Wednesday 24 February 2021

Scharfsichtige Frauen

James Joyce by Berenice Abbott

Paris war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein Magnet für Künstler und Künstlerinnen. Damals "kursierte die allgemeine Meinung, ein Foto sei lediglich eine Kopie der Wirklichkeit, dass lediglich gescheiterte Maler aus der Not eine Tugend machten und sich der Fotografie zuwandten und deshalb bestenfalls Kopisten seien, also bei weitem keine Künstler. Diese Meinung sollte sich hartnäckig halten ..." schreibt Unda Hörner in "Scharfsichtige Frauen" (übrigens: ein ganz wunderbarer Titel). Und sie hält sich weitestgehend auch heute noch, möchte man da sofort hinzufügen.

Zu jener Zeit war die fotografische Ausbildung "im Grossen und Ganzen informell und das Medium immer noch so jung, dass es so gut wie keine Vorbilder gab; gerade die relative Unabhängigkeit von Normen führte zu einem so breiten Ausdrucksspektrum in der Fotografie der zwanziger und dreissiger Jahre."

So weit so gut und einleuchtend, doch dann versteigt sich Frau Hörner zu einer, milde gesagt, etwas gewagten Gedanken-Konstruktion: "Weil sich die Fotografie als technisch progressives Medium und als Medium der Avantgarde auf einem terrain vague bewegte, war die öffentliche Rolle, die sie spielen konnte, ebenso undefiniert und wenig ausgeschöpft wie die Rolle der Frauen in der Öffentlichkeit. Frau und Foto, das war eine ideale Paarung, die im Paris der künstlerischen Neuerungen einen äusserst fruchtbaren Nährboden fand. Neue Frau und junges Medium traten im Gleichschritt ihren Weg in die Zukunft an. Die Neue Frau hatte auch ein neues Ausdrucksmittel gefunden, das sich im 'Neuen Sehen' bzw. der Nouvelle Vision niederschlug, wie die ästhetische Richtung bald hiess, die sowohl inhaltlich als auch formal eine ganz neue Art der Wirklichkeitswahrnehmung dokumentierte."

Nun ja, nicht nur die "Neue Frau" (Was auch immer das sein mag. Und überhaupt: so viele Frauen waren es nun auch wieder nicht) hatte ein neues Ausdrucksmittel gefunden, sondern auch der (alte?) Mann, der sich mit der Kamera und dessen Möglichkeiten auseinandersetzte. Sicher, das Thema dieses Buches sind fotografierende Frauen, die übrigens fast alle dem gehobenen, nicht selten jüdischen Bürgertum, entstammten, doch die nicht besonders hilfreiche Aufteilung in Fotografinnen und Fotografen kann man auch überstrapazieren - blühen uns nächstens Bände, in denen ausschliesslich Männer, die bemerkenswerte Aufnahmen gemacht haben, porträtiert werden?

Den in diesem Band versammelten Frauen - Berenice Abbott, Lee Miller, Florence Henri, Ré Soupault, Ilse Bing, Marianne Breslauer, Germaine Krull, Gisèle Freund, Claude Cahun, Dora Maar - sind eindrückliche Fotografien gelungen. Ein Teil davon findet sich in diesem Buch und schon allein deswegen sei es empfohlen. Doch auch die Lektüre lohnt: einmal, weil die Autorin viel Wissenswertes zusammengetragen hat; dann aber auch, weil sie spannend zu erzählen versteht ("Als Berenice Abbott die Vereinigten Staaten 1921 verließ, war sie eine junge Frau ohne bestimmtes Ziel, ohne Illusionen und ohne ein spezielles Interesse an Fotografie.") und nicht zuletzt, weil die Faszination, welche die Fotografie auf die hier porträtierten Frauen ausübte (und den Preis, den es dafür zu zahlen galt), sehr gut vermittelt wird. So wird etwa Ilse Bing mit dem Satz zitiert: "Und ein 'Fräulein Doktor', das war etwas, zu dem man aufsah. Und dass ich das aufgab für die Fotografie - alle Leute haben mich fallengelassen. Und meine beste Freundin hat zu mir gesagt: 'Ich habe keinen Respekt mehr vor dir!'"

Unda Hörner
Scharfsichtige Frauen
Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris
Edition Ebersbach, Berlin 2010

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