Da ich einen Thriller zum Thema Rache geschrieben habe, ist mein Interesse an diesem Band entsprechend gross; als ich dann aber lese, diese kulturgeschichtliche Untersuchung sei aus einer Dissertation hervorgegangen, entschieden weniger. Doch dann erinnerte ich mich an ein Werk, das ebenfalls aus einer Dissertation hervorgegangen war und mich begeistert hatte, und so beschloss ich to keep an open mind .... was mir jedoch nicht wirklich gelang. Kurz und gut: Ich gebe hier nur wieder, was die (zugegeben, recht summarische) Durchsicht bei mir ausgelöst hat.
Mit Rache verbindet man gemeinhin etwas Primitives, Anti- bzw. Vor-Zivilisatorisches. 'Wo Rache war, da wurde Recht' lautet deshalb auch das Selbstverständnis der Moderne. Wer daraus jedoch den Schluss zieht, die Rache sei damit überwunden, irrt. Und zwar gewaltig, der Autor macht dies mehr als deutlich, an vielen Beispielen, die er differenziert (das darf man bei einer Dissertation erwarten) behandelt.
Rache ist so recht eigentlich ein dirty word; wird einer eines persönlichen Rachefeldzugs beschuldigt, hat er gute Chancen, dass seine Argumente von nicht wenigen gar nicht mehr gehört werden wollen. Und auch mittels der Sprache wird versucht, der Rache beizukommen. "In den in englischer Sprache geführten Debatten rund ums Strafrecht wird anstelle von 'revenge oder 'vengeance' meist von 'retribution' gesprochen. Ein Ausdruck, der, wie Jacoby bemerkt, vor allem von Befürworterinnen einer rigideren Strafpraxis verwendet wird, um das harscher anmutende 'revenge' zu vermeiden."
Nun ist es ja nicht nur bei der Rache so, dass man die Dinge nicht beim Namen nennt, schliesslich basiert "unsere" ganze Kultur auf Heuchelei bzw. dem Verdrängen. Und gerade die Engländer tun sich beim konkreten Benennen von was auch immer ganz besonders schwer.
Ein Beispiel: Die
konservative britische Regierung plant illegale Asylbewerber nach
Ruanda auszufliegen und dort deren Aussichten auf britisches Asyl
prüfen zu lassen. Auf Sky-News wird ein Befürworter und ein Gegner
dieses Vorhabens eingeladen. Als der Gegner sagt, das würde nicht
funktionieren und sei „like pissing in the wind“, wird er von der
Moderatorin darauf hingewiesen, dass eine solche Ausdrucksweise auf
Sky-News nicht toleriert werde. Was mich an einen britischen Komiker
erinnerte, der die New York Times wissen liess, dass es in
Grossbritannien nicht möglich sei, jemanden als Lügner zu
bezeichnen, stattdessen sei „ein ökonomischer Umgang mit der
Wahrheit“ üblich.
Es handle sich bei diesem Werk um "die Vermessung eines unzulässigen Gefühls" (Gefühle können vermessen werden? Echt jetzt?), lese ich auf der vierten Umschlagseite, und Fabian Bernhardt zeige, "dass auch unter dem dünnen Firnis unserer aufgeklärten Zivilisation das Bedürfnis nach Rache weiter pulsiert und nach oben drängt." Ich habe keine Zweifel, dass dem so ist, doch wundert das wirklich jemand? Höchstens die, welche ernsthaft glauben, dass sie aufgeklärt und zivilisiert sind.
Beeindruckende Spielzeuge und Instrumente haben wir entwickelt, den materiellen Lebensstandard gesteigert, des Menschen Erfindungen und Entdeckungen sind atemberaubend. Emotional sind wird jedoch stehengeblieben, haben wir so ziemlich gar nichts im Griff. Der zivilisierte Mensch ist ein Mythos, unsere Triebe sind noch dieselben wie die des Urmenschen.
Von Aristoteles lese ich. Und von Marianne Bachmeier. Von Sloterdijk und Dagobert Duck. Die akademische Welt gibt sich grenzüberschreitend hip und unkonventionell. So scheint es. Doch es ist das Übliche: Begriffe werden bestimmt, Differenzierungen vorgenommen, sogenannt anerkannte Grössen zitiert. Der Autor führt vor, dass er seine Hausaufgaben gemacht, sich seinen Doktorhut verdient hat. "Anstatt die Rache zu verdrängen und zum schlechten Anderen zu erklären, täte die Moderne folglich gut daran, sich klar zu machen, in welchem Masse ihr eigenes Fühlen und Handeln von rächerischen Affekten bestimmt wird und welchen Raum diese Affekte nicht nur in ihrer Imagination, sondern auch in ihren Institutionen einnehmen."
Ein angemessene Schlussfolgerung für eine Dissertation, an Harmlosigkeit kaum zu überbieten. Ich selber finde Rache oft eine gute Sache, vor allem dann, wenn sie von der Mehrheit als ausgleichende Gerechtigkeit verstanden wird. Nein, nicht den Ehrenmord, natürlich nicht, sondern Robin Hood! Doch wie gesagt: Rache ist ein akademisches Buch, sollte es von praktischer Relevanz sein, so hat sich mir dies nicht erschlossen, ausser als (immer wieder notwendige) Bewusstmachung, dass und wie wir uns selbst belügen.
Fabian Bernhardt
Rache
Über einen blinden Fleck der Moderne
Matthes & Seitz Berlin 2021
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