Wednesday 28 February 2024

In Bilbao

Ob hier der Bus ins Zentrum fahre? Ja, sagen die beiden jungen Frauen und zeigen auf einen Schalter, wo ich die Fahrkarte kaufen könne. Und so stelle ich mich in die Schlange, die sich jedoch keinen Zentimeter bewegt, weil ein hochaufgeschossener junger Mann in einer Sprache, die mir nicht geläufig ist, Auskünfte zu erhalten versucht, die vermutlich wenig mit einem simplen Fahrkartenkauf zu tun haben können. Ich sehe den Bus vorfahren und so verlasse ich die Schlange unverrichteter Dinge und frage eine der beiden jungen Frauen, ob ich auch im Bus zahlen könne und was das koste. No te preocupes, sagt die eine, tengo una tarjeta. Die beiden entpuppen sich als Krankenschwestern, die eine aus Sevilla, die andere aus Murcia, wo es im Gegensatz zu Bilbao zu viele hätte, deshalb seien sie hier, obwohl sie den Regen hassten, überhaupt sei das Klima beschissen.

Spazieren gehen, Fotos aufnehmen, Kaffee trinken und mich über die Eigenheiten der Menschen amüsieren. Das schwebt mir vor. Eine voluminöse Schwarze um die 50, die vor einem Hauseingang sitzt und derart laut in ihr Handy brüllt, das man sie auch im benachbarten Viertel hören kann; ein muskulöser Mann um die 40, der ein ärmelloses T-Shirt trägt, damit man nicht nur seine Muskeln, sondern auch seine vielen Tattoos sehen kann; eine vielleicht 80Jährige ganz in Gelb und mit gelbem Mundschutz, die einen Rollator vor sich her stösst; ein Mädchen um die 15, das derart verlegen wird, dass es mich ungemein rührt, weil es nicht sagen kann, wo in der Nähe es eine Bäckerei gibt; eine vielleicht Dreijährige, die von ihrem Vater aus dem Kinderwagen herausgehoben wird, damit sie ganz stolz die vor ihr liegende Treppe hochsteigen kann.

Eine rot gestrichene Mauer, ein blaues Schuld auf dem Eroski Center steht, ein Eingang ist nicht zu sehen. Ein Sexshop, denkt es automatisch in mir. Ich sehe noch einige solcher Schilder, manchmal steht auch City anstelle von Center. Und irgendwann merke ich dann, dass es sich um eine Supermarktkette handelt ….

In einem Aussenbezirk, fern vom Zentrum. Unaufgeregter ist es hier, gemächlicher, der Café con leche kostet gerade mal einen Euro. Ich setze mich in ein Café an einer Strassenkreuzung, Lastwagen dröhnen vorbei, ich muss lachen über meine Wahl, nehme mein Zen-Buch hervor, in dem das Lachen mit Freisein verglichen wird, einer Losgelöstheit des Geistes.

Auffallend, die vielen Alten, die im Rollstuhl ausgefahren werden. Und die vielen Raucher, mehr Frauen als Männer.

To be completely honest with you, sagt der hochgewachsene schlanke Schwarze, der an mir vorbeigeht, in sein Handy – bei mir würden sämtliche Alarmglocken läuten.

Das Leben eine Tragödie oder eine Komödie? Beides natürlich.

Ich kann eigentlich nur ziellos durch die Stadt gehen, die üblichen Ziele – Galerien, Museen etc. – interessieren mich nicht, das Mich-Konzentrieren auf das, was ich gerade tue (gehen, schauen, essen etc.) ist das Einzige, das mir zu bleiben scheint. Es ist auch das Schwierigste.

Ich ziehe mich ins Hotel zurück, zu meinem ultimativen Luxus: Bücherlesen in einer fremden Stadt. Byung-Chul Han, Friedrich Nietzsche, Jim Thompson, Lis Groening.

Der Rezeptionist und die Rezeptionistin wechseln automatisch zu Englisch, sobald sie merken, dass man kein Muttersprachler ist. Ihr Akzent tut meinen Ohren weh, ich bleibe bei meinem fehlerhaften Spanisch. Später höre ich sie mit Gästen Französisch sprechen … mit demselben grauenvollen Akzent.

Bilbao habe sich in den letzten Jahren sehr zu seinem Vorteil verändert. Zuvor sei es eine verdreckte Industriestadt gewesen, sagten die beiden Frauen im Früchte- und Gemüseladen, dann hätten die Behörden die Industrien an den Stadtrand verbannt. Auch das Wetter habe sich wegen des Klimawandels positiv verändert, früher habe es nur geregnet.

Fern von Zuhause beschäftigt mich das Zuhause weit mehr als Zuhause.

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