Sunday, 18 October 2009

Fotos sind Dokumente

Marcel von Arx, ein aufmerksamer Beobachter und der Autor von "Der Esposo", einem Text, der von seinem Aufenthalt als Begleiter seiner Ehefrau in Quito, Ecuador (sie war dort für die Schweizer Regierung tätig) berichtet, und vertraut mit meinem Interesse an der Sprache der Bilder, schickte mir letzthin dieses Zitat zu - es stammt aus "Srebrenica - Notizen aus der Hölle" von Emir Suljagic.

Allerdings ist dieses Bild nicht nur wegen der zwei Männer wichtig, beide habe ich gekannt und wirklich jeden Tag getroffen, sondern wegen eines dritten Mannes, der sich, ohne zu fragen, in das Bild geschlichen und verstohlen in die Ecke gestellt hat: Seine Augen drücken aus, dass ihm jeden Moment einer der beiden auf dem Bild oder der dritte, der den Fotoapparat hält, sagen könnte, er sei unerwünscht und solle verschwinden. Aber er steht da mit seinen schmutzigen und lockigen Haaren, in einer aus einem Schlafsack genähten Jacke, in "Totenschuhen", schlechtem, ebenfalls aus denVorräten der humanitären Hilfe stammendem Schuhwerk, und dunkelblauen, erdverschmierten Hosen.

Er steht in der Ecke und lächelt, vielleicht lächelt er seiner Familie zu, sicher, das diese das Bild nie sehen wird, aber als ahnte er, dass es das einzige Dokument, der einzige Beweis seiner Existenz ist. Auf diesem Bild ist er namenlos, er ist nur ein Unbekannter, ein Eindringling, weil er sich eine Fotographie für zehn Mark nicht leisten kann.

An diese Menschen denke ich, an diese Gestalten ohne Namen, ohne Identität, die zu anonymen Nummern geworden sind. Wieviele sind es, wie viele von ihnen sind eines Tages nicht erschienen, wo sie am Tag zuvor noch gewesen waren, und haben uns nicht gefehlt, weil andere ihren Platz eingenommen haben, die ebenfalls verschwunden sind. Sie sind still verschwunden, so still, wie sie gelebt haben, als hätten sie nur aufgehört, auf dem Markt umherzugehen und mit hungrigen Augen all das anzuschauen, was sie sich nicht kaufen konnten.

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