Wednesday, 19 November 2025

Die Zähmung des Menschen

Die Frage, ob der Mensch von Natur aus gut (Jean-Jacques Rousseau) oder schlecht (Thomas Hobbes) sei, ist nicht zuletzt auf unser Bemühen um Vereinfachung zurückzuführen und hat wesentlich mit unserem Entweder/Oder-Denken zu tun.

Richard Wrangham, geboren 1948, Professor für biologische Anthropologie an der Harvard University, findet die Frage falsch. „Statt zu versuchen, Beweise für eine der beiden Seiten zu finden, sollten wir uns fragen, ob diese Diskussion überhaupt sinnvoll ist. Säuglinge weisen uns in eine ganz andere Richtung. Die Rousseau’sche Sichtweise ist genauso richtig wie die Hobbes’sche.“ Wir sind unserem Wesen nach sowohl gut als schlecht, welche der beiden Seiten die Oberhand gewinnt, hängt von den Umständen ab.

So recht eigentlich sagt das einem ja auch der gesunde Menschenverstand, doch dieser ist leider nicht besonders verbreitet. Stattdessen lassen wir uns im Übermass von unseren Emotionen leiten und die sind häufig wenig dienlich. Anders gesagt: Die Tatsache, dass in gewissen Situationen Panikgefühle aufkommen, bedeutet nicht, dass man diesen unverzüglich nachgeben soll. Und überhaupt: Wozu mangelnde Impulskontrolle führen kann, zeigt uns das Trump-Desaster in den USA täglich. Gescheiter ist, genau hinzugucken. Und Fragen zu stellen. Und sich die nötige Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Und genau dies hat Richard Wrangham getan.

So stellte er unter anderem fest, dass nicht miteinander verwandte Arten sich in vieler Hinsicht verblüffend ähneln. Auch beschäftigte er sich mit der These, dass wir Menschen eine domestizierte Art seien. „Wenn wir eine domestizierte Art sind, wie sind wir dann dazu geworden? Wer sollte uns denn domestiziert haben?“ Selbstdomestizierung, lautet die Antwort und wie die vonstatten gegangen ist, führt der Autor anhand ganz vieler faszinierender Geschichten überzeugend aus.

Frieden innerhalb der Gruppe und Gewalt gegenüber Fremden, gemäss diesem Muster scheinen wir Menschen zu funktionieren. Überall auf der Welt verhalten sich Soldaten im Krieg anders als zuhause. Doch natürlich ist es nicht so simpel – zuhause anständig, im Krieg pervers – und Richard Wrangham erklärt wieso. Dabei befasst er sich auch mit häuslicher und sexueller Gewalt in Friedenszeiten. Zudem unterscheidet er zwischen aktiver und reaktiver Aggression – letztere beurteilen die Menschen milder, aus ihr erwächst letztlich die soziale Toleranz. Die aktive Form der Aggression ist es, die uns als Menschen so tödlich macht.

Wie es Universitätsprofessoren geziemt, hat sich auch Richard Wrangham durch beträchtliche Mengen von Studien und Literatur gearbeitet – Die Zähmung des Menschen ist nicht zuletzt eine eindrückliche Fleissarbeit, eine gut geschriebene notabene. Das Themenspektrum ist ausgesprochen breit und geht weit über die Anthropologie hinaus. Wer sich über Sätze wie: „Die Sprache scheint eine notwendige Voraussetzung zur vorsätzlichen Tötung eines Individuums zu sein“ wundert, wird an den Ausführungen in diesem Werk seine helle Freude haben.

Dieses Buch ist nicht zuletzt eine Einladung, sich an Forschungsdaten zu orientieren. Und sich mit der These auseinanderzusetzen, „dass unsere Vorfahren unbeabsichtigt einen friedlicheren Menschen hervorbrachten, indem sie die aggressivsten Männer töteten.“ Nein, der Autor ist kein Verfechter der Todesstrafe, er ist vielmehr entschieden dagegen. Schliesslich haben sich die Zeiten (und damit die Bedingungen) wesentlich geändert.

Richard Wrangham kommt zum Schluss, dass wir über eine schwach ausgeprägte Neigung zu reaktiver Aggression und eine stark ausgeprägte Tendenz zu aktiver Aggression haben. Und jetzt, was machen wir damit? Nicht die weithin geteilte, jedoch unreflektierte Überzeugung nachzubeten, Kooperation sei immer gut, sondern das Ziel verfolgen „unsere Fähigkeit zu organisierter Gewalt einzudämmen.“

Fazit: Ein Buch voller origineller Denkanstösse, das die menschliche Aggression schärfer und vielfältiger zeigt, als es bis anhin der Fall gewesen ist.

Richard Wrangham

Die Zähmung des Menschen.
Warum Gewalt uns friedlicher gemacht hat. Eine neue Geschichte der Menschwerdung
DVA, München 2019

Sunday, 16 November 2025

Alle Scheinwerfer auf mich!

Ohne die von den Medien jeden Tag von neuem bereitgestellte Plattform, auf der sich dieser egomanische Hohlkopf sondergleichen (zugegeben, mit ganz vielen anderen, die auch ganz, ganz viel Aufmerksamkeit brauchen) austoben darf, weil das nicht nur ihm, sondern auch ihnen die Aufmerksamkeit beschert, nach der sie gieren, gäbe es keinen D. T. 

Ich ertrage es nicht mehr, dass man mir unter dem Hinweis auf Aufklärung täglich die Inkarnation der Primitivität und Geistlosigkeit vorführt, um selber Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich habe mich ausgeklinkt, mag mir den täglichen Irrsinn nicht mehr antun, denn die Versuche einen Irren bzw. eine irre Welt rational zu erklären, sind genauso irre (inklusive der nachgereichten Rationalisierungen). Warum also lese ich dieses Buch? Weil ich mir davon Aufklärung über unser von den Medien geprägtes Dasein erhoffe – und die kriege ich auch, wenn auch ausschliesslich über die nordamerikanischen Medien.

Im Kapitalismus gibt es keine Demokratie, hat Horst Herold, der einstige Leiter des BKA, gesagt, denn da herrscht das Geld und nicht das Volk. Und um Geld zu verdienen, braucht man Aufmerksamkeit. Das ist der gemeinsame Nenner, der D.T. und die Medien antreibt.

Das Fernsehen "stellte das Bild über das Wort und damit die Erscheinung über das Wesen", so James Poniewozik. "Das Fernsehen aber sprach eher in Bildern als in Worten und appellierte daher stärker an die Emotionen als an den Verstand." Treffender hat es die New Yorker Fotografin Lisa Kahane gesagt: "Image outlives fact." Dazu kommt, dass sich allzu viele mit dem Image von D.T., der behauptet, er könne tun, was auch immer er wolle, bestens identifizieren können.

Es gehört zu den Kennzeichen des nordamerikanischen Qualitätsjournalismus, das er auch immer eine Fleissarbeit ist (für diejenigen, die mit der Fernsehlandschaft der USA nicht besonders vertraut sind, ist dieses Buch streckenweise wenig ergiebig) und sein Thema möglichst von vielen Seiten beleuchtet. Und so erfahren wir in diesem Buch nicht nur von den Anfängen des Fernsehens, sondern auch von den Vorlieben von Mutter und Vater Trump, wobei sich der Autor in seiner Charakterisierung von D.T. auffallend zurückhält und sich vorsichtig ausdrückt (Von "Ich behaupte nicht zu wissen" über "könnte" bis zu "vielleicht sogar"), vermutlich auch als Absicherung vor potentiellen Klagen, für die die USA und besonders D.T. berüchtigt sind.

