Wednesday 9 October 2019

Schluss mit dem täglichen Weltuntergang

Die wertvollste Ressource im 21. Jahrhundert sei unsere Aufmerksamkeit, meint Maren Urner in Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren. Das zu verstehen, ist notwendiger denn je – vorausgesetzt natürlich, man will über sein Leben mitbestimmen. Nur eben, die meisten wollen das gar nicht, denn für die überwiegende Mehrheit gilt, was die alten Römer bereits wussten: mundus vult decipi, die Welt will betrogen werden. Mit anderen Worten: Dieses Buch richtet sich an die, welche mitentscheiden wollen, wie sie ihr Leben verbringen.

William James drückt es pointiert aus: "Unser Leben ist nichts anderes als das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten." Zwei Jahre später notierte er: "Unser ganzes Leben, solange wie es eine bestimmte Form hat, ist nichts als eine Anhäufung von Gewohnheiten." Angesichts von Studien, die herausgefunden haben, dass zwischen 50 und 95 Prozent unserer Handlungen nichts anderes als Gewohnheiten sind, ist das einleuchtend.

Dass wir die meiste Zeit unseres Lebens auf Autopilot unterwegs sind, hat natürlich sein Gutes. Ich bin wohl nicht der Einzige, der, wäre er denn für seinen Atem oder seinen Herzschlag zuständig, gänzlich überfordert wäre. Maren Urner formuliert die Vorteile von Gewohnheiten (schmunzelnd, stelle ich mir vor) so: "Nicht nur verhältnismässig einfache Dinge, wie das Tippen auf einer Tastatur, Kochen und Radfahren, können zur Gewohnheit werden, sondern auch komplexe Zusammenhänge, wie das Frühstücksgespräch zwischen dem lang verheirateten Ehepaar, das trotz laufenden Radios und Zeitungslektüre mühelos gelingt."

Doch natürlich gibt es auch Gewohnheiten, die eher Fluch denn Segen sind. Man denke an Süchte oder den Medienkonsum. "Nachrichten sind stressiger als die Realität" lautet ein treffender Zwischentitel, denn nicht nur zeichnen die Medien ein übertrieben negatives Bild der Welt, sie bringen uns auch dazu, uns hilfloser zu fühlen als wir wirklich sind. Nur eben: Wir können uns wehren, etwa indem wir entscheiden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.

Maren Urner argumentiert einleuchtend und untermauert alles mit Studien, wie das Akademiker eben so tun, auch wenn für das meiste, das sie behauptet, der gesunde Menschenverstand durchaus genügen würde. "Bekommen wir immer wieder nur das vorgesetzt, was falsch läuft in der Welt, sorgt das bei uns nicht nur für ein negatives Weltbild und möglicherweise chronischen Stress, der uns krank machen kann. Er lässt uns auch hilflos zurück."

Klar, das ist no good, was also schlägt sie vor? Das Konzept des von ihr mitbegründeten Perspective Daily, das einen neuen Blick auf die Welt propagiert. Dieser orientiert sich an einem Merksatz, der banal klingen mag, aber eben nur dann, wenn man nicht darüber nachdenkt: "Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen." Nein, so einfach ist es nicht, und ja, Journalisten haben selten Lösungen parat, doch wer Lösungsansätze diskutiert, geht konstruktiv mit dem Leben um – und genau darum geht es. 

Auf der Strecke geblieben ist mir bei diesem Ansatz voller bester Absichten und reich an nützlichen Vorschlägen, dass da ein paar wesentliche Funktionen der traditionellen Medien ausgeblendet werden. Etwa die Ablenkung oder die Unterhaltung, denn nichts ist für eine Gesellschaft wichtiger als Stabilität, die man dadurch erreicht, dass man den Leuten "Brot und Spiele" vorsetzt.

Fazit: Schluss mit dem täglichen Weltuntergang ist ein empfehlenswertes Plädoyer gegen die Ignoranz und fürs Aufstehen gegen Bullshit.

Maren Urner
Schluss mit dem täglichen Weltuntergang
Wie wir uns gegen die digitale Vermüllung unserer Gehirne wehren
Droemer Verlag, München 2019

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