Sunday 18 September 2011

Kate Brooks

Die meisten Fotobücher – und dies schliesst die fotojournalistischen mit ein – zeigen viele Bilder, nicht besonders erhellende Bildlegenden (etwa: Mexiko 1957), wenn es denn überhaupt welche hat, und Texte, die mit den Abbildungen meist nur ganz entfernt zu tun haben (anders gesagt: ziemlich willkürliche Kontextualisierungen). Dass es auch anders geht, zeigt Kate Brooks' „Im Licht der Dunkelheit“ eindrücklich.
Kate Brooks © Newsha Tavakolian
Der Einstieg ist ganz besonders gelungen, weil man nicht darauf vorbereitet (und auch erstaunt und fasziniert) ist, dass ein Band mit Fotos von Kriegsschauplätzen seinen Anfang mit der Schilderung einer englischen Hochzeit nimmt. Obwohl: Eine besonders begabte Schreiberin ist Brooks nicht, auch intellektuell (im Sinne von detailliert analysierend und hinterfragend) ist sie nicht (jedenfalls nicht in den hier vorliegenden Texten) und genau dies spricht für dieses Buch: in unprätentiöser Sprache wird aufnotiert, was Kate Brooks tut, ihr durch den Kopf geht, sie sich überlegt. Und löst damit ein, was der Untertitel verspricht: „Ein fotografisches Tagebuch seit 9/11“, auch wenn „Kriegstagebuch“ treffender gewesen wäre. „Am 2. Oktober verliess ich Moskau in Richtung Pakistan. In meinem Rucksack befanden sich einige Kleidungsstücke, meine Kameras, ein Filmscanner und 800 Dollar Bargeld. Für diesen Einsatz waren insgesamt vier Tage veranschlagt.“ Kaum war sie in Islamabad angekommen, kam jedoch alles ganz anders: „Mein Auftrag wurde verlängert, und es sollten bald noch andere folgen.“

Im Dezember 2001 macht sie sich zusammen mit einem Fixer (einer Mischung von Dolmetscher und Mittelsmann, ohne den Ausländer vor Ort meist aufgeschmissen wären) auf nach Afghanistan. Wenig überraschend findet sie sich da immer wieder in Situationen, die ihr Angst einjagen. „Ich stellte mir vor, wie meine Eltern am Boden zerstört erfuhren, dass ihre 24jährige Tochter in den Bergen von Afghanistan getötet worden war, als sie Gott versprach, sie würde mit dem Rauchen aufhören, wenn sie überlebte.“

Es sind Sätze wie dieser, die dieses Kriegstagebuch so überzeugend machen. Dieses Aufschreiben, was ist, aufrichtig und schnörkellos, vermittelt dem Leser eine Vorstellung der Situation vor Ort, wie es Nachrichten und Reportagen, die meist dramaturgischen Gesetzen und den Vorstellungen von Redakteuren in einem fernen Bürogebäude gehorchen müssen, nur selten können.

Copyright @ Kate Brooks

So schildert Kate Brooks die Auswirkungen einer schweren Autobombe im Irak (oberes Bild): „Ich bog um die Ecke. Die Szene vor meinen Augen war ein Bild des Grauens. Brennende Autos. Verkohlte menschliche Überreste überall auf der Strasse. Ein Mann hielt ein verstümmeltes Bein in die Höhe und blickte mich fragend an, als erwarte er von mir eine Antwort. Hysterische Menschen versuchten voller Hektik, den Sterbenden zu Hilfe zu eilen. Andere waren ausser sich vor Schmerz und versuchten wütend, mich anzugreifen. Ein Polizist verhinderte, dass die Menschen auf mich einschlugen, weil ich Fotos machte, und zwang mich, alle paar Sekunden weiterzuziehen, um ihren Schlägen zu entgehen. Beiläufig liess er seine Erkennungsmarke sehen, die ihn als Polizist auswies.“ Und so liest sich die informative Bildlegende: "Bei einem Autobombenanschlag am Grabmal des Imam Ali in Nadschaf, der stattfand, als die Gläubigen nach dem Freitagsgebet die Grabstätte verliessen, verloren schätzungsweise 135 Menschen ihr Leben. Ziel des Anschlags war ein prominenter schiitischer Geistlicher."

Kate Brooks sind viele eindrückliche und teilweise bewegende Aufnahmen gelungen, die ihre anhaltende Wirkung nicht zuletzt deswegen entfalten, weil sie in Verbindung mit aussagekräftigen Bildlegenden dargeboten werden. Es ist nicht immer einfach, sich auf diese zum Teil furchtbaren Zeitzeugnisse einzulassen, doch es ist notwendig. Wer glaubt, dass sich Bombenangriffe und Autobomben rechtfertigen lassen, sollte sich ansehen, was sie bei dem zehnjährigen Noor Mohammed (ein amerikanischer Bombenangriff im Tora-Bora-Gebirge) und bei der libanesischen Fernsehjournalistin May Chidiac (eine Autobombe) angerichtet haben. „Jeder Fotojournalist“, schreibt Brooks, „trägt zum kollektiven Gedächtnis menschlichen Bewusstseins bei.“ Es wäre schön, wenn es so wäre. Gewiss ist, dass „Im Licht der Dunkelheit“ einen Platz in diesem kollektiven Gedächtnis verdienen würde.

PS: „Ich danke dem späten Tim Hetherington ...“, heisst es unter anderem in der Danksagung. Ich nehme an, dass der Dank in der englischen Originalausgabe an den „late Tim Hetherington“ ging. Und das meint nicht den späten, sondern den verstorbenen Tim Hetherington ...

Kate Brooks

Im Lichte der Dunkelheit 
Ein fotografisches Tagebuch seit 9/11 
Benteli Verlag, Sulgen 2011

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