Wednesday, 13 February 2013

Paul Senn, Fotoreporter

"Paul Senn – Geboren 1901. 1922 Fabrikarbeiter in Lyon, 1924 in der Redaktion der Basler Nachrichten. Arbeitet von 1926 bis 1930 als Graphiker in England, Italien, Belgien, Frankreich und Spanien. Seit 1931 als Photoreporter tätig und Mitarbeiter der bekanntesten in- und ausländischen Zeitschriften. Im Auftrag der Schweizer Illustrierten zweimal in den USA." 
Markus Schürpf, der die Aufarbeitung des Paul Senn-Archivs leitete, meint, dass dieser Lebenslauf bei der Ausstellung des "Collegiums Schweizer Fotografen" im Helmhaus Zürich 1951 aufgelegen sein muss und kommentiert: "Selbst in diesem rudimentären Abriss, der mit grosser Wahrscheinlichkeit von ihm selber zusammengestellt worden ist, sind Unrichtigkeiten enthalten, die er selber ohne grosses Nachdenken hätte präzisieren können, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre. So ist der Beginn seiner Reporterkarriere einigermassen eindeutig auf das Jahr 1930 anzusetzen. Und die erste der beiden Reportagereisen in die USA 1939 erfolgte nicht im Auftrag der "Schweizer Illustrierten Zeitung", sondern für die "Zürcher Illustrierte". Der Grund für diese Ungenauigkeiten, aber auch all jene, die in Beschreibungen von Verwandten, Freunden, Kollegen oder seiner späteren Lebensgefährtin enthalten sind, ist bestimmt bei Senn selber zu suchen, oder jedenfalls darin, wie er sein Leben lebte. Schon früh suchte er eine freie und ungebundene Lebensform und liess sich ungern festlegen." Eine einfache konservatorische Arbeit scheint das nicht gewesen zu sein; man glaubt das gelegentliche Aufstöhnen des Herausgebers Schürpf aus diesen Zeilen herauszuhören.
Die Kirchenfeldbrücke im Nebel eines Herbsttags
Bern, um 1948

Auch wenn ich nicht immer zu sagen wüsste, weshalb ich eine Photographie gut finde, beim Betrachten von Senns Bildern war mir sofort klar, dass ich da aussergewöhnliche Aufnahmen vor mir hatte. Matthias Frehner schreibt im Kapitel über Senns Farbfotografien in den USA: "Er extrahierte aus der Wirklichkeit denselben aufgeladenen, über das fotografisch Gespiegelte hinausweisenden Augenblick, den Hitchcock im Filmstudio akribisch rekonstruierte. Gleichzeitig gelingt es Senn, hinter leeren, öden Vordergrundsflächen irgendwo im urbanen Niemandsland Szenen von geheimnisvoller Dichte aufzuspüren." Ob Paul Senn bewusst war, was ihm da zugeschrieben wird? "... er realisiert nun gleichzeitig das Prinzip der direkten Spiegelung mit ihrer Authentizität des Zufalls." Was auch immer das heissen mag. Andrerseits gibt Frehner ein paar sehr schöne und überzeugende Hinweise, etwa dass er die Begegnung zwischen Mann und Frau vor dem Military Supplies Store mit Edward Hopper assoziiert. Das geht mir jetzt auch so!
Ferienkolonie der FIAT-Werke, Noli, Italien, 1948

Das Kapitel über Paul Senn und Italien hat Nanni Baltzer beigesteuert und darauf hingewiesen, dass Senn, vermutlich "herausgefordert durch die brennende Sonne und lange Schatten", eine kleine Serie von Schattenstudien gefertigt hat, "die an Rodtschenko oder Moholy Nagy denken lassen." Gut beobachtet, finde ich. Das obige Bild wie auch die Bildlegende hingegen liessen mich ratlos, meine erste Assoziation war der Jonestown Massenselbstmord.
Mittagessen in der Bergschule, Adelboden, Berner Oberland, 1935

Mit Bauern und Arbeiter. Ikonen des schweizerischen Lebens ist ein Kapitel überschrieben und die Bilder, die man da sieht, führen einem deutlich vor Augen, dass das eine ganz andere Schweiz gewesen ist als wir sie heute kennen. Vor allem bei diesen Bildern wird einem bewusst, dass Fotografien unser visuelles Gedächtnis sind. Und wenn es dann Fotos sind, die von "einem guten Auge" gemacht worden sind, lässt man sich das gerne gefallen.

Fazit: ein rundum empfehlenswerter Band, nicht zuletzt der ausführlichen und informativen Begleittexte wegen.

Paul Senn, Fotoreporter
Herausgegeben von Markus Schürpf und Matthias Frehner
Scheidegger & Spiess, Zürich 2007

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