter anderem, dass Schafe ihrer dicken Wolle wegen gegen Stromschläge von  Elektrozäune geschützt sind. Oder dass Steine dem Schutz des Bodens vor dem Umgegraben-Werden dienen.

Helmut Salzinger war ein Bildungsbürger und zeigte es auch. Jünger, Hesse und Goethe erwähnt er, auf Vergil und Hesiod nimmt er Bezug und auch die antiken Werke über den Land- und Gartenbau dürfen nicht fehlen. Inspirieren lässt er sich jedoch auch von Carlos Castanedas Don Juan und dessen Krieger-Ideal.

Mathias Bröckers hat die Essenz dieses schönen Buches treffend so formuliert: "Ohne eine Weltrevolution der Seele, ohne eine Veränderung des Innersten, des Bewusstseins, ohne eine radikale Umwertung aller Werte und vor allem seines, des Menschen, Wert als 'Mass aller Dinge', muss jede globale Versöhnung mit der Natur ein frommer Wunsch bleiben."

Fazit: Gut geschriebene, differenzierte, unterhaltsame und anregende Aufklärung.

Helmut Salzinger
Der Gärtner im Dschungel
Westend, Frankfurt am Main 2019

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