Wednesday 14 March 2018

In Valparaíso und anderswo

Als Fremder in einem fremden Land hat man das Privileg, sich daneben zu benehmen, aus dem Rahmen zu fallen, Dinge zu wagen, die man sich zuhause niemals trauen würde.

Auch nimmt man in der Fremde Sachen wahr, die einem in vertrauter Umgebung selten auffallen. Und lernt dabei wieder zu staunen – über eine Autofahrt in der dünnen bolivianischen Luft, die sich anfühlte, als sitze man auf einer Wolke; über eine Kleinstadt in der südkalifornischen Wüste, von der die Bewohner sagen, das sei nicht das Ende der Welt, doch von hier aus könne man es sehen; über die Stille in Westfinnland, die nicht alle ertragen.

Von einem begabten Schnorrer in London ist die Rede, von pünktlichen Italienern in Amsterdam, von in der Mittagshitze zerplatzenden Coca Cola Flaschen im brasilianischen Maceío wie auch von der Lebensweisheit einer Thailänderin, die einem deutschen Ehepaar in Phuket erklärte: 'When men finish love, they go“.

Davon und noch von vielem Anderen – von Charakterfragen über die allmähliche Zerstörung des Vertrauens bis zu der eigenartigen Tatsache, dass der Mensch die Wahrheit nicht erträgt und sich deshalb ständig selbst belügt – handeln diese Kolumnen, die Alltägliches zum Anlass nehmen, um über Grundsätzliches nachzudenken. Über Meinungsäusserungsfreiheit und Selbstzensur, Radikalisierungen und Integrationsgeschwafel sowie über Geneviève aus Lausanne, die für ein Wochenende nach Paris fuhr, um dort ihrem ultimativen Luxus zu frönen: Im Hotelzimmer Bücher zu lesen.

Hans Durrer
In Valparaíso und anderswo
Momentaufnahmen
neobooks, 2018

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