Wednesday 24 October 2018

Isaku Yanaihara: Mit Alberto Giacometti

"Es war mir nicht bewusst, aber er hat mich durch seine Art, zu sein und zu denken, enorm beeinflusst", notiert Isaku Yanaihara auf den ersten Seiten von Mit Alberto Giacometti. Annette Giacometti, Albertos Witwe, hat dieses Tagebuch, als es in Tokio in den Handel kam, mit einem weltweiten Bann belegt. Vermutlich lag das daran, dass sie und Yanaihara offenbar eine Affäre hatten. "Annette begleitete mich jede Nacht ohne Ausnahme in mein Hotel und kehrte gegen vier Uhr morgens nach Hause zurück." Das Buch durfte jahrzehntelang in keine andere Sprache übersetzt werden. Nun liegt es, direkt aus dem Japanischen übertragen, zum ersten Mal auf Deutsch vor.

Insgesamt 228 Mal ist der Philosophieprofessor aus Tokio in den Jahren 1956 bis 1966 Alberto Giacometti Modell gesessen. Und besonders angenehm hat sich das nicht angefühlt, denn es galt still zu sitzen und sich nicht zu bewegen. "Ich versuchte an nichts zu denken, aber vergebens. Wenn man nicht zu denken versucht, steht einem auch dieser Gedanke unweigerlich ins Gesicht geschrieben. Es ist nun mal so."

Giacometti ist ein Besessener, ein Getriebener. "Die tägliche Arbeit begann in freudiger Erwartung, um dann kurz vor der Verzweiflung innezuhalten, lange dabei zu verharren und schliesslich in erbitterter Hoffnung auf den nächsten Morgen zu enden."

Sie unterhalten sich über gar Vielerlei. Über Paris, Japan, Stampa, den Fortschritt, von dem Giacometti nicht viel hält, das Malen. "Sehen Sie, in einer wirklichen Landschaft existiert nicht eine einzige grelle Farbe, es gibt weder das Grün noch das Rot aus der Tube. Bäume, Häuser, Dächer, Himmel, alles ist von einem kontinuierlichen Grau; die Unterschiede bestehen lediglich in komplexen und feinen Abstufungen. Farben gibt es so gut wie gar nicht."

Giacometti sieht anders als andere. Und er will Yanaihara so malen wie er ihn sieht. So sieht er etwa Ähnlichkeiten zwischen Vater, der gerade in Paris zu Besuch gewesen war, und Sohn Yanaihara, die der Sohn jedoch überhaupt nicht sieht. Doch, doch, meint Giacometti und weist auf die Partie zwischen den Augen und die Kopfform.

Unablässig zweifelt er. "Je schöner die Wirklichkeit erscheint, desto schwieriger wird es, sie korrekt abzubilden. Gleichzeitig wächst die Leidenschaft, sie richtig wiedergeben zu wollen. Wunsch und Verzweiflung ringen miteinander und werden so gross, dass sie einen zu erdrücken drohen."

Unter anderen kommen Jean Genet, Jean-Paul Sartre ("Was mich bei Alberto am meisten überrascht, ist seine Leidenschaft für das Nichts, beziehungsweise sein leidenschaftlicher Wunsch, etwas in diesem Nichts zu fassen zu bekommen. Kunst ist ein Akt der Nichtung, und niemand weiss das besser als er.") und Simone de Beauvoir zu Wort. 

Der Band enthält auch zahlreiche Schwarz/Weiss-Fotografien (eine zeigt Giacometti in Stampa, wo er ohne Unterbruch und noch besessener arbeitete als in Paris, wo er gelegentlich "wegen irgendwelcher unerlässlicher Angelegenheiten Leute treffen" musste) sowie ein Bilddossier mit Porträts, die Alberto Giacometti von Isaku Yanaihara gemacht hatte. Ergänzt werden die Aufzeichnungen von zwei Nachworten, das eine stammt von Gérard Berréby und Véronique Perrin, das andere von Nora Bierich. Der Verleger Piet Meyer hat Aufzeichnungen über "Das editorische Umfeld zur vorliegenden Publikation" beigesteuert.

Isaku Yanaihara: Mit Alberto Giacometti ist auch gestalterisch ein sehr ansprechendes Buch, hochformatig, mit leserfreundlicher Schrift und einer durchsichtigen Schutzhülle, die Yanaiharas Porträt zeigt.

Isaku Yanaihara:
Mit Alberto Giacometti
Ein Tagebuch
Piet Meyer Verlag, Bern/Wien 2018

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