Wednesday, 28 October 2015

Arbeit: Fotografien aus der Schweiz 1860-2015

Arbeit, wie bildet man sie fotografisch ab? Kein leichtes Unterfangen, denn Arbeit ist ja nichts Statisches, immer ist Bewegung mit dabei, auch beim Denken, doch wie fotografiert man einen Denkvorgang? Wie vielfältig diese Aufgabe gelöst werden kann, zeigt der vorliegende Band. Zu meinen Lieblingsbildern gehört die "mechanische Ziegelei" in Allschil / BL, aufgenommen von Eduard Müller 1898 (einen Ausschnitt davon zeigt das obige Titelbild. Klappt man das Buch auf, sieht man das ganze Bild). Wie kunstvoll arrangiert sich die Arbeiter in Szene gesetzt haben, lässt auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Fotograf und Arbeitern schliessen.

Die erste Aufnahme in Arbeit: Fotografien aus der Schweiz 1860-2015 (auf Französisch: Le Travail: Photographies provenant de Suisse 1860-2015; es handelt sich um eine zweisprachige Ausgabe) zeigt eine Frau in einem langen Kleid und einem Gestell unter dem Rock, in Schürze und mit Kopfbedeckung, die einen Besen in der Hand hält. Die Bildlegende sagt, dass es sich um ein Zimmermädchen aus dem Hotel Beau-Rivage in Lausanne handelt (1865). Eine Inszenierung, natürlich. Würde man heute ein Zimmermädchen mit einem Besen abbilden?

Mein Herangehen an diesen Band ist willkürlich. Ich blättere zuerst einmal, bleibe hier und da stecken, lerne, dass es 1901 den Beruf des Bautauchers gegeben hat, stosse auf einen Migros-Verkaufswagen in Carona/TI, das war 1954, dann auf Aufnahmen von Italienern und Spaniern, die 1966 für die Weihnachten nach Hause fuhren, und schliesslich auf ein Bild von zwei italienischen Heuern, sagt die Bildlegende, bei der sonntäglichen Bartpflege in Splügen/GR um 1908.
Beladen einer DC-2 der Swissair
1935 / Birsfelden (BL) / Foto: anonym

Daniela Nowakowski und Dario Donati erläutern in der Einleitung, worum es bei dieser Publikation geht. "Im Vordergrund steht dabei nicht eine realienkundliche Geschichte der Arbeit, etwa die Frage, wie die Werkstatt eines Schreiners um 1900 aussah, sondern wie und mit welcher Funktion Arbeit beziehungsweise der arbeitende Mensch in den verschiedenen fotografischen Bildquellen dargestellt wird."

Markus Schürpf weist in seinem Abriss der "Stationen der Schweizer Fotogeschichte" unter anderem darauf hin, dass bis ins 20. Jahrhundert die Fotografie wesentlich ein Mittel der Selbstdarstellung gewesen ist und sich dies nach 1945 zu verändern begann. "Gab es gemäss Berufsstatistik 1950 2500 Fotografen, so sind es 1970 über 3000. Grund dafür ist, dass Industrie und Gewerbe, und immer mehr auch die Dienstleistungsbranche, über die herkömmlichen Dokumentations- und Werbeaufnahmen hinaus perfekt inszenierte Fotografien der Produkte und der Betriebe, aber auch des Personal anfertigen lassen."

Auch wenn sich seither vieles geändert hat, die visuelle Inszenierung hat zugenommen. Auch deswegen sind Fotos immer wichtiger geworden. Und werden es wohl weiter bleiben. Doch was  die Fotografien der Arbeit angeht, so gilt. "Die Arbeit der neuen Zeit allerdings entzieht sich dem Auge der Kamera." (Markus Schürpf).

Verkehrspolizist
1960 (ca.) / Zürich / Foto: ASL

Die Bestände des Schweizerischen Nationalmuseums wurden in fünf Kategorien unterteilt. 1) Die Firmenfotografie (eingeführt von Ricabeth Steiner und Fabian Müller, die auch darauf aufmerksam machen, wie im Laufe des 20. Jahrhunderts, in dem die Arbeit automatisiert wurde, "der Mensch verstärkt in den Fokus der Firmenfotografie" gerückt ist, gleichsam als Gegengewicht. 2) Private Fotografie. 3) Freie Fotografen (Text jeweils von Ricabeth Steiner und Fabian Müller). 4) Pressefotografie (Dario Donati). 5) Postkarten (Ricabeth Steiner und Fabian Müller).

Der thematische Teil des Bandes gliedert sich in vier Kategorien: Frauen und Männer, ausländische Arbeitskräfte in der Schweiz, Arbeit in Zeiten des Kriegs, der Mensch und die Maschine. Besonders angesprochen hat mich "Maurer, ein Frauenberuf?", der witzige und mit 'common sense' geschriebene Text von Daniela Nowakowski.
Fotoarchivar im Landesmuseum
1975 (ca.) / Zürich / Foto: anonym

"Anhand von Fotografien aus den Jahren um 1977 bis 2014 diskutieren die Psychologin Dr. Anita Keller und der Soziologe Prof. Dr. Franz Schultheis über Veränderungen in der Arbeitswelt", lese ich. Die Fotos werden dabei nur als Auslöser benutzt, als Aufnahmen werden sie nicht hinterfragt.

Der Band schliesst mit einem unterhaltsamen und lehrreichen Text von Max Küng, wo man unter anderem erfährt, dass im heutigen New Speak der Zeitungsjunge "Media Distribution Officer" genannt wird. Wieso dieser Artikel allerdings in einem Band über Arbeit-Fotografien publiziert wird, ist mir schleierhaft.

Arbeit / Le Travail
Fotografien aus der Schweiz 1860-2015
Photographies provenant de Suisse 1860-2015
Schweizerisches Landesmuseum / Limmat Verlag, Zürich 2015

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