Getreu dem journalistischen Bonmot,
„Nach einem Tag vor Ort, ein Artikel; nach einer Woche vor Ort, ein
Hintergrundbericht; nach einem Monat vor Ort, ein Buch“, legt der
Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in der Schweiz,
Wolfgang Koydl, der allerdings schon etwas mehr als einen Monat im
Land weilt, ein Buch über die Schweiz und die Schweizer vor.
Um etwaigen Missverständnissen
vorzubeugen: es ist begrüssenswert, wenn einer zur Feder greift
(oder in die Tasten haut), wenn die Eindrücke noch frisch sind,
ärgerlich ist jedoch, wenn er darob vergisst, seine Hausaufgaben zu
machen. Konkret: Fast alle schweizerdeutschen Ausdrücke in diesem
Buch sind nicht nur falsch („Bömbli“ anstatt „Bömbeli“),
sondern gelegentlich – jedenfalls für Schweizer wie mich –
schlicht unverständlich („Gescheiterli“). Das ist umso
erstaunlicher, als er doch einen Schweizerdeutsch-Sprachkurs besucht
hatte, wo er unter anderem darüber aufgeklärt wurde, dass es den
Genitiv im Schweizerdeutschen nicht gibt, dafür jedoch den Genitiv
II.
Der Einstieg (die Beschreibung eines
dieser typischen übereifrigen Nachbarn) ist sehr gelungen und
erinnerte mich an meinen ehemaligen, damals gerade frisch aus
Deutschland zugezogenen, Strafrechtsprofessor in Basel, der auf meine
Frage, was denn so sein erster Eindruck von Land und Leuten sei,
trocken meinte: Polizei braucht es hier ja nicht wirklich, es gibt ja
Nachbarn. Ebenfalls sehr schön gelungen (auf den ersten Seiten –
und wenn die nicht stimmen, stimmt häufig das ganze Buch nicht) ist
die Beschreibung von Koydls Chefredakteur: „... in all den Jahren
ist er sich selbst treu geblieben, soll heissen: Irgendwelche
Anzeichen von Lernprozessen, Selbsterkenntnis, Altersmilde gar sind
nicht zu erkennen.“
"Wer hat's erfunden?" brachte
mich immer mal wieder zum Staunen. So war mir nicht bekannt, dass
jeder Hund (samt Besitzer), der neu in eine Gemeinde kommt, einen
Kurs absolvieren muss. Und zum Lachen, die Beschreibung von Wollerau
etwa, wo viele ganz Reiche eine Adresse haben, jedoch nicht wohnen.
„Der Ort ist bar jeder Attraktivität. Dort kann man eigentlich nur
leben, wenn man dort nicht wohnen muss.“ Oder der Hinweis auf die
meterhohe Aufschrift in altdeutscher Fraktur auf einer Hauswand in
Luzern: „Was haben Sie eigentlich gegen Beamte? Die tun doch gar
nichts.“ Oder: „Irritierend für den Fremden mutet dabei an, dass
Bürger von ausserhalb der Basel Stadtmauern – der Tennisstar Roger
Federer beispielsweise – nicht als 'Baselländer', sondern als
'Baselbieter' bezeichnet werden – nach dem Gebiet. Kein Wunder,
dass ich anfangs an ein Auktionshaus dachte.“
„Schweizer
tragen oft sehr absonderliche Namen, sowohl vorne als hinten“,
behauptet Koydl und ich wunderte mich schon, wie er das wohl belegen
würde, da ich selber Namen wie Imoberdorf, Dahinden oder Regenass
völlig normal finde (zugegeben, etwas sonderbar finde ich es schon,
dass ich solche Namen bisher so normal finden konnte) und stiess dann
auf den wirklich ultimativen Brüller, auf den ich selber gar nie
gekommen wäre: „Vollends verwirrte mich ein Abgeordneter im Berner
Bundesparlament mit dem Namen This Jenny. Vermutlich wollten ihn
seine Eltern von seinem Bruder unterscheiden, den sie schätzungsweise
That Johnny genannt hatten.“
„Wer
hat's erfunden?“ ist informativ, witzig und aufklärend, auch
Schweizer werden bei der Lektüre einiges lernen können, an
Geschichtlichem, Sprachlichem, Geografischem und Kulturellem. Ich war
übrigens ganz erstaunt, dass es zu Ehren von Freddie Mercury in
Montreux einen Sockel gibt. Und verwundert darüber, dass ich bis
jetzt ohne die beim Wandern erforderlichen Grussregeln habe auskommen
können (wenn ein Paar mehr als drei Meter auseinander geht, grüsst
man sie separat; ab 3000 Meter wird geduzt): „Langjährige Kenner
der Schweiz haben die Theorie aufgestellt, dass dieses sogenannte
'Grüezi-Wandern' von den Schweizern nur deshalb so aufmerksam
gepflegt wird, weil ihnen dies eine der wenigen Gelegenheiten im
Leben bietet, sich mit anderen ebenso wortkargen Landsleuten verbal
auszutauschen.“
Wolfgang Koydl
Wer hat's erfunden?
Unter Schweizern
Ullstein Taschenbuch, Berlin 2012
www.ullstein.de
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