Friday, 6 September 2024

Martha Gellhorn: Die Araber von Palästina

Ich bin Fan von Martha Gellhorn, ihr Roman Liana, der während des Zweiten Weltkriegs in der Karibik spielt, gehört zu den wenigen Büchern, die ich ganz, ganz langsam gelesen habe, auf dass mir die erhellenden Einsichten dieser Autorin nicht entgegen mögen. "Pierre knew he could not think his way out of this sadness, it would have to wear off with time. He must neither fight it nor feed on it; he must leave it alone and let it wear away as the wood of the pier wore away in the sea." Und (natürlich gibt es noch viele mehr): "Marc believed that he and Pierre were average men: it was the average men who would have to run the world if it was to be sane, not these strange, remote creatures who spoke on the radio, got their pictures in the papers, rushed about the globe bossing and babbling and had no real life anywhere, nothing to do with real people, and no roots."

Zu diesen "strange, remote creatures" zählt sie auch Jassir Arafat, diesen "hässlichen kleinen Mann mit seinem Zweitagebart, seinem gruseligen Lächeln und den theatralischen Guerillaklamotten", den niemand gewählt hat, "und kein Palästinenser wagt es, sich seiner PLO zu widersetzen; Andersdenkende werden ermordet." Gibt es eigentlich heute noch jemanden, der derart unverblümt schreibt? 

Im Jahr 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, Palästina in zwei Staaten zu teilen, einen für die palästinensischen Araber, den anderen für die Juden. Die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten hat für die arabischen Flüchtlinge Millionen von Dollars ausgegeben (Stand Oktober 1961). Das Geld kam von Mitgliedern der Vereinten Nationen sowie von privaten Wohltätigkeitsorganisationen. "Die Sowjetunion hat nie auch nur einen Cent bezahlt. Eine kleine boshafte Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen: Arabische Flüchtlinge äussern oft zärtliche Gefühle für die Sowjetunion, während die meisten der Sprecher in den Dörfern Amerika und England oder dem Popanz 'Westlicher Imperialismus' die Schuld für ihr Exil geben." Womit sie auf den Punkt bringt, was ein friedliches Mit- oder Nebeneinander verunmöglicht: die ideologischen Voreingenommenheiten.

Von den 58 Lagern der UNRWA besucht sie 8, gelegentlich wird sie dabei von Aufpassern des örtlichen Geheimdienstes begleitet. Was sie vor allem antrifft, ist eine Realität, die "mit der Prahlerei, der Fremdenfeindlichkeit und dem antisemitischen Hass, die die Presse" verbreitet, so ziemlich gar nichts zu tun hat. Was auffällt: Offensichtliches, wie etwa die fehlende Geburtenkontrolle, können nicht angesprochen werden. Stolz und eine ausgesprochene Anspruchsmentalität herrschen vor. 

Es ist eine wahre Freude, diese Reportagen zu lesen, denn Martha Gellhorn tut, was wirklich gute Reporter (die Reporterinnen verkneife ich mir, schliesslich gibt es im Englischen {sie war Amerikanerin} diese Unterscheidung nicht, denn dort bezieht sich Reporter sinnigerweise auf die Fähigkeit, einen Report zu verfassen und nicht etwa aufs Geschlecht) tun: Sie beschreibt nicht nur, was sie sieht, sondern auch, was sie sich dabei überlegt, sie empfindet und ihr durch den Kopf geht.

Gaza bezeichnet sie als Gefängnis, die Verschwörungstheorien der palästinensischen Propagandisten mit: "Es gibt eine Grenze für das Ausmass an Absurdität, das man ertragen kann, daher schlug ich vor,  dass wir das Lager besuchen. (...) Es gab keine Möglichkeit, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen, sondern einer der Ehemänner ergriff sogleich das Wort." Es ist dies Letztere, dar mir so recht eigentlich alles über die arabische Welt sagt, und weshalb ich sie mit den westlichen Werten von heute als grundsätzlich nicht vereinbar erachte. Das liegt auch daran, dass Muslime sich am religiösen Glauben und der moderne westliche Mensch sich an der wissenschaftlichen Erkenntnis orientiert.

