Wer glaubt, der Mensch sei ein vernunftgesteuertes Wesen, irrt gewaltig. Unter anderem lässt sich das auch an der Fotografie im Journalismus zeigen, wo der Bildanteil zunimmt, die Zahl der Bildredakteure abnimmt und festangestellte Fotografen in Redaktionen immer seltener werden. Absurder geht kaum, doch der Grund ist offensichtlich: Die Kosten. So recht eigentlich besteht der Irrsinn unserer Zeit darin, dass den meisten das Kostenargument einleuchtet. Und dass kaum jemand Zweifel daran hat, dass interessengeleitetes Geschäftsgebaren sinnvoll ist. Denkbar wäre natürlich auch, dass man sich der Sache verpflichtet orientiert und dabei Anstand und Moral nicht vergisst.
Der Fotojournalismus zeichnet sich dadurch aus, dass Foto und Text zusammengehören, was meint: aufeinander Bezug nehmen, sich ergänzen. Das zumindest ist das Ideal. In der Praxis sehe ich ihn selten, dort herrscht die Fotografie im Journalismus vor. Eine Unterscheidung, auf die Felix Koltermann zu Recht Wert legt.
"Von Oktober 2019 bis Oktober 2022 habe ich am Studiengang 'Visual Journalism and Documentary Photography' an der Hochschule Hannover ein Post-Doc-Forschungsprojekt über bildredaktionelle Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus geleitet", schreibt Felix Koltermann in seiner Einleitung zu Fotografie im Journalismus, das zum Ziel hatte, "zu verstehen, wie in den Redaktionen die Arbeit am Bild vonstatten geht und wie das publizierte Ergebnis dazu in Beziehung steht." Die in diesem Band vorgelegten Ergebnisse stammen hauptsächlich aus Interviews, Ortsbesuchen sowie von Bildkritiken. Ich will hier auf die Interviews etwas näher eingehen.
Es kommen insgesamt "zehn Personen zu Wort, die auf die eine oder andere Art und Weise Teil des Prozesses journalistischer Bildkommunikation sind. Die Gespräche drehen sich um die Frage, wie und an welcher Stelle die Einzelnen an diesem Prozess partizipieren und was deren Sicht auf zeitgenössische Fragen der Bildpublizistik ist." Dabei erfährt man unter anderem, dass heutzutage so recht eigentlich alles von den Kosten getrieben wird – was vermutlich niemanden wundert.
Zu den Fragen, die mich speziell interessierten, gehörte: "Was zeichnet gute Bildredakteur*innen aus?" Die Antworten darauf fand ich jedoch wenig ergiebig bzw. arg pauschal. Interesse am Weltgeschehen wie auch am Bild, vielfältige Erfahrungen und so weiter. Dazu gehört natürlich auch die Fähigkeit, das jeweils passende Bild zu finden, doch was dieses ausmacht, hat sich mir nicht erschlossen.
Qualifiziert sollten die Bildredakteure sein, lese ich immer wieder. Ein Hochschullehrer spricht sich für Qualitätsjournalismus aus, doch abgesehen davon, dass er die New York Times erwähnt (die dem Florida-Golfer fast täglich eine Plattform gibt, wie übrigens auch Fox News), erläutert er nicht, was darunter zu verstehen ist – und Autor Koltermann fragt auch nicht nach. Zugegeben, Qualität zu definieren ist nicht einfach, doch man hätte diese ja auch mit konkreten Beispielen illustrieren können.
Konkret wird hingegen der Vorsitzende der Fachgruppe Bildjournalismus des bayerischen Journalisten-Verbandes, Thomas Geiger, der die fehlende Authentizität mit einem Artikel aus der Lokalzeitung illustriert, der "mit einem Adobe-Stockfoto mit asiatischen Kindern und einer asiatischen Lehrerin" bebildert war. Eine solche Praxis ist nicht nur hirnlos, sondern auch gefährlich, denn, so Sabine Pallaske, Vorsitzende der Mittelstandsgemeinschaft Fotomarketing: "Die Beliebigkeit von Agentur- und Symbolbildern trägt zu Beliebigkeit der Medien bei."
Besonders aufschlussreich fand ich das Gespräch mit der Bildredakteurin Maritta Iseler zum Thema "Schlagworte müssen das Bild auffindbar machen", das Autor Koltermann mit der schönen Bemerkung einleitet: "Es klingt paradox, aber ohne Text findet man keine Bilder". Die Datenbanksuche, so lerne ich, muss von Überlegungen zu Sinn und Zweck geleitet sein. "Wie soll ein Thema bebildert sein? Was will ich auslösen, was will ich damit sagen?" Wichtig ist unter anderem, dass die Verschlagwortung korrekt ist, auch unter ethischen Gesichtspunkten. Nicht nur der Kontext, sondern auch die Bildlegenden geben vor, wie ein Bild gelesen werden soll.
Fotografie im Journalismus regt dazu an, sich mit Pressebildern auseinanderzusetzen. Das ist vor allem deswegen vonnöten, da wir mittlerweile in Bildern geradezu ersaufen. Das Resultat ist: Wir lassen uns von Gefühlen dominieren, denn Bilder lösen zuallererst Gefühle aus. Sich den Bildern nicht einfach auszuliefern, verlangt, sich auch des eigenen Verstandes zu bedienen. Dazu liefert dieses Buch nützliche Beiträge.
PS: Bei der Lektüre ist mir auch immer wieder mein Thesis-Supervisor an der School of Media, Journalism and Cultural Studies der Universität Cardiff, Daniel Meadows, durch den Kopf gegangen, der auf meine Frage, ob ein Bildredakteur eigentlich technische Kenntnisse brauche, meinte, der seiner Meinung nach beste britische Bildredakteur könne bei einer Kamera kaum vorne und hinten unterscheiden. Was er jedoch habe, sei ein gutes Auge. Und natürlich auch alles andere, was einen guten Journalisten letztlich ausmacht: Neugier sowie die Fähigkeit, zu denken.
Felix Koltermann
Fotografie im Journalismus
Bildredaktionelle Praktiken in Print- und Online-Medien
Herbert von Halem Verlag, Köln 2023
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