Wednesday 1 January 2014

Warum rennen hier alle so?

Hans Durrer
Die Erfahrung der eigenen und der fremden Kultur
Rüegger Verlag, Zürich/Chur 2013

Ist der Mensch mehr als die Summe seiner Gene? Mehr als ein nach elektro-chemischen Prozessabläufen funktionierendes Etwas? Fragen, die sich einem polyglotten Autor nicht  stellen, denn er transzendiert seine Begegnungen mit den Individuen aller Herren Länder, die ihn Sitten und Gebräuche lehren, Einblick in private Spähren gewähren, und die ihn eines wissen lassen: dass er, ebenso wie sie, Mensch unter Menschen ist. Zwar anders vom Habitus her und der Art sich zu geben, gleichwohl derselben Spezies angehörend. Anfängliches Fremdeln angesichts des Anderen, Vergleiche ziehen mit der eigenen Umwelt und beides in Deckung mit Erfahrungen und Erwartungen ans Leben zu bringen - das alles weicht bald der Erkenntnis, dass es zwar kulturelle Unterschiede geben mag, diese jedoch nur gradueller Natur sind, sofern man ein wohlwollendes Resümee zieht.

Wohlwollen allem Fremden entgegenzubringen, sozusagen als korrelierendes Element der Verständigung, als interkulturelles Gepäck, ist für den Autor kein lästiger Ballast, wenn er durch die Welt zieht, sondern jene Selbstverständlichkeit, die allen Weitgereisten eigen ist. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch seine Schilderungen und mindert oftmals den ersten, harschen Eindruck von einem Land wie beispielsweise Brasilien, in dessen Nordosten Kriminalität und Gewalt zum Taktgeber des Alltags geworden sind. Alles hat seine Gründe, auch wenn sie häufig genug medienplaktiv sind, realiter jedoch aus Armut und Aussichtslosigkeit, ein geregeltes Leben führen zu können, erwachsen. Wer davor die Augen verschließt, der wird Schönwetterbilder mit zurück ins kuschelige Heim nehmen und die Wirklichkeit kräftesparend ausblenden.

Nicht so der Autor. Hans Durrer koloriert keine mit Bundkreide aufgehübschten Weichbilder von Städten, Menschen und Landschaften, sondern er nimmt einen schattenwerfenden Graphitstift zur Hand und konturiert, was zwecks Unverwechselbarkeit mit scharfen Kanten versehen werden muss. Ob nun Istanbul, Hanoi, Kuba, Uruguay, Bombay oder Los Angeles, der Leser darf stets in unverfälschten Impressionen schwelgen, weniger als das zu behaupten würde dem Buch nicht gerecht. Es verführt auf eine eigentümlich faszinierende Art, sich dem Fremden zu nähern.

www.deutscher-buchmarkt.de
Berlin, Oktober 2013

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