Wednesday, 6 September 2023

Die Konsensfabrik

Mir ist dieses Buch aus der Zeit meines Master-Studiums an der School of Journalism, Media, and Cultural Studies an der Universität Cardiff, 1999 war das, bekannt, doch was erinnere ich eigentlich? Grob gesagt: Dass zur Aufgabe der Massenmedien zentral gehört, die herrschenden Verhältnisse zu stabilisieren. Und das ist, wenn man es recht bedenkt, auch ganz logisch, denn worum es dem Menschen primär zu tun ist, ist Stabilität.

Dieses Master-Studium richtete sich übrigens an mid-career journalists und andere in den Medien Tätige, die lernen wollten, wie die Medien funktionierten. Der Blick von aussen war also gefragt und dieser fehlt denen, welche die Medien bedienen, zumeist. Dasselbe gilt übrigens für Lehrer, die meist ganz andere Ziele haben als die Schule als Institution, deren wichtigste Aufgabe es ist, die jungen Menschen mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten vertraut zu machen. Das ist meines Erachtens, entgegen den idealistischen Vorstellungen von Vierter Gewalt etc., auch die zentrale Aufgabe der Medien.

Die Konsensfabrik ist ein Klassiker und wird von drei Herausgebern verantwortet, die eine hilfreiche Einführung beigesteuert haben, die natürlich  was wären Akademiker ohne Begriffsbestimmungen! – auch eine Begriffserklärung für Propaganda liefert (was Herman und Chomsky unterlassen haben), gemäss welcher Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit oder Strategische Kommunikation nichts anderes als Propaganda seien. Natürlich sagen sie es komplizierter, doch darauf läuft es in etwa heraus, schliesslich bedeutet propagare nichts anderes als verbreiten.

Wer sich einmal die Leute genauer ansieht, die bei den Medien Karriere machen, und sich dabei vor Augen hält, dass diese ihren Job vor allem der Eigenschaft verdanken, dass sie so denken und handeln wie alle anderen auch (und damit keine Gefahr für die herrschende Ordnung darstellen), der weiss, dass diese Leute das System verinnerlicht haben. Treffend halten die Herausgeber fest: 
"Die Autoren postulieren also nicht ein intentional propagandistisches Verhalten von Journalisten, sondern zeigen bestimmte Logiken und Zwänge auf, die für journalistisches Schaffen den Rahmen setzen und handlungsleitend sind." Das gilt nicht nur für Journalisten, das gilt für alle in einem (irgendeinem) System Tätigen.

Die Einführung weist übrigens auch darauf hin, dass vor allem wirtschaftliche Ungleichheiten sowie neoliberale Fantasien "politische Ohnmachts- und Entfremdungsgefühle erzeugen", was natürlich von den Massenmedien tunlichst nicht thematisiert wird, da sie die gesellschaftliche Stabilität gefährden könnten. Chomsky und Waterstone haben in Konsequenzen des Kapitalismus ausgeführt, dass diese Stabilität immer vor allem denen dient, die am meisten davon profitieren.

"Die Massenmedien fungieren als ein System zur Kommunikation von Botschaften und Symbolen an die Bevölkerung als Ganzes. Sie sollen belustigen, unterhalten und informieren sowie den Einzelnen die Werte, Meinungen und Verhaltensweisen vermitteln, die sie in die institutionellen Strukturen der Gesamtgesellschaft integrieren. In einer Welt, in der der Reichtum bei Wenigen konzentriert ist und in der gravierende Interessenskonflikte zwischen den Klassen bestehen, können sie diese Rolle nur durch systematische Propaganda ausfüllen."

Womit, jedenfalls für mich, so recht eigentlich alles gesagt wäre. Herman und Chomsky sehen das anders und bemühen 700 Seiten, um diesen Grundgedanken anhand konkreter Beispiele auszuführen. Von "den Wahlen" in El Salvador, Guatemala und Nicaragua in den 1980ern sowie der Rolle, die die Medien dabei spielten, lesen wir, und ich wundere mich, wie man glauben kann, man könne Wahlen in fremden Ländern beurteilen. Ich war selber bei den ersten gemischtrassigen Wahlen in Südafrika vor Ort und hatte den Eindruck, dass die Berichterstattung und meine eigene Erfahrung nicht einmal ansatzweise etwas miteinander zu tun hatten. Womit ich keineswegs sagen will, meine Version sei die richtige, sondern dass die Medien nur am Rande die Aufgabe haben, zu informieren. Mundus vult decipi, die Welt will betrogen sein, wussten schon die alten Römer.

Die Konsensfabrik ist weit entfernt davon eine Verschwörungstheorie zu sein, denn es sind die systeminhärenten Zwänge, die den Konsens garantieren, schliesslich weiss jeder Journalist, dass es eine bestimmte Art und Weise gibt, eine Geschichte zu erzählen, und er weiss auch, dass er mit gewissen Geschichten gar nicht erst aufzukreuzen braucht. Die Selbstzensur übertrifft jede andere Zensur. Dazu kommt – auch das ist ein allgemein menschliches Phänomen – , dass den meisten Journalisten gar nicht klar ist, dass sie die herrschende Ideologie verinnerlicht haben (sonst hätten sie ihren Job gar nicht bekommen) und die Welt aufgrund ihrer Konditionierungen beurteilen. Eindrücklich zeigen die Autoren dies etwa an der Berichterstattung über Laos und Kambodscha.

Journalismus, so eine seiner Definitionen, sei nichts anderes als die lautstarke Begleitung von Ereignissen, die auch ohne diese stattfinden würden. Daran haben mich die Schilderungen in Die Konsensfabrik immer wieder erinnert, denn weit davon entfernt (obwohl es gelegentlich vorkommt) eine korrigierende Macht zu sein, dienen die Medien (wie alle anderen Institutionen auch) den monetären Interessen, die alle anderen dominieren. Propagiert wird, sei es von den Schulen, den Supermärkten oder den Medien, was der herrschenden Ordnung (und damit den Geld-Interessen) dient.

Man kann sich natürlich fragen, welche Relevanz dieses Werk in Zeiten einer gänzlich veränderten Medienlandschaft noch haben kann. Nun ja, an den Machtstrukturen hat sich nichts geändert, die von Eigeninteressen geleitete Politik ist uns nach wie vor selbstverständlich, die Selbstzensur wird auch immer noch als Verhaltensideal gelehrt, und die Medien lenken in der Hauptsache unverändert davon ab, womit wir uns wirklich beschäftigen sollten. Nicht mit dem Mafioso aus Queens, sondern mit dem Klimawandel, wie besonders Chomsky nicht müde wird zu betonen.

Fazit: Grundsätzlich und wesentlich.

Edward S. Herman
Noam Chomsky
Die Konsensfabrik
Die politische Ökonomie der Massenmedien
Westend Verlag, Frankfurt am Main 2023

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