Wednesday 8 May 2024

Bildpolitiken der Identität

Der Name Bernd Stiegler ist mir bekannt, daher mein Interesse an diesem Werk. Hätte ich jedoch den Untertitel gelesen (Von Porträtfotografien bis zu rechten Netzwerken), wäre dieses Interesse entschieden weniger gross gewesen, denn das war so ziemlich gar nicht, was ich mir erhofft hatte: Grundlegende Gedanken über Fotografie und Identität. 

Irritierend dann der Einstieg: Die französische Schriftstellerin George Sand wurde in den 1860er Jahren vom damals berühmten Fotograf Nadar aufgenommen, dessen Porträts sie, obwohl sie sie suboptimal fand, trotzdem vermarktete und zum Kauf anbot. So weit so gut, doch dass da in keinster Weise auf die Frage eingegangen wird, was sie wohl dazu getrieben hat, empfand ich als befremdlich. Ja, sicher, darüber kann man nur spekulieren, nur eben: Alles, was man zur Identität sagen kann, ist Spekulation. Und für die Buddhisten eine Illusion.

"Wer ich bin, entscheiden massgeblich die anderen. Daher muss der Auftritt der Identität mit Hilfe von Medien inszeniert und vermittelt werden." Doch stimmt das? Entscheiden wirklich die anderen massgeblich, wer ich bin? Das mag für einen Universitätsprofessor oder eine Schauspielerin oder andere Leute, die die Öffentlichkeit suchen, gelten; bei allen anderen wäre ich mir hingegen nicht so sicher.

Es handle sich, so der Autor in seiner Einleitung, um einen Gang durch die Fotografiegeschichte in zwei Etappen, und in mir regt sich bereits Widerstand. Geht es eigentlich auch einmal ohne den Schritt zurück? Wir haben doch längst gelernt (aus der Geschichte lernen wir, dass wir aus ihr nichts lernen, so Hegel), dass es keine Folgerichtigkeit für menschliches Verhalten gibt. Was wir stattdessen beobachten können, ist ein Treten an Ort. So merkt Professor Stiegler zu den Bildern im Netz treffend an: "Es wird fortwährend Neues generiert, das immer wie Vergangenes aussieht: ein jedes Bild  eine Art Déjà-vu. Es soll vertraut erscheinen und den uns als Porträtfotografie bekannten Bildtypen ähneln."

Warum ist eigentlich Identität so wichtig? Dazu habe ich leider in diesem Band kaum etwas gelesen, stattdessen lässt sich der Autor ausgiebig über die Fotografiegeschichte aus, worin er sich bestens auskennt. Zugegeben, das ist aufschlussreich und anregend, mir heutzutage jedoch zu wenig. Zur Identität lese man Dostojewski

Im zweiten Teil kommen dann vor allem Bildpolitiken im Netz zur Sprache, wobei dem Autor Tendenzen auffallen, die zwar nicht überraschen, doch in unser aller Bewusstsein gehören. "Die Linke ist deutlich textlastiger, während die Rechte dazu tendiert, auch Texte in Bilder zu verwandeln und mittels Bildern Inhalte zu triggern. Beide zeichnen sich weiterhin definitiv nicht dadurch aus, dass sie neue mediale Verfahren und Praktiken zur Herstellung von Identität entwickeln würden."

Möglicherweise hat das Erstarken der Rechten auch mit dieser Bildlastigkeit, derer sie sich clever bedienen, zu tun, denn Bilder transportieren Gefühle und diese werden selten hinterfragt. Was Walter Benjamin bereits 1931 formulierte, gilt unverändert auch heute. "Nicht der Schrift- . sondern der Fotografieunkundige wird der Analphabet der Zukunft sein." 

Die Frage "Warum trauen wir Fotografien, wenn es um Identität geht?" scheint rhetorisch gemeint, doch die zahlreichen Beispiele, die Bernd Stiegler aufführt, wie man Fotos zum eigenen Vorteil bzw. zum Nachteil der anderen beeinflussen und manipulieren kann, könnten deutlicher kaum zeigen wie verblendet wir durchs Leben gehen.

Professor Stiegler macht sich für eine fotografische Alphabetisierung stark. "Eine richtig verstandene fotografische Alphabetisierung nimmt den performativ weiterhin überaus erfolgreichen Lichtbildern ihre Selbstverständlichkeit und macht aus ihnen das, was sie immer schon waren: kulturelle Zeichen." Nur eben: Solche Erkenntnisse helfen nur denen, die guten Willens sind. Das Beispiel der Anhänger des Florida-Golfers zeigt, dass alle Aufklärung nichts nützt, solange sie auf taube Ohren, Augen und Hirne stösst.

Bernd Stiegler
Bildpolitiken der Identität
August Verlag, Berlin 2024

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