Detailliert zeichnet James Poniewozik die symbiotische Beziehung zwischen D.T. und den Medien nach. "Die Impulse des einen waren die Impulse des anderen. Die Begierden des einen waren die Begierden des anderen. Die Mentalität des einen war die Mentalität des anderen." Entscheidend dabei ist, nicht aus den Augen zu verlieren, dass sowohl die Medienwelt als auch D.T. Fiktionen sind. Dass wir diese der Realität vorziehen, werden wir wohl einst teuer zu bezahlen haben, denn Fiktionen haben es so an sich, sich aufzulösen, die Realität jedoch nicht. Wie sagte doch Philip K. Dick: "Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away." Wäre der Mensch fähig, sich der Realität zu stellen, gäbe es diesen Kaiser ohne Kleider nicht. Und es gäbe wohl die meisten Medien nicht.

Alle Scheinwerfer auf mich! ist grösstenteils eine differenzierte und gescheite Auseinandersetzung mit dem mediatisierten D.T., auch wenn sie gelegentlich in ihrer eigenen Informationsflut fast ersäuft, doch gegen Schluss hellsichtig erkennt, dass D.T.s gefährlichste Gegner "nicht seine klugen Kritiker, wie der stocksteife FBI-Direktor James Comey" sind, sondern die, "die sich mit dem TV und den sozialen Medien auskannten und durch kein Schamgefühl gehemmt waren", wie Stormy Daniels oder Omarosa Manigault Newman, die vom stellvertretenden Pressesprecher des Weissen Hauses, vom Podium aus angegriffen wurde. "Omarosa wurde dreimal bei The Apprentice gefeuert", sagte er, "und das war das vierte Mal, dass wir sie gehen liessen," Sehr schön kommentiert der Autor: "Wir. Die Trump-Administration, so Shah, war also die Fortsetzung von Apprentice im globalen Massstab."

Der Narzisst D.T. war offenbar schon von früh auf abhängig davon, im Mittelpunkt zu stehen. Süchtig nach Aufmerksamkeit zu sein, ohne sie nicht leben zu können, ist ein Charakterdefekt, der nicht nur D.T., sondern auch vielen Medienschaffenden eigen ist. Das kritische Hinterfragen, das einige Medienleute nicht nur für sich in Anspruch nehmen, sondern eindrucksvoll praktiziert haben und praktizieren (über kaum jemanden ist so viel bekannt wie über D.T.), hat sich als wirkungslos erwiesen

Eindrücklich hat James Poniewozik herausgearbeitet, wie D.T., seine Administration und die Medien, sich der Realität verweigern. Zu kurz gekommen ist mir allerdings, dass solche Leute nur deswegen Macht ausüben können, weil wir uns alle der Realität verweigern. Wären wir so nüchtern und realistisch, wie wir uns selber gerne sehen, würden wir uns eine solche Welt nicht gefallen lassen.

Alle Scheinwerfer auf mich! bietet nicht nur vielfältige Aufklärung über die geradezu kongeniale Partnerschaft von D.T. und den Medien (nein, nicht allen), es illustriert auch auf erschreckende Weise, dass und wie wir die Fiktion der Realität vorziehen.

James Poniewozik
Alle Scheinwerfer auf mich!
Die Geburt Donald Trumps aus dem Fernsehen
und der Zerfall Amerikas
Edition Tiamat, Berlin 2025

Wednesday, 12 November 2025

John Steinbeck: The Pearl

 A town is a thing like a colonial animal. A town has a nervous system and a head and shoulders and feet. A town is a thing separate from all other towns, so that there are no two towns alike. And a town has a whole emotion. How news travels through a town is a mystery not easily to be solved. News seems to move faster than small boys can scramble and dart to tell it, faster than women can call it over the fences.

Thus it might be that the people of the Gulf trust things of the spirit and things of the imagination, but they do not trust their eyes to show them distance or clear outline or any optical exactness.

John Steinbeck: The Pearl

Sunday, 9 November 2025

Annie Ernaux: Die Jahre

Annie Ernaux, geboren 1940, die sich als „Ethnologin ihrer selbst“ bezeichnet, erhielt 2022 den Nobelpreis für Literatur. Mein Verhältnis zu Trägern und Trägerinnen des Literaturnobelpreises ist gespalten. Ich glaube, sie schätzen zu müssen, doch es ist selten, dass ich es auch tue. Zu vielen habe ich schlicht keinen Zugang (jedenfalls nicht zu den Büchern, die mir in die Hände gefallen sind), die meisten kenne ich nicht, und dann gibt es die, die mich unmittelbar ansprechen. Die Jahre von Annie Ernaux gehört ganz unbedingt dazu, das weiss ich bereits nach den ersten paar Seiten. Es liegt an Aussagen wie „Der Welt fehlt es am Glauben an eine transzendentale Wahrheit“, gefolgt von „Alles wird innerhalb einer Sekunde vergehen, Getilgt das von der Geburt bis zum Tod angesammelte Wörterbuch. Stille wird eintreten, und man wird keine Wörter mehr haben, um sie zu sagen. Aus dem offenen Mund wird nichts mehr kommen. Kein Ich, kein Mir, kein Mich. Die Sprache wird die Welt weiter in Worte fassen. Bei Familienfeiern wird man nur noch ein Vorname sein, von Jahr zu Jahr gesichtsloser, bis man in der anonymen Masse einer fernen Generation verschwindet."

Damit doch etwas überdauert und Bestand hat, schreibt Annie Ernaux auf – anhand von Fotos, Schlagern und Erinnerungen – , was sie erinnert. Indem sie nicht nur ihr eigenes persönliches Erinnern, sondern auch die damalige Zeit (die 1940er Jahre) beschreibt (was es damals nicht gegeben hat: Rindfleisch und Orangen, Krankenversicherung, Kindergeld, die Rente mit 65, Urlaubsreisen), lässt sie auch den später geborenen Leser (jedenfalls ging es mir so) seine eigene Zeit erfahren – schliesslich ändert sich, abgesehen vom technischen Fortschritt, nur wenig. Die 1948 geborene Christine Westermann trifft es gut: „Ein sehr persönliches Buch, eine Zeitreise in meine Kindheit, meine Jugend ...“.

Die Zeit, die Annie Ernaux schildert, ist erfüllt mit Vorstellungen und Gewissheiten, die einen heutzutage fremd und exotisch anmuten. Da gab es „Sünden, die so schwer wogen, dass man sie auf keinen Fall beichten konnte“, da war der Stolz auf seine Schuluniform, und der Militärdienst machte einen zum Mann, da war es selbstverständlich, „dass Algerien mit seinen drei Departements zu Frankreich gehörte“.

Annie Ernaux versteht sich aufs Foto-Lesen, weiss, dass das, was Fotos zeigen, alles andere unsichtbar macht – und so bringt sie es uns zu Bewusstsein. „Ein Repertoire aus Gewohnheiten, eine Summe von Handgriffen“ genauso wie die zahlreichen Anweisungen: Aufessen, nicht schmatzen, nicht mit den Türen knallen ...