Die Araber von Palästina ist ein erhellender und wesentlicher Text, der eindrücklich aufzeigt, worin sich Menschen unterscheiden. "Ich hatte einzelne Flüchtlinge gemocht und bewundert, erkannte aber, dass ich keine allgemeine Empathie für die palästinensischen Flüchtlinge empfand (...) Es ist schwer, sich um diejenigen zu sorgen, die nur um sich selbst kreisen. Es fällt schwer, die Mitleidlosen zu bemitleiden."

Welten prallen aufeinander. Die Israelis packen an, die Araber erwarten von den Israelis, dass sie anpacken. Den Arabern scheint eine genuine Opfermentalität eigen, Schuld sind immer die andern. Nach einem Gespräch mit einer muslimischen Lehrerin, notiert Martha Gellhorn: "Ausserdem hatte ich genug von der Anstandsregel, die offensichtlich von Nicht-Arabern verlangt, Araber zu behandeln, als wären sie neurotische Kinder, die entweder Wutanfälle bekommen oder innere Blutungen von Wunden der Seelen."

Doch sie sind nicht nur ohne Empathie, sie sind voller Hass. Auf die Juden sowieso, aber auch untereinander. So klar und deutlich habe ich das noch nie gelesen. Dass dies heutzutage so nicht zu hören ist, liegt womöglich an einer Entwicklung, welche die Komplexitätsherstellung als Geschäftsmodell entdeckt hat. 

Die Araber von Palästina ist vielfältige Aufklärung vom Feinsten, die uns unter anderem warnt (im Beitrag über Eichmann), "dass das eigene Gewissen der letzte und einzige Schutz der zivilisierten Welt ist." Und uns an die Empathielosigkeit der Schweizer Behörden während des Zweiten Weltkriegs erinnert, die Null Interesse am Schicksal der Juden hatten. 

In "Verluste und Propaganda", einem Text aus dem Jahr 1967, schreibt sie: "Überall, wo wir hinkamen, sassen wir in einer Gruppe im Kreis, tranken Kaffee aus winzigen Tässchen und unterhielten uns wie vernünftige Menschen. Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, änderte sich die Atmosphäre." Genau so habe ich es einmal, bei einem Gespräch mit einem Muslim in Istanbul, erlebt. Als ich einem kubanischen Musiker, der mit einer Türkin verheiratet war, davon erzählte, sagte er (ich war zu der Zeit mit einer Kubanerin verheiratet): "Weisst du, die Türken, die sind nicht wie wir." Nachzulesen in Warum rennen hier alle so? (Zürich/Chur 2013).

Diesem Band ist ein gut geschriebenes, engagiertes, differenziertes und sehr aufschlussreiches Nachwort des Verlegers Klaus Bittermann beigegeben, das auch auf die heutige Situation Bezug nimmt, die er sich hauptsächlich mit der Geschichte und der Ignoranz erklärt. Auch wenn ich seine Argumente überzeugend finde, mir selber scheint der israelisch-arabische Konflikt stärker durch inkompatible Mentalitäten geprägt, die natürlich nicht allen Israelis bzw. allen Arabern gemeinsam sind. Treffend kommentiert er dabei auch die propalästinensischen Reaktionen auf den 7. Oktober: "Erstaunlich ist dabei, dass zahlreiche Professoren an den Universitäten in zahlreichen Offenen Briefen sich mit den erklärtermassen propalästinensischen Aktivisten solidarisch erklären, als ob es vornehmlich darum gehe, die Unwissenheit über den Konflikt nicht nur Wissensvermittlung zu schmälern, sondern zwanghaft unter Beweis zu stellen, dass Ahnungslosigkeit eine besonders schützenswerte menschliche Eigenschaft sei." Was lernt man daraus? Dass auch sogenannt gescheite Leute unfassbar beschränkt sein können, und selten viel anderes tun, als ihre Vorlieben und Abneigungen zu rationalisieren, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Zudem: Weshalb nehmen wir eigentlich professorale Meinungen, die nichts mit dem jeweiligen Fachgebiet (von Urban Studies über Kritikkompetenz zu Queer Computing) zu tun haben, eigentlich ernst?

Fazit: Exzellenter Journalismus der erfrischend persönlichen Art, bei dem nicht nur die Ereignisse vor Ort sowie deren Hintergründe zur Sprache kommen, sondern ebenso das Denken und Fühlen dieser no-nonsense Autorin.

Martha Gellhorn
Die Araber von Palästina
Reportagen über arabische Flüchtlinge, Eichmann und den Sechstagekrieg
Edition Tiamat, Berlin 2024

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