„Sturm über New Orleans“ ist ein Dave-Robicheaux-Krimi. Mit diesem Robicheaux sei er seit 1987 zusammen, schreibt der Autor James Lee Burke in seinem Gruss an seine deutschen Leser. Er sei kein perfekter Mann, sondern einer mit seinen Schwächen, Sünden und Dämonen. Einer, der versuche, das Richtige zu tun. Das ist besonders schwierig in einer Situation, in der die dünne Schicht angelernten sozialen Verhaltens von ganz vielen Menschen abfällt, sie zu Tieren und Killern werden. So war das, als im Jahre 2005 New Orleans von dem Hurrikan Katrina verwüstet wurde.
„Was
damals in New Orleans geschah, das war nicht nur eine
Naturkatastrophe, das war das grösste Versagen einer Regierung, der
denkbar grösste Verrat an der eigenen Bevölkerung. Es war ein
Verbrechen. Eine nationale Schande.“
Das erfüllt James Lee
Burke mit Wut, grosser Wut. Dieses Buch hat er geschrieben, um diese
Wut herauszulassen. Und um dazu beizutragen, dass, was damals
geschehen ist, nicht vergessen wird. „Sturm über New Orleans“
ist ein eindrückliches, aufwühlendes und eindringliches Buch.
Dave
Robicheaux von der Sheriff-Dienststelle, Vietnam-Veteran und
trockener Alkoholiker („Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.
Aber bei den Anonymen Alkoholikern diskutiert man nicht mit
Betrunkenen.“), soll einen drogensüchtigen Priester finden und die
Vergewaltigung eines jungen Mädchens aufklären, während um ihn
herum die Zivilisation zusammenbricht. „Die völlige Wehrlosigkeit
der Stadt war es, die uns überwältigte. Das Stromnetz war zerstört
und im St. Bernard und Orleans Parish war die gesamte
Wasserversorgung zusammengebrochen. Die Pumpen, die das Wasser aus
den Gullys pressen sollten, waren ihrerseits überflutet und nutzlos.
Gasleitungen brannten unter Wasser und gelegentlich schossen Flammen
aus dem Boden und schleuderten in Sekundenschnelle hunderte von
versengten Blättern eines uralten Baumes in den Himmel. Die ganze
Stadt war binnen einer Nacht auf den technologischen Stand des
Mittelalters zurückgeworfen worden.“
Plünderungen sind an
der Tagesordnung, die Begleichung alter Rechnungen ebenso. Wie jede
Katastrophe so brachte auch diese nicht nur das Beste in einigen,
sondern auch das Primitivste in anderen hervor. „Laut der
‚Washington Post‘ hatte ein Abgeordneter in Baton Rouge einer
Gruppe von Lobbyisten erklärt: ‚Endlich sind wir den sozialen
Wohnungsbau in New Orleans los. Wir haben es nicht geschafft, aber
Gott‘.“
Es sind apokalyptische Zustände, die James Lee
Burke in „Sturm über New Orleans“ beschreibt:
„Das Geschäft
mit Schusswaffen und Munition florierte … Das alte Schreckgespenst
des Südens war wieder da, nackt, roh und geifernd – der totale
Hass auf die Ärmsten der Armen … Am schlimmsten litten die Tiere.
Allein in den Bezirken Vermillion und Cameron ertranken
schätzungsweise hunderttausend Rinder. Sie drängten sich auf
Galerien, versuchten auf Traktoren und Zuckerrohrwagen zu klettern
und landeten sogar auf Dächern. Aber sie ertranken dennoch.“
„Sturm
über New Orleans“ ist ein vielschichtiger Krimi (bei dem unter
anderem Kleinkriminelle sich ungewollt mit grösseren Kriminellen
anlegen), der auch eine sehr gut geschriebene Reportage ist. James
Lee Burke ist ein grosser Menschenkenner und hat mit diesem
lebensweisen Buch eine der spannendsten, aufwühlendsten und
überzeugendsten Sozialreportagen geschrieben, die ich kenne.
James
Lee Burke
Sturm über New Orleans
Pendragon, Bielefeld 2015
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