Wednesday, 17 September 2025

Bruchstücke

Hans Joachim Schädlich, geboren 1935, ist gemäss der Zeit "einer der ganz Grossen in der zeitgenössischen deutschen Literatur". Und die Süddeutsche meint: "In Hans Joachim Schädlichs Prosa wird das 20. Jahrhundert entschlüsselt." Nichtssagender geht eigentlich kaum. Ich selber kenne sein Werk nicht; in diesem Erinnerungsbuch, so der Verlag, stehe "die Verknappung als Prinzip über allem."

Ich mag Bruchstücke, ziehe sie den sogenannt grösseren Zusammenhängen vor, die weit konstruierter sind als die konkreten, fassbaren, in sich geschlossenen Geschichten. Eine der ersten handelt von einer gelungenen Flucht von Ostberlin in den Westen. Clever und überraschend; eine eindrückliche Geschichte, schnörkellos erzählt, die nachhallt.

Um viele dieser Bruchstücke zu verstehen, ist es allerdings nötig, den weiteren Zusammenhang zu kennen. Da der Autor diesen voraussetzt, schliesst er Leser wie mich von Einigem ihm Bedeutsamen, wie ich vermute (sonst hätte er es wohl kaum aufnotiert), aus. Ich komme damit bestens klar.

Was den Autor zu dieser Auswahl von so völlig Disparatem bewogen hat, hat sich mir nicht erschlossen. Andererseits: Wer weiss schon, wie unser Gedächtnis funktioniert? Die Geschichten mit DDR-Bezug werden Leute mit einschlägigen Erfahrungen besser zu würdigen wissen als ich es vermag. Dass Günter Grass suggerierte, Geheimpolizeien in Demokratien und Diktaturen seien gleichzusetzen, führte zum Freundschaftsabbruch.

Ich lese Bücher auch zur Bestätigung. Die Lektüre von Bruchstücke bekräftigt unter anderem meine Abneigung gegenüber Günter Grass, Stefan Heym und Hans Mayer. Zu den für mich berührenden Menschen in diesem Werk gehört der warmherzige Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, der den Autor aufklärt: "Du musst nicht gesund leben – du musst leben."

Ob es Hans Joachim Schädlich erlaubt sein würde, die DDR zu verlassen, hing lange Zeit in der Schwebe. Wie er diese Ungewissheit schildert, ist meisterhaft. Auch die von Angst und Schrecken geprägte DDR-Atmosphäre weiss er eindrücklich zu vermitteln. "Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, dass die Lage gefährlich war. Der Stasi schlug um sich, und niemand wusste, vor wem sie nicht haltmachte."

Befremdend fand ich hingegen das für meine Begriffe übermässige name dropping (also Selbstlob) sowie die Tatsache, wie unglaublich wichtig Schriftsteller sich nehmen. Andererseits: Uneitle Autoren sind eigentlich kaum vorstellbar.

Es ist eine eigenartige und deswegen faszinierende Zusammenstellung, die Hans Joachim Schädlich hier vorlegt. Das geht von Klatsch (zu Gast bei den Gettys in New York) über die wenig originelle Meinung eines New Yorker Taxifahrers zu Frauen bis zu literarischen Veranstaltungen in Moskau. Dabei zeigt sich auch, dass die Aufrichtigen und Anständigen unter den Literaten so dünn gesät sind wie beim Rest der Bevölkerung.

Ausnehmend gut gefallen hat mir das Nebeneinander von Banalem, Witzigem, und Aufklärendem, das ein womöglich realistischeres Bild des Autors vermittelt, als es die in eine Chronologie gepresste Version seines Lebens vermöchte. Als Einstieg sei "Deckname Wilhelm" empfohlen – aberwitziger geht kaum.

Hans Joachim Schädlich
Bruchstücke
Rowohlt, Hamburg 2025

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