Wednesday 30 March 2016

Ob Süd oder West

Als ich diese Hausinschrift am "Städtlistutz" in Sargans fotografierte, trat ein junger Mann aus der Haustür, dem ich zurief, dieser Satz stehe bestimmt schon über 50 Jahre an diesem Haus, worauf er meinte, er sei so bereits auf der alten Hauswand gestanden. Als sie das Haus renoviert hätten, hätten sie entschieden, dass der Satz bleiben solle. Erst als er dies sagte, fiel mir auf, dass dieses Haus in der Tat einen recht neuen Anstrich trug. Ich hatte bisher immer nur diesen Spruch, doch nie das Haus beachtet. Schon eigenartig, was man alles nicht sieht, wenn man fokussiert durchs Leben geht ...

Wednesday 23 March 2016

Salz der Erde

"Ich erinnere mich, dass ich wie hypnotisiert durch eine erstaunlich fremde Landschaft lief, als ich 1993 zum ersten Mal zu einem kurzen Arbeitsaufenthalt in Añana war. Damals konnte ich nicht ahnen, was für eine starke Beziehung ich in den folgenden Jahren zu diesem Ort und zu Salz allgemein entwickeln würde. 1999 begann dann meine Tätigkeit für die Wiederbelebung der Salinen von Añana". So beginnt der Architekt Mikel Landa seine Einführung zu diesem schön gestalteten Band, einem  klassischen Coffee-Table-Book und das meint: tolle Aufnahmen, die einen staunen machen, kombiniert mit informativen Texten, die einen wissensmässig bereichern.
Salar de Uyuni, Bolivien
In manchen Teilen des Salzsees brechen die Arbeiter das harte Salz aus dem Boden und formen es zu Quadern; manche bevorzugen den Abbau in kreisförmigen Arealen, andere in Rechtecken.

Der Salar de Uyuni ist der einzige Ort der Salzgewinnung, von dem ich gehört und Bilder gesehen hatte, bevor Salz der Erde meinen Horizont erweiterte. Salz wird an ganz vielen Orten der Welt abgebaut, der oben erwähnte Ort Añana liegt im Baskenland.

So erfuhr ich unter anderem, dass der Mensch Salz (eine Verbindung von Natrium und Chlorid) nicht nur zum Leben braucht, sindern ein angeborenes Verlangen danach hat. Eine weitere Bedeutung hat das Salz als Konservierungsmittel. Milch, Fisch, Fleisch und Gemüse wurden so zu Handelswaren. 

Und ich lernte, dass in China bereits vor 8000 Jahren Salz gewonnen wurde und es vor 7000 Jahren eine Salzproduktion im österreichischen Hallstatt gab sowie dass die traditionellen Salinen im Wettbewerb mit dem industriellen Salz einen schweren Stand haben.
Sawu, Indonesien
Eine Dorfbewohnerin füllt frisches Meerwasser in die Salzkörbe ihrer Familie.
Jeden zweiten Tag wiederholt sie die Arbeit, am siebten Tag kann geerntet werden.

Die meisten Coffee-Table-Books lege ich bald einmal zur Seite und nehme sie dann nur selten wieder zur Hand. Ganz anders geht es mir mit Salz der Erde. Immer wieder komme ich darauf zurück. Das hat ganz wesentlich mit den eindrucksvollen Aufnahmen von Luke Duggleby zu tun, dem es gelingt Stimmungen einzufangen, denen ich mich gerne hingebe. Dass die Fotos gut zur Geltung kommen, liegt aber auch an der gelungenen Anordnung, für die, gemäss Impressum, Anna Boucsin, zuständig gewesen ist.

Beschäftigt man sich immer mal wieder mit einem Buch, fallen einem mit der Zeit Sachen auf, die einem zuvor entgangen sind. Das kann ganz verschiedene Ursachen haben. In meinem Falle konzentrierte sich meine Aufmerksamkeit längere Zeit auf die Fotos, die mir weite Landschaften vermittelten, vermutlich, weil ich das überhaupt nicht erwartet hatte. Noch weniger erwartet hatte ich jedoch, dass auch auf einer Dachterrasse in Midtown Manhattan Salz gewonnen wird. 

Salz der Erde lässt einen die Welt mit neuen Augen sehen.

Mikel Landa und Luke Duggleby
Salz der Erde
Mare Verlag, Hamburg 2015

Wednesday 16 March 2016

Die 100 wichtigsten Dinge

Die 100 wichtigsten Dinge, herausgegeben vom Institut für Zeitgenossenschaft (IFZ) in  Düsseldorf, gehört zu den unterhaltendsten, witzigsten und anregendsten Werken, die ich in letzter Zeit in Händen gehalten habe. Das beginnt bereits mit dem Vorwort (wenn nicht dort, wo sonst?) von Lisa Gotto aus Köln, wo unter anderem die Maxime festgehalten ist, an der sich das IFZ orientiert:

"Mit Die 100 wichtigsten Dinge läutet das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ den Beginn einer neuen Ära der Objektforschung ein. In der Nachfolge Max Schemmlers, dem wichtigsten Ding-Denker des 20. Jahrhunderts, bekennt sich das IFZ zur fassbaren Ding-Diagnostik unter zeitgenössischen Bedingungen. 'Wert und Wesen der Dinge', so Schemmler in seinem 1975 erschienen Grundlagenwerk Die Dringlichkeit der Dinglichkeit, 'bleiben all jenen verborgen, die sie zu begreifen versuchen, ohne sich von ihnen ergreifen zu lassen.'"

Die Herausgeber haben bei der Auswahl drei Kriterien ins Spiel gebracht. Wichtig ist ein Ding, wenn es 1) stellvertretend für viele stehen kann, 2) unvergleichlich ist oder 3) "wenn es in seiner Entstehung oder schlicht durch seine blosse Existenz alle Fragen nach Dinglichkeit, der Vollendung oder des Fortschritts hinter sich lässt".

Die Texte zu den Fotografien der verschiedenen Dinge in diesem Band, erklären diese nicht begleitend (wie das bei Fotolegenden der Fall ist), sondern sollen "als den Bildern ebenbürtige wissenschaftliche Definitionen betrachtet werden." Eine Auswahl findet sich untenstehend.
Draht

Kann alle Dinge der Welt modular miteinander verbinden. Ein berühmtes arabisches Sprichwort lautet sinngemäss: "Nenn mir ein Ding, dass du nicht aus einem Draht und einem Stock formen kannst, und ich nenne dir den Preis dafür."
Feuer

Glaubt man an die Bibel, so gibt es Feuer schon sehr lange, vielleicht sogar schon immer. Ohne Feuer, so weiss man als Glaubender, kein Fegefeuer, kein Dornbusch, kein Name Gottes, keine Kirche.

Wo Feuer brennt, da brennt Moral, das Mitgefühl, wenn nicht sogar der Mensch selbst. Solange Feuer lodert, ist noch nicht alles verloren, hofft der Hoffende, dass es niemals ausgehen wird, Feuer in Büchern lehrt das richtige Lesen, Bücher im Feuer das falsche.

Die Verbrennung von Müll ist der verzweifelte Versuch, Kant zu widerlegen. Sie ist zwar umweltfreundlich, doch philosophieschädlich.
Frucht

In früheren Zeit wurde auch der Mensch als Frucht bezeichnet, so lange er im Leib des Muttermenschen erwartungslos seiner Geburt harrte. Von Leibesfrucht war die Rede, einem schönen Wort, das dem Begriff vom Embryo weichen musste. Gleichzeitig wurde aufgehört, den Heranwachsenden die Geschichte von der Entstehung der Lebewesen anhand der Parabel von den Bienen und den Blüten zu erzählen. An deren Stelle trat ... (das wird hier nicht verraten).

Die 100 wichtigsten Dinge
herausgegeben vom Institut für Zeitgenossenschaft IFZ
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2015

Wednesday 9 March 2016

In New York's Harlem Valley

Deep Valley, Dark Days, a self-published book by Brooklyn-based commercial and editorial photographer Danny Ghitis, is the result of a stay in upstate New York (thanks to an artist's residency). On his website, he provides valuable background information as to how his work came about. He felt „unmoored after the end of a long relationship“ when he started to photograph „people, animals and odd details he was drawn to in communities in New York’s Harlem Valley.“

I very much appreciate such information. To tell me in what mood the photographer was when he was taking his pictures, I do find helpful. Not least because I'm not only interested in the result but also in the process of picture taking. The more I know about how a photograph came about the more a picture is able to tell the story the photographer intended to tell.

It seems as if Danny Ghitis was in a pensive and rather melancholic mood when embarking on his project – nobody smiles and even the occasional blue sky doesn't radiate joyfulness. Instead we get to see, well, nothing special. Ordinary people posing for the photographer, workers clearing a car accident site, a sign that says thank you, another forgiveness. 

For the full review, see here

Wednesday 2 March 2016

Barbara Davatz: As Time Goes By

Photographs are records. They show us how things once have been, how we once looked, point at things that are no longer there. Photographs bear witness and can thus serve as visual memories. Never is this more apparent than when we are shown pictures that provide evidence of our various life stages.

In 1982, Swiss photographer Barbara Davatz portrayed 12 young couples who were either in love, or friends or relatives. In 1988, 1997 and 2014, she photographed them again. Since not all of them were still together as couples or friends, they were given the option to bring their new partners (and their children) along. What resulted from this Davatz calls a "genealogy of relationships".
Katja und Enzo 1982

One of the major challenges every photographer faces is to identify a convincing theme that he or she feels passionate about pursuing. To document relationships over time I think a simple and most compelling idea. Will they last or won't they? Do the ones portrayed age favourably or not? What can such pictures tell us about the time, the people, the photographer?

"I wanted people who looked unusual and interesting – their appearance, their clothes, and their faces – and people who didn't look mainstream", says Barbara Davatz, who had a very clear idea of the kind of project she had in mind. She wanted the people to be authentic. "I just wanted them to look as if they were about to go to the cinema, for example."

Well, there's nothing more mainstream than looking for people who do not look mainstream.
Pamela und Enzo 1988

Portrait photography depends to a large extent on the collaboration of the photographer and the ones portrayed. And so I wondered whether Barbara Davatz' "objects" had a say in how they were photographed. For instance: Did they decide whether, and how, they were holding each other?

In an interesting and informative conversation between Barbara Davatz, Patrick Frey, and Martin Jaeggi, the photographer makes it clear what is guiding her. "What I'm looking for is the uninhibited presence of someone who is completely at ease, and that's pretty hard to achieve, the more so because I know exactly what I want: the expression I'm looking for is as if the person were listening to an interesting and amusing story. That's what I usually tell my sitters."
Cornelia und Enzo 1997

Parts of the conversation I thought rather funny, almost pretentiously absurd. "Aren't you trying to achieve a kind of discreet eroticism? Basically, you want people to fall in love wtih your sitters. That's obvious in the first series", Martin Jaeggi states. "It's wonderful if viewers realize that". responds Barbara Davatz. And Patrick Frey adds: "As in all photography, your work is about the eroticism of the gaze, not the person."

Well, as always, this tells me more about the persons making such statements and less about the photos and the people photographed. But judge for yourself. It definitely is a most fascinating book.

Barbara Davatz
As Time Goes By 
1982, 1988, 1997, 2014
Edition Patrick Frey, Zurich 2015