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Desmond Morris, geboren
1928, ist mir als Autor von Der nackte Affe bekannt.
Das 1967 erschienene Werk wurde weltweit über 12 Millionen Mal
verkauft. Dass er nicht nur Verhaltensforscher, sondern auch
surrealistischer Künstler war, wusste ich nicht. Dass er zudem auch
als Autor und Filmemacher hervorgetreten war, wusste ich genau so
wenig, doch dass er so vielfältig unterwegs ist, nimmt mich für ihn
ein. Schliesslich ist das Leben zu vielfältig, um sich nur einem
Fachgebiet zu widmen.
Ich weiss so recht
eigentlich gar nichts über die Surrealisten, als ich dieses Buch zur
Hand nehme – gerade mal einige Namen sind mit bekannt und natürlich
die Bilder von Salvador Dalí. Von Man Ray habe ich eine recht gute
Vorstellung, da er einige Jahre mit der Fotografin Lee Miller,
die später Roland Penrose heiraten sollte, zusammen gewesen war –
, was Desmond Morris von ihm berichtet, lässt ihn mich wieder anders
sehen.
Die wichtigste Regel der
Surrealisten war, mit dem Unbewussten zu arbeiten, also nicht zu
planen, nicht zu analysieren. "Lass deine dunkelsten,
irrationalsten Gedanken aus deinem Unbewussten aufsteigen und sich
auf deiner Leinwand ausbreiten (....) handelt es sich doch um jene
tieferen Schichten, in denen wir alle die gleiche Hoffnung, die
gleiche Angst, den gleichen Hass, die Liebe und die Sehnsucht
spüren."
Es versteht sich: Jeder
dieser Idealisten tat das auf seine Art. Und auch ihr Leben lebten
sie nach ihren jeweils eigenen und unterschiedlichen Vorstellungen.
"Eine kleine Gruppe ungebärdiger Intellektueller, die in einem
Café palaverte und eine Zeitschrift herausgab", meinte der
spanische Regisseur Luis Buñuel. Was ist von ihnen geblieben?
Desmond Morris formuliert es für sich so: "Geblieben ist mir
vor allem der freie Zugang zu den Tiefen des menschlichen Wesens, der
uns wichtig war und den wir ersehnten, dieser Ruf nach dem
Nicht-Rationalen, nach dem Dunklen, nach den Impulsen, die aus den
Tiefen unseres Ichs kommen."
Das Leben der
Surrealisten ist kein Versuch, die Werke der Surrealisten zu
analysieren. Vielmehr geht es um die Surrealisten als Menschen, als
Individuen. "Wie war ihre Persönlichkeit, was waren ihre
Vorlieben, ihre Charakterstärken, was ihr Schwächen? Haben sie sich
ins Gesellschaftsleben gestürzt oder waren sie einsam? Waren sie
kühne Exzentriker oder ängstliche Eremiten? Waren sie sexuell
normal oder erotisch pervers? Waren sie Autodidakten oder besassen
sie eine akademische Ausbildung?" Kurz und gut: Dieses Buch
handelt von den Fragen, die mich am allermeisten interessieren.
Zweiundzwanzig
Lebensbilder hat Desmond Morris geschaffen; seine Auswahl war
subjektiv – wie sollte es auch anders sein? – , es sind die für
ihn interessantesten, die er hier vorstellt. Alberto Giacometti und
Meret Oppenheim gehören dazu wie auch Dorothea Tanning und Pablo
Picasso. Vieles, was ich erfuhr, dünkte mich spannend und anregend;
Einiges hinterliess starke Bilder in meinem Kopf. Etwa, dass Hans Arp
nach dem tragischen Tod seiner Frau sich eine Zeit lang in völliger
Einsamkeit in einem Dominikanerkloster aufhielt, den Rat von C.G.
Jung suchte und sich für Mystizismus zu interessieren begann.
Das
Leben der Surrealisten ist
voller anregender Anekdoten, reich an spannenden Details wie etwa
diesem: "Der Hollywoodstar Marlene Dietrich kam mit
vierundvierzig koffern und dem intensiven Wunsch in Paris an,
Giacometti kennenzulernen, dessen arbeiten sie in New York gesehen
und bestaunt hatte." Oder diesem: Dass Meret Oppenheim die Idee
zur Pelztasse samt Untertasse und Löffel, die sie berühmt gemacht
hatte, einer beiläufigen Bemerkung Pablo Picassos verdankte.
Ausgesprochen erhellend
sind Morris' Ausführungen über Francis Bacon, der sich selber als
Surrealist verstand, jedoch von der Londoner Gruppe 1935/36 abgelehnt
wurde. Ein wesentlicher Teil dessen, was über Bacons Werk
geschrieben worden sei, gehe am Kern vorbei. "In seiner Kunst
nahm er alles schwer, während er im Leben alles leicht nahm."
Allerdings: "Er war boshaft, eitel, beleidigend, arrogant,
illoyal und wenig zuverlässig …".
Immer mal wieder habe ich
mich gefragt, ob Künstler per definitionem höchst unangenehme
(nein, nicht einfach nur schwierige, denn das sind wir alle) Menschen
seien. Von keinem einzigen in diesem Werk könnte ich sagen, er sei
mir sympathisch. Die andere Frage, die sich mir stellte: Kann/will
ich das Werk von seinem Schöpfer trennen? Nein, will ich ich nicht,
doch es ist möglich, sie nebeneinander stehen zu lassen. Desmond
Morris zeigt in diesem Buch exemplarisch, wie das geht. So beschreibt
er André Breton als kleinlichen Diktator, "arrogant,
widersprüchlich, verlogen, aufgeblasen und rachsüchtig, aber
gleichzeitig war er die treibende und wichtigste Kraft der
surrealistischen Bewegung –
sie wäre ohne ihn wesentlich glanzloser verlaufen."
Das
Leben der Surrealisten ist ein sehr schön gestaltetes Buch, mit Foto-Porträts der
Künstler sowie einem für ihr Gesamtwerk charakteristischem Bild,
das dem Lebensgefühl der Surrealisten wunderbar gelungen Ausdruck
gibt. Eileen Agar hat es für sich so formuliert: "Ich habe mein
Leben in der Revolte gegen die Konvention verbracht und dabei
versucht, in die alltägliche Existenz Farbe, Licht und ein Gefühl
für das Geheimnisvolle zu bringen."
Fazit: Ein Juwel von einem
Buch!
Desmond Morris
Das Leben der Surrealisten
Unionsverlag, Zürich 2020
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