Die offizielle Geschichtsschreibung, die sich mit Politik abgibt, weiss von diesen Dingen nichts. Zudem: Ein Satz wie dieser vermittelt mir mehr über Frankreich als sämtliche politischen Leitartikel. „Frankreich war gross und setzte sich aus verschiedenen Bevölkerungen zusammen, die sich durch das, was sie assen und durch ihre Art zu sprechen voneinander unterschieden.“

In den sechziger Jahren waren die Menschen voller Zuversicht, „sie glaubten, die Dinger würden ihr Leben verbessern." Und dann war da die Musik der Jazz, der Gospel, der Rock 'n' Roll. „Dream, love, heart waren reine Wörter ohne praktischen Nutzen, die uns das Gefühl gaben, es existiere noch etwas jenseits unserer Welt.“

Auf sein eigenes Leben zurückzublicken – und dies ist es, was diese „Ethnologin ihrer selbst“ einem möglich macht – , habe ich selten so vergnüglich erlebt, auch wenn ich Jahre später und im Nachbarland aufgewachsen bin. Beispiele: „... man ass lieber Konserven als frisches Obst ...“; „Die Männer stellten sich am helllichten Tag zum Pinkeln an irgendeine Mauer, und höhere Bildung stimmte misstrauisch ...“; „Charles Piaget, der Arbeiter aus der Lip-Uhrenfabrik war bekannter als der Psychologe mit demselben Nachnamen, mit dem man uns im Philosophieunterrichts getriezt hatte (niemand ahnte, dass man bei dem Namen eines Tages nur noch an den Schweizer Luxusjuwelier denken würde, der Anzeigen in den Zeitschriften schaltete, die beim Friseur auslagen).“

Die Jahre machte mich sehr, sehr oft schmunzeln. „Wer einen Fernseher angeschafft hatte, kommentierte das Aussehen von Ministern und Ansagerinnen und redete von Prominenten, als wären es Nachbarn.“ Automatisch stellen sich in meinem Kopf Bilder von Menschen ein, die nach dem Tod von Tina Turner vor dem Tor ihres Anwesens Blumen niederlegten. Die Aufgabe der Medien, man kann nicht oft genug daran erinnern, besteht darin, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu garantieren.

Obwohl chronologisch strukturiert, erzählt dieses Buch keine lineare Geschichte, sondern ganz Vieles und ganz Unterschiedliches nebeneinander, immer wieder unterbrochen von Erinnerungsfetzen – näher als bei dem, was wir wirklich erleben, kann man kaum sein.

Annie Ernaux formuliert universelle Wahrheiten, direkt, pragmatisch und gänzlich unprätentiös. „Für unser persönliches Leben hatte die grosse Geschichte keine Bedeutung. An einem Tag war man glücklich, an anderen nicht. Je mehr man eintauchte in das, was sich die Wirklichkeit nannte, die Arbeit, die Familie, desto stärker wurde das Gefühl der Unwirklichkeit.“

Je subjektiver jemand sich auszudrücken traut, desto grösser die Möglichkeit zur Identifikation, denn wir sind weit weniger speziell als wir gemeinhin annehmen. Und wenn dann dieser jemand (wie Annie Ernaux) über die Fähigkeit verfügt, sich differenziert und einfach auszudrücken (eine Kunst, die wenige beherrschen), fühlt man sich als Leser berührt und bereichert. Ich für meinen Teil habe selten ein Buch gelesen, bei dem ich fast jeden Satz unterstreichen wollte.

Fazit: Ein Buch, für das ich dankbar bin. Gescheit, amüsant und wunderbar instruktiv; der Beweis, dass das Leben in Worte gefasst werden kann.

Annie Ernaux
Die Jahre
Suhrkamp, Berlin 2023

Wednesday, 5 November 2025

Unterwegs in Rio Grande do Sul

Mein Hotel in Santa Maria ist in der Nähe der Rodoviaria, das Zimmer geräumig, beim Frühstück wundere ich mich wie immer über den Humor unseres Schöpfers, dessen Lust an Formen und Gestalten ständig einen einzigartigen Reichtum an Zweibeinern herzaubert.

Die sechseinhalbstündige Busfahrt nach Uruguaiana lässt mein Herz jubeln, jedenfalls während der ersten fünf Stunden, als ich in Ruhe die unendliche Weite geniessen konnte, doch dann tauchte eine Familie mit jungen Kindern auf – und mit meiner Landschaftsmeditation war es vorbei.

Der Taxifahrer in Uruguaiana war um die 90, ledergegerbte Haut, zahnlos, und sprach nicht nur einen mir gänzlich unbekannten Dialekt, er verstand auch nicht, wo ich hinwollte. Ein Kollege erläuterte ihm dann, wo mein Hotel lag. Auf dem Weg dorthin wies er auf zwei Lokale hin, wo abends die Mädels willig seien, was ihn eindeutig mehr begeisterte als mich.

Das Hotel sah von aussen hübsch aus, in meinem Zimmer hatte es dann allerdings knapp Platz für ein Bett, und das Bad war derart eng, dass ich froh war, die letzten Wochen ein paar Kilo abgenommen zu haben. Beleibten Herrschaften würde ich von einem Klobesuch in diesem Etablissement definitiv abraten – hinein schaffen sie es womöglich, hinaus hingegen ... Na gut, ich kann mich täuschen.

Jedenfalls, das Hotel figurierte für mich in der Kategorie "Vielleicht mit zwanzig, wenn man nur was zum schlafen braucht", doch es zeigte sich dann, dass die Gäste so in meinem Alter waren, Argentinier, einer in einem Velvet Underground T-Shirt.

Wo ich her sei, fragt die Frau, die ich nach der argentinischen Grenze frage. Wir plaudern ein wenig, das üblich Belanglose, dann weist sie mich auf ein Café hin, das gut sei, auch das im Park, bei der Praça, könne sie empfehlen. Beide suche ich in der Folge auf, mit Gewinn.


Ich schaue in den Geschäften an der Grenze nach einer Brieftasche, und werde fündig. Kurz darauf frägt mich eine Ladeninhaberin, die gerade Kleider aufhängt, ob ich was suche, ob sie mir behilflich sein könne. Danke, ich bin auf der Suche nach Fotomotiven, erwidere ich. In der nächsten Strasse gibt es einiges zu sehen, sagt sie. Sie hatte recht.

Man solle das Licht und die Aircon ausmachen, wenn man das Zimmer verlasse, was ich dann auch pflichtgetreu tue, nur um die Aircon voll aufgedreht zu finden, als ich zurückkehre. Die Reinigungskraft hat eben ihre eigenen Ideen ...

Dass Uruguaiana eine Grenzstadt ist, merke ich im Hotel, wo mehrheitlich Spanisch gesprochen wird, und in den Läden nahe der Grenze, wo ich gefragt werde, ob ich in Reais bezahlen wolle.

Da der Lärm auf dem Flur am zweiten Abend sich in Grenzen hielt, schloss ich messerscharf, das Hotel sei in dieser Nacht kaum belegt, so dass ich beim Frühstück, sofern ich zu den ersten gehörte, vermutlich alleine war. Ich war jedoch nicht der einzige Frühaufsteher, das ganze Hotel war bereits auf den Beinen, inklusive zweier Militärpolizisten, von denen die Frau ausgiebig tätowiert war, was vermutlich nur mir auffiel, da man sich in Brasilien gelegentlich fragen kann, wer eigentlich (noch) nicht tätowiert ist. Das Funkgerät der Polizistin übertönte jedes Gespräch, so dass man sich des Eindrucks nur schwer erwehren konnte, man befände sich in der örtlichen Einsatzzentrale.

Zu den Sätzen, die mich nun schon ein Leben lang begleiten, gehört Adolf Muschgs 'Trotz vieler Versuche, ein schlechter Reisender geblieben' (ich zitiere aus dem Gedächtnis). In meinem Falle: immer zu früh, stets etwas angespannt, wie jetzt an der Rodoviaria in Uruguaiana.

Die langen geraden Strecken gemahnen mich oft an Amerika, wo allerdings das Wiedersehen dominiert, da man das alles bereits in Filmen gesehen hat. In Brasilien sehe ich die Landschaft zum ersten Mal, ist sie neu, entdecke ich sie. 

Der Zustand der Strassen ist zum Teil fürchterlich und erinnert mich an den Nordosten des Landes, wo er noch fürchterlicher gewesen ist.

In São Borja springt nach der Mittagspause der Bus nicht mehr an, die Batterie hat den Geist aufgegeben. Die 40 Minuten Wartezeit fällt den Brasilianern eindeutig leichter als mir.

Von São Borja bis Santo Angelo sitzt ein junger Mann neben mir, der eindeutig angesprochen werden will, damit er erzählen kann. Ich tue ihm den Gefallen und bin nicht im Geringsten erstaunt (die meisten Brasilianer sind so), dass er mir keine einzige Frage stellt.

Hinter einem Laster herzukriechen und dabei durchgerüttelt zu werden, lässt mich mehr als einmal schwören, dass ich mir solche Rumpelfahrten nicht mehr antun werde.

Für die wichtigen Dinge, sei er zuständig, sagte einst mein Vater. Also wer Chef oder Bundesrat oder amerikanischer Präsident werde. Für die unwichtigen hingegen seine Frau. Also ob wir ein Haus kaufen sollen oder ein neues Auto. Ich bin genauso. Philosophische Gespräche auf Portugiesisch, das geht, doch was Messer, Gabel, Löffel heisst, muss ich (nicht zum ersten Mal) nachschlagen.

Der junge Rezeptionist erstarrt, als ich mich nach dem Verbleib meines Hemdes erkundige, das eine Näherin, die nahe beim Hotel wohnt, flicken wollte. Ich wiederhole meine Frage. Jetzt blüht er auf. Sie sprechen ja Portugiesisch und ich befürchtete schon, es handle sich um Spanisch. Das erinnerte mich an einen meiner Schüler, der meinte, ich spreche ganz gut Portugiesisch, so wie die Leute "no interior".

Auf der Strasse spricht mich ein älterer Mann an. Zweimal war er bereits in Pfäffikon SZ. Was ihm in der Schweiz aufgefallen sei? Keine Abfälle auf den Strassen, er zeigt auf den Boden um uns herum, und die Leute bleiben vor dem Zebrastreifen stehen. Und vor allem: Kein Vogelgezwitscher. Manaus müsse ich besuchen, ein Naturparadies. Er stellt mir ein oder zwei Fragen, doch meine Antworten interessieren ihn nicht; ich werde wie meist in Brasilien zum Stichwortgeber reduziert.

Beim Eingang des Supermarktes gibt es eine Theke und gratis stark gesüssten Kaffee. Da gerade ein Gewitter niedergeht, verkürze ich mir damir die Zeit, bis es nachlässt.

Die neueste Mode in Santo Angelo sind Eisdielen, die eine Riesenauswahl zur Selbstbedienung anbieten. Und da der Mensch ein Herdentier ist, finden sich um Umkreis von wenigen Metern gleich drei.

Das Frühstück in meinem Hotel ist legendär. Melone, Mango, Pizza, verschiedene Kuchen, Brote, Fleisch, Käse, Säfte, Kaffee, Tee. Ich entdecke Quindim, eine Süssspeise aus Kokos, Eigelb und Zucker. Drei Angestellte überwachen das Buffet und sichern den Nachschub. Ein Brasilianer würde bei einem schweizerischen Café complet wohl kollabieren.

Nachdem ich mir am Morgen buddhistische Gedanken zum Alter angehört habe, die darin gipfelten, man solle das Jetzt umarmen und zuversichtlich dem Kommenden entgegensehen, ergiesst sich am Mittag eine Busladung aus dem Altersheim in die Eingangshalle des Hotels, die mich der Zukunft eher mit gemischten Gefühlen entgegensehen lässt, denn diese Leute, die ich für älter halte als mich selber (vielleicht täusche ich mich aber auch), hatten allesamt Mühe mit dem Sich-Hinsetzen, vom anschliessenden Wieder-Aufstehen gar nicht zu reden. Mit Ausnahme von zwei, drei wirkten alle nicht einmal ansatzweise halbwegs fit. Es handle sich beileibe nicht um ein Altersheim, so der Rezeptionist, sondern um eine Reisegruppe aus Rio de Janeiro (das sind mehr als 1600 Kilometer bzw. dreissig Stunden Busfahrt), welche die Missionsstationen der Gegend besuchen wolle.

Der Taxifahrer, der mich zur Rodoviaria bringt, hatte bereits letzte Woche Schweizer als Fahrgäste. Ob das wohl etwas bedeute? Vermutlich Pech, grinse ich. Er ebenso.

An den Rodoviarias finden sich auch immer Leute auf Drogen oder sonstwie schief drauf. Você é de onde? Da Suica. É perto de Jerusalém? Nein, nicht nahe, eher weit ...

Sunday, 2 November 2025

Die Quantentheorie verstehen

Physik, Mathematik, Chemie sind Gebiete, die ich gerne verstehen möchte, doch nie wirklich verstanden habe. Versuche gab es einige, dieser hier ist mein neuester. Ich bin ausgesprochen guter Dinge als ich lese: "Die Leser sollten sich auf die Ideen konzentrieren können, denn diese sind intuitiv viel verständlicher als die präzisen logischen Deduktionen."

Verfasst wurde dieses Buch von Frank Verstraete, Professor für Quantenphysik in Cambridge, und seiner Frau Céline Broeckaert, Schauspielerin, Autorin und Künstlerin, die von sich schreibt: "Ich arbeite, lebe und denke vor allem intuitiv. Für mich besteht das Leben aus einer einzigen Abfolge von Überraschungen und Begegnungen, mit viel Raum für Zufall. Während ich dem Professor zuhörte, stellte ich fest, dass wir uns gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Eigentlich sind wir in unserem Denken ähnlich und beide von der gleichen Sehnsucht nach Schönheit beseelt." Da ich diese Sehnsucht teile, gehe ich dieses Werk höchst positiv gestimmt an.

Zugegeben, auch dieses Mal habe ich vieles nicht verstanden, einiges aber eben doch. So etwa das kontraintuitive Gesetz, dass schwerere Objekte genauso schnell herabfallen wie leichtere. Oder: "Wie gross der Ausschlag eines Pendels auch immer sein mag, die Zeit, die für eine Schwingung benötigt wird, bleibt immer gleich." Galileo Galilei hat das herausgefunden.

Zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangt man durch Experimente. Wissenschaftlich zu arbeiten bedeutet also, Experimente zu finden, die eine Idee verifizieren bzw. falsifizieren können.

Für einen Physiker, so stelle ich mir vor, wird wohl vieles in diesem gut geschriebenen Werk nichts Neues sein. Für mich jedoch, für den die Mathematik, von der ich zwar weiss, dass sie eine universelle Sprache ist (und Sprachen fallen mir nicht schwer), weitestgehend unverständlich geblieben ist, ist ganz vieles nicht wirklich verständlich, doch gelegentlich scheine ich zum ersten Mal zu verstehen, was mein Hirn bislang einfach nur registriert hat. Etwa, dass "Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann; Energie kann nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden."

Warum niemand die Quantentheorie versteht. Aber jeder etwas darüber wissen sollte ist clever aufgebaut und mit einer Anleitung versehen, wie es gelesen werden sollte. Unter anderem halten Autor und Autorin fest: "Das Wesen der Quantenphysik liegt nicht in der Mathematik. Viel wichtiger sind die Ideen, die ihr zugrunde liegen (...) Die Quantenlogik ist sehr kontraintuitiv, und manchmal ist es unmöglich, sie zu erfassen." Auch gibt es vor jedem Kapitel eine Kurzzusammenfassung sowie zum Schluss ein Glossar.

Mich fasziniert dieses Werk wesentlich deswegen, weil die Quantenphysik an unserem Weltbild rüttelt, das meines Erachtens allein von unserem Lebenswillen und nicht von der Realität bestimmt ist. "Gott würfelt nicht", meinte bekanntlich Einstein. Und das meint: Es gibt keinen Zufall. "In der Quantenphysik stellt sich die Situation völlig anders dar. Zufall und Wahrscheinlichkeiten spielen hier eine zentrale Rolle. (...) Die Wellenfunktion bestimmt die Wahrscheinlichkeit, mit der man dieses oder jenes Ergebnis erhalten wird."

 Wir wollen, dass die Welt stabil ist. Das ist sie einerseits auch, andererseits aber eben nicht. Klassische Physik und Quantenphysik existieren nebeneinander. "Die klassische Physik bleibt nach wie vor gültig, vorausgesetzt, wir haben es mit grossen Objekten zu tun." Die Quantenphysik hat hingegen mit der mikroskopischen Welt zu tun, die kein Spiegelbild der makroskopischen Welt darstellt, sondern nach ganz eigenen Gesetzen funktioniert."

"Die Welt ist wirklich nicht so, wie man sie sieht. Die Realität ist viel beeindruckender." Das ist keine Behauptung, sondern durch Experimente nachgewiesen. "Quantenphysik kann uns die Augen öffnen, aber sie ist kein Weg zur Erleuchtung; sie lässt sich nicht auf unsere Alltagserfahrungen anwenden." Man kann das nicht genug betonen. Wissenschaft bedeutet, etwas zu messen; das Unbewusste lässt sich (bis jetzt jedenfalls) nicht messen.

Neben für mich ganz vielen neuen Erkenntnissen, ist dieses Werk auch vielfältig unterhaltsam und informiert etwa über den klügsten Mensch der Welt (John von Neumann, 1903-1957) sowie über Klatschgeschichten, und es berichtet von Menschen, die besessen waren (Paul Diriac, Albert Einstein, John Keats), "von der Schönheit der Formeln der Physik: 'Beauty is truth, truth is beauty – that is all ye know on earth, and all ye need to know'"

Fazit: Ich verstehe die Quantentheorie nach wie vor nicht, doch ich weiss jetzt etwas darüber. Ein höchst empfehlenswertes, vielfältig anregendes Buch

Frank Verstraete / Céline Broeckaert
Warum niemand die Quantentheorie versteht
Aber jeder etwas darüber wissen sollte
C.H. Beck, München 2025

Wednesday, 29 October 2025

Eine Studie in Scharlachrot

Nachdem Watson im Jahre 1878 an der University of London seinen Abschluss in Medizin machte, war der Zweite Afghanische Krieg ausgebrochen, von dem er verwundet und bei schlechter Gesundheit nach London zurückkehrte, wo er auf der Suche nach einer Wohnung auch mit Sherlock Homes Bekanntschaft machte. Um zu sehen, ob sie sich eine Wohnung teilen könnten, unterziehen sie sich einem gegenseitige Kreuzverhör, das dermassen amüsant und aufschlussreich geschildert wird, dass es eine wahre Freude ist.

"'Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch', wie Sie wissen", sagt Watson zu dem Assistenzarzt, der ihn und Holmes zusammengebracht hat, worauf dieser erwidert: "Dann müssen Sie ihn studieren", was Watson in der Folge auch tut, mit grösster Aufmerksamkeit und auch immer mal wieder erstaunt, dass Holmes einerseits sehr viel weiss, doch andererseits keine Ahnung von Dingen hat, die Watson für grundlegend hält wie etwa, dass die Erde um die Sonne kreist, was Holmes hingegen vollkommen egal ist. "Sie sagen, wir bewegen uns um die Sonne. Wenn wir uns um den Mond bewegten, würde das für mich oder meine Arbeit nicht den geringsten Unterschied machen."

Holmes ist der Auffassung, dass das Aufnahmevermögen unseres Hirn begrenzt ist, weshalb wir denn auch gut überlegen sollten, welches Wissen uns dienlich ist und welches vollkommen unnütz ist. "Er sagte, er wolle kein Wissen erwerben, das keinen Bezug zu seinem Gegenstand aufweise. Deshalb war all das Wissen, das er besass, so beschaffen, dass es ihm nützlich war."

Zu vieles, ganz unterschiedliches Wissen, so der Autor, ist hinderlich. "Verlassen sie sich darauf, es kommt eine Zeit, in der Sie bei jedem Wissenszuwachs etwas vergessen, das Sie vorher wussten. Deshalb ist es von grösster Bedeutung, dass die nutzlosen Fakten nicht die nützlichen hinausdrängen." Ein überaus nützlicher Gedanke, besonders in der heutigen Zeit der Überflutung mit Informationen.

Holmes' Vorliebe gilt der Beobachtung und der Deduktion, die beide für einen beratenden Detektiv praktikabel sind. Und sie bringen ganz erstaunliche Resultate, wie dieses Buch eindrücklich demonstriert. Was Eine Studie in Scharlachrot zudem ausmacht, ist sein Humor, seine gepflegte Ausdrucksweise sowie eine überaus einleuchtende Demonstration von Watsons 'Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch'.

Eine Leiche ist aufgefunden worden. Die Polizei bittet Holmes um Mithilfe. Er tippt auf Giftmord, stellt Vermutungen in Bezug auf den Täter an, wird an der Nase herumgeführt, grämt sich darüber jedoch nicht, sondern nimmt es mit Humor. Schliesslich klärt er den Fall auf.

Der zweite Teil der Geschichte führt zu den Mormonen in Utah und dem Gebaren ihrer autoritären Kirche. Das ist (in jeder Hinsicht) zwar arg weit hergeholt, doch spannend erzählt und überaus anregend zu lesen.

Diesem gut geschriebenen, interessanten und unterhaltsamen Band ist ein aufschlussreiches Nachwort von Jürgen Kaube beigegeben, worin er unter anderem darauf hinweist, dass der Augenarzt Conan Doyle der Auffassung huldigte, dem modernen chaotischen Leben sei am besten mit der Devise "Don't think. Observe" beizukommen. Zudem ist Holmes nicht in Motiven unterwegs und wird von der Überzeugung geleitet, "dass man fast nichts über die Menschen wissen muss, um ihnen auf die Spur zu kommen," Was im Übrigen, wie neuere Forschungen gezeigt haben, eine Parallele im Verhalten von kleinen Kindern hat, für die die kausale Verantwortung entscheidend ist; erst ältere Kindern und Erwachsene messen der Absicht Bedeutung zu.

Arthur Conan Doyle
Eine Studie in Scharlachrot
Reclam, Ditzingen 2025

Sunday, 26 October 2025

Wo das Eis niemals schmilzt

Ihre Forschung hat die Glaziologin Unni nach Kanada geführt. Warum sie Gletscherforscherin geworden sei?, fragt Jon, der Englisch mit einem skandinavischen Akzent spricht. "Ich will etwas erforschen, das vergeht", antwortete ich. "Warum?" "Weil so wenig Zeit ist. Wir müssen alle Informationen festhalten, die in den Gletschern stecken (...) Eines Tages, in einem kurzen Moment, wird das, was vom Gletscher übrig ist, ins Meer rauschen, und Hunderttausende Jahre Geschichte zerfallen in Moleküle. Wenn man sich das überlegt, kommt einem alles andere ziemlich bedeutungslos vor."

Zugegeben, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Und merke jetzt, als ich das lese, das ich das hätte tun sollen, mir das gut getan hätte, weil es die Perspektive verändert, und mir diese neue Perspektive eine weit gesündere scheint als unsere vom Ego getriebene.

Wo das Eis niemals schmilzt handelt einerseits vom Klimawandel, dann aber auch von der Assimilationspolitik in Kanada und Finnland. Nicht zuletzt ist es eine berührende Geschichte ganz unterschiedlicher Beziehungen.

Unni stammt aus Finnland. Als sie noch ein Kind ist, trennen sich ihre Eltern. Der Vater bleibt in Lappland, die Mutter zieht mit der Tochter in ein Dorf bei Helsinki. Auf dem Heimweh von der Schule wird Unni regelmässig von zwei Mitschülern gequält. Sie spricht nicht darüber, lässt aber ihren Vater wissen, sie wolle zurück zu ihm.

Die Handlung springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her. Dass die Vergangenheit nicht vergangen, sondern in der Gegenwart präsent ist, wird hier sehr schön gezeigt.

Doch die Dinge ändern sich, alles ändert sich, andauernd. Das Moor ihrer Kindheit ist verschwunden und einer platten Ebene gewichen, des veränderten Klimas wegen. "Es kommen neue Arten", sagte mein Vater. "Aber wir gewöhnen uns an sie, wir gewöhnen uns an alles." 

Ihre Kindheit verbringt Unni abwechselnd bei ihrer Mutter im Süden und ihrem Vater im Norden, wo sie sich oft in der Natur aufhält, zu der sie einen starken Bezug entwickelt. Wie das Kind die Natur erlebt, ist ganz wunderbar geschildert. Man glaubt nachempfinden zu können, was die Kleine erfährt.

Jon ist ein Indigener aus dem Norden Kanadas, ein verschlossener Typ, dem "etwas schwer zu bestimmendes Trauerartiges" eignet. Er arbeitet im Krankenhaus, kommt auch als Rettungssanitäter zum Einsatz. Er ist adoptiert, sucht im Norden Kanadas nach seinem Vater. Dort trifft er auch auf Unni; Identitäts-Fragen beschäftigen ihn.

Es ist eine berührende Beziehungsgeschichte, die Inkerri Markkula hier erzählt. Nach ein paar Tagen der Leidenschaft, trennen sich Unnis und Jons Wege wieder. In Unnis Worten: "Alles war so schnell vorbei, bald sass ich schon im Flieger und dachte, die grössten Lieben sind die, die enden, bevor sie alltäglich werden." Als sie Jahre darauf nach ihm sucht, ist er zunächst  unauffindbar, doch dann ... 

Dieser Roman erzählt jedoch noch eine ganz andere Geschichte, eine der Naturschilderungen bzw. was für eine Kraft in der Natur liegt. "Wir öffneten das Fenster und liessen den Wind herein. Er stürzte sich auf uns und hätte uns beinahe umgeworfen, fuhr durch die Ecken und brachte Schneeflusen mit, die rotierend auf den Dielenboden schwebten (...) Der Schnee reichte bis zum Fensterrahmen, der Wind schleuderte mir Kristalle in die Augen, machte mich blind, warf mich wieder ins Zimmer." Wer von der ach so wohlwollenden Natur schwafelt, sollte dieses Buch lesen, damit er (oder sie) sich die Ehrfurcht vor den Naturgewalten bewahrt.

Aufschlussreich ist auch, wie die Menschen, die in diesen eisigen Zonen leben, mit Gletschern umgehen. "... dass man leise sein müsse, wenn man durch den Gletscher gehe, denn sonst könne der Gletscher böse werden und den Menschen zermalmen."

Wo das Eis niemals schmilzt ist überaus reich an hilfreichen Einsichten. "Jon ertrug weder Schmerz noch Tod und auch nicht, dass zum Beispiel die Natur, die nach dem Sturm zum Leben erwachte, gleich wieder starb." Man sollte bei solchen Sätzen innehalten, sie auf sich wirken lassen. Weil sie aufrichtig und ehrlich und wahr sind.

Wo das Eis niemals schmilzt gehört zu den seltenen Büchern, die uns dazu anleiten, uns mit der Natur auseinanderzusetzen, anstatt sie zu glorifizieren. Es gilt, sie als das zu nehmen, was sie ist: Unbegreiflich, majestätisch, Angst einflössend, sensationell schön, ein Wunder.

Fazit: Eine überaus lehrreiche, ungemein bereichernde Lektüre.

PS: Wie alle mare-Bücher, die ich kenne, ist auch dieses höchst ansprechend gestaltet: Lesefreundlicher Satzspiegel, Lesebändchen sowie ein Format, das bestens in der Hand liegt.

Inkeri Markkula
Wo das Eis niemals schmilzt
Mare Verlag, Hamburg 2025

Wednesday, 22 October 2025

Das hier ist nicht Miami

Genau so wenig wie Bilder Geschichten erzählen können, kann auch die Wirklichkeit keine Geschichten erzählen. Geschichten werden von der menschlichen Sprache, der Erinnerung erzählt, so Fernanda Melchor in der Vorbemerkung. "Doch die Sprache ist trügerisch (...) Diese Sammlung von Crónicas wurde in der Absicht geschrieben, Geschichten auf die ehrlichste Art zu erzählen, die ich für möglich halte – indem man die stets etwas ausweichende Natur der Sprache akzeptiert und sie sich für die eigene Sache zunutze macht."

Die Geschichten, die hier versammelt sind, sind also geprägt von einer subjektiven Erzählperspektive. "Ich weiss, dass die menschliche Subjektivität womöglich das dem Journalismus fernste Feld ist ...", schreibt die Autorin. Das mag für Mainstream Journalismus gelten, für den Qualitätsjournalismus, wie ich ihn verstehe, hingegen nicht. Man denke etwa an Hunter S. Thompson, James Agee oder Janet Malcolm.

Jedenfalls: Fernanda Melchor hat keine Angst vor Subjektivität. Und genau dies gibt ihren Geschichten, die sich allesamt im mexikanischen Veracruz ereignet haben, etwas universelles. Denn je subjektiver jemand von etwas berichtet, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein ganz anderer oder eine ganz andere ähnliche Empfindungen teilt.

Von UFOs und toten Polizisten berichtet sie. Und vom Warendiebstahl als Kunstform, den Gesetzen im Hafen, von ausgemergelten Dominikanern, die sich vor der Einwanderungsbehörde verstecken und glauben, in Miami zu sein. Fernanda Melchor lässt sich vom Schicksal dieser Gestrandeten berühren, weswegen sie es auch überaus eindrücklich versteht, deren Geschichten zu erzählen.

Von der Karnevalskönigin, die zur Mörderin ihrer Kinder wird, lesen wir. Und von Mel Gibson, für den ein Gefängnis leergeräumt wurde, damit er dort drehen kann. Und von einem Lynchmord und einem Teufelshaus. Und und und. Nicht wenige der Geschichten handeln vom Drogengeschäft.

In Das hier ist nicht Miami porträtiert Fernanda Melchor die mexikanische Hafenstadt Veracruz durch die Geschichten, die ihr von den Einwohnern erzählt worden sind. Ja, sie hat klassisch recherchiert, doch was sie erfahren hat, ist wesentlich ihrer Neugier sowie ihrer empathischen Grundhaltung geschuldet.

Wie jede gute Journalistin fragt sie nach, macht sie sich ihre eigenen Gedanken. Und gibt ihnen auch Ausdruck. Sie selber charakterisiert ihre Arbeiten als "Geschichten, die keine klar umrissenen Anekdote wiederzugeben versuchen, sondern den Effekt, den sie auf die Empfindungen derjenigen hatten, die sie erlebt haben."

Crónicas nennt Fernanda Melchor ihr Texte, die zeigen, dass Journalismus noch etwas anderes sein kann, als das, was wir tagtäglich in der Zeitung lesen (könnten). Engagiert, sachlich und mitfühlend.

Fernanda Melchor
Das hier ist nicht Miami
Wagenbach, Berlin 2025

Sunday, 19 October 2025

Godwin

Der charismatische Mark Wolfe („Alle kannten ihn als Wolfe, als wäre er ein Fernsehdetektiv.“), studierter Molekularbiologe, der bei der P4-Group als technischer Redakteur arbeitet, wird von seiner Chefin Lakesha zu einer Aussprache (Kunden hatten sich beschwert) in ein Café gebeten. Er taucht mit seinem Hund auf; seine Hundeerziehungsphilosophie sei, wie er erläuterte, von der benediktinischen Ordensregel inspiriert. „Ein zentraler Punkt dieser Philosophie, sagte er mir, besage, dass Hunde dann am zufriedensten seien, wenn sie keinerlei Zweifel an ihrem untergeordneten Verhältnis zu ihrem Besitzer hätten.“ Mit anderen Worten; Godwin ist ganz vieles – und ausgesprochen witzig.

Mark, ein hoch reflektierter, latent unzufriedener Mann, hat noch Freitage gut, die nimmt er jetzt. Gedanken über die stetig zunehmende Dummheit und das Ende des Menschen auf der Welt gehen ihm durch den Kopf – Godwin ist auch ein philosophischer Roman. Dann erreicht ihn ein Anruf seines Halbbruders Geoff, der seine Hilfe braucht und den er in der Folge in England aufsucht. Wie O'Neill diese Reise schildert, machte mich Tränen lachen, insbesondere Marks Ankunft in London, wo er von einem jungen Weissen abgeholt wird, der sich in einem „englischen Akzent oder Dialekt, den ich nicht verstehe“ äussert und „an jeder Ampel auf die Bremse steigt, als hätte er noch nie ein Rotlicht gesehen."

Geoff vermittelt Fussballer. Dabei ist er auch auf den jungen Afrikaner Godwin gestossen, einer fussballerischen Ausnahmeerscheinung. Geoff benötigt Marks Hilfe, um nicht ausgetrickst zu werden. Er habe selber auch schon einen Agenten ausgetrickst. „So laufe das nun mal in dieser Branche. Sie mache einen zu einem Menschen, der man eigentlich nicht sein wolle.“ Keine Frage, das beschreibt so recht eigentlich jede Branche.

Mark fährt für Geoff mit dem Zug nach Le Mans, um dort den französischen Fussballvermittler Jean-Luc Lefebvre aufzusuchen. Ihm wird zunehmend klar, dass sein Europa-Aufenthalt immer mehr ausser Kontrolle gerät. Seine Frau rät ihm telefonisch, zurückzufliegen. Er weiss zwar, dass er genau das tun sollte, doch glaubt er, seinem Impuls, die Flucht zu ergreifen, widerstehen zu müssen. „Ich habe in meinem Leben zu oft die Flucht ergriffen. Es hat mir nichts gebracht.“ Meisterhaft, wie Joseph O'Neill nachvollziehbar macht, wie wir unser ständiges Zögern rationalisieren. Es gehört zum Schicksal des Menschen, nicht zu tun, was er weiss, dass er zu tun hat.

Godwin handelt einerseits von Fussball und Spielergrössen wie Eusébio von Benfica Lissabon, modernen Umgangsformen und afrikanischen Fussballsitten, sowie andererseits von den Machtkämpfen bei der P4-Group, wo eine Frau namens Edil, deren Charakter es nicht zulässt, dass sie nicht im Mittelpunkt steht, die Atmosphäre vergiftet.

Dann taucht plötzlich Jean-Luc Lefebvre bei Mark in Pittsburgh auf – mit überraschenden Fakten. Dieser aussergewöhnlich begabte Geschichtenerzähler verbreitet sich nicht nur engagiert und ausführlich über die verschiedenen Aspekte des Fussballs, sondern auch über ganz vieles, überaus Instruktives aus Afrika (es ist dies auch die bei weitem nützlichste Afrika-Aufklärung, die ich kenne), Amerika und Europa zum besten gibt. „Theoretisch sah man Algerien und sah den Niger – aber in Wirklichkeit? Ein Gebiet ohne Menschen, ohne Strassen, ohne Wasser, ohne eine Vergangenheit oder Zukunft – konnte man ein solches Gebiet als Staat bezeichnen? Konnte der Mars ein Staat sein?“

Godwin ist ein überaus cleveres, spannend zu lesendes Porträt unserer Zeit, voller schlauer Einsichten, etwa zur Eitelkeit („Eitelkeit verweist auf Leere ...“), Reflexionen über das „Drama der Kontaktierbarkeit“, über den Unterschied von Mensch und Tier („Es ist die Fähigkeit zur Böswilligkeit, die den Menschen vom Tier scheidet.“) sowie Erkenntnissen fundamentaler Natur. „Das menschliche Leben, erzählt er uns, bestehe nicht nur aus untadeligem Verhalten, Verhalten, das erwartet werde. Die grossen Preise fielen nicht denen zu, die sich gemäss den Erwartungen verhielten.“

Praktisch auf jeder Seite gewinnt man nützliche Einsichten („Die Idee ist gut“, sagte ich. „Aber Ideen werden überbewertet. Du hast die Arbeit gemacht.“), die davon zeugen, dass da ein Autor am Werk ist, der zu denken versteht, und deshalb zu Schlüssen kommt, die von praktischer Relevanz sind. „Annie hatte begriffen, dass die Einzelheiten fast nie das eigentliche Problem sind. Das Problem ist vielmehr eine bestimmte Persönlichkeit – der unausgeglichene Mensch, der davon überzeugt ist, dass er unter ungerechten, aber stets verborgenen Mächten zu leiden hat.“

Es versteht sich: Unsere Lektüre ist von unserer Erwartungshaltung beeinflusst. Meine lässt sich so charakterisieren: Ich möchte unterhalten werden, Einsichten gewinnen und auf Gedanken stossen, die ich als hilfreich empfinde. Godwin hat diese Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen.

Fazit: Grossartig, ein wesentliches Buch! Packend, smart, witzig und weise.

Joseph O'Neill
Godwin
Roman
Rowohlt, Hamburg 2024

Wednesday, 15 October 2025

Der Augenblick & die Fotografie

 Vom Augenblick wissen wir, dass er nicht zu fassen ist, denn er steht ausserhalb der Zeit, zu deren Eigenheiten die Dauer gehört. Albert Einstein war gemäss dem Philosophen Rudolf Carnap offenbar der Ansicht, „es gebe etwas Wesentliches bezüglich des Jetzt, das schlicht ausserhalb des Bereichs der Wissenschaft liege.“ Das liegt daran, dass die Wissenschaft sich am Messen bzw. am Zählen orientiert, von dem Einstein einmal gesagt hat: Nicht alles, was zähle, könne auch gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden könne, zähle auch etwas.

Claude Simon, Nobelpreis für Literatur 1985, macht darauf aufmerksam, dass der Fotographie „eine ziemlich seltsame Macht“ eigne, die ihn immer wieder in Erstaunen setze. „Es ist die Macht, festzuhalten und zu speichern, was unser Gedächtnis selbst zu behalten ausserstande ist, nämlich das Bild von etwas, das nur in einem winzigen Bruchteil der Zeit stattgefunden und existiert hat.“

Dieses Bild habe ich am 22. November 2020 in Château-d’Oex aufgenommen; möglich war dieses Foto nur in einem einzigen Augenblick, dem Moment der Aufnahme, niemals vorher und niemals nachher hat diese Szene genauso ausgesehen.

Fotografie wird oft mit dem Anhalten der Zeit in Verbindung gebracht, doch so recht eigentlich ist das falsch, denn der Augenblick ist keine Kategorie der Zeit, entzieht sich einem Vorher und Nachher. Die Fotografie hält fest, was das Gedächtnis nicht festhalten kann.

Betrachte ich jedoch diese Aufnahme, stellt sich automatisch die Zeit ein, denn ich sehe nicht nur diesen Augenblick, sondern noch ganz viele andere Bilder, die mich an den damaligen Aufenthalt erinnern. Dazu kommen noch ganz ganz viele weitere Bilder, die mit meinem damaligen Aufenthalt überhaupt nichts zu tun haben. Mein Hirn macht eben, was es will; es ist ausgesprochen selbstständig unterwegs und an meinen Hoffnungen und Wünschen offenbar wenig interessiert.

Sunday, 12 October 2025

On Travelling

 I'm not anymore interested in what "my" culture or any other culture is telling me about what is important or what is not. In regards to travelling that means that I'm not doing the sights, I simply expose myself to where I find myself. Very much like a child whose experience of what surrounds it is not yet constrained by knowledge.

However, to try to free myself from lifelong conditionings is far from easy. For instance, to stay indoors when it is sunny outside is difficult to do for the imperative that one should go out in such weather and enjoy it is incredibly strong. 

I'm not making myself knowledgeable for my trips. Before I arrived in Osaka, I had, for instance, not heard of Himeji and its castle, contrary to the many tourists who came specifically to visit the castle.

I prefer to venture into side streets that radiate a calm that is magical. I walk around and take pictures, mostly of flowers. Why I'm registering what I register I do not know. And, as far as I'm concerned, there is no need to know it.

Himeji, Japan, 5 October 2025

Nevertheless, I'm quite automatically drawing comparisons. When walking through the side streets of Osaka and Himeji I'm often reminded of Bangkok. Needless to say my mind has its own ways. 

The emotions and feelings that I'm aware of are the usual mix of joy, sadness and indifference. Although I've largely given up to try to make sense of it, I'm not as successful in this endeavour as I would like to be.

Wednesday, 8 October 2025

The Tottori Sand Dunes

I had read that the Tottori sand dunes extended 16 kilometers and so I imagined what I had experienced in Brazil's North East: Strolling along for hours pretty much by myself. Well, not exactly. Tourist destinations in Asia are rarely a solitary affair. The bus to the dunes was packed with Asians. Probably all Chinese, I joked to the French couple that I had started talking to at the bus station.

Like almost always when travellers meet, they spoke of all the other places they had visited. South Korea, for instance, that they deemed, very much to my surprise, more modern, more advanced than Japan, for my picture of South Korea was that of Japanese friends for whom South Korea was simply a cheaper version of Japan. Also, a young Spanish couple came to mind who had observed that while in Japan hardly anybody speaks English, in South Korea nobody speaks English. 

The elderly French couple says that in Japan they were never spoken to, in Korea however they were always asked lots of questions. My own Japanese experience is completely different. I particularly remember two curious female students, one studied Chinese culture, the other globalisation.
It doesn't cease to baffle me how the mind works, or, more precisely, how "my" mind works for when the bus came to a halt in front of a souvenir shop I automatically felt reminded of my first visit to Japan six years ago when I had penned the following: "When in Oami, I learned that the famous 99-mile-beach was a 30-minute bus ride from the station and that there was also a hotel. I imagined a ride through vast fields to a lonely old hotel sitting on a cliff ... well, it was a ride through a stretch of suburbs and the hotel turned out to be a huge complex that seemed to cater to a variety of Japanese entertainment and shopping needs. My own shopping? Sushi and leechee juice, every day." Needless to say, our expectations are much more in control of our lifes than we imagine.
There was also a sand museum and I briefly wondered what it would exhibit and assumed it would be the usual display of information about how it once was, what it became, and how the future will probably look like. I find the human inclination to hold on to the past increasingly strange for it seems to hinder us to experience what we are experiencing: to be here and there and everywhere very much at the same time.

Sunday, 5 October 2025

Japanische Entdeckungen

Nara, Japan, 2. Oktober 2025

Apple Ginger Ale, Muscat Squash, Apple Squash.

An Adapter für meinen Laptop  heranzukommen ist nicht leicht. Eine überaus freundliche Verkäuferin in einem Elektronik-Markt erklärte: Es gäbe zwar solche Adapter für Japaner, die ins westliche Ausland reisen. Umgekehrt gelte das hingegen nicht. Sie bot mir an, ein paar Telefonate zu führen, um herauszufinden, wo es in dieser Grossstadt den von mir gewünschten Adapter gab. Sie wurde auch fündig, doch es war derart weit hin, dass ich beschloss, ein paar Tage auf meinen Laptop zu verzichten.

Omelette Sandwich; Reis, Gemüse und Fisch zum Frühstück. 

Im Supermarkt in Nara habe ich bei der Münzen- Rückgabe offenbar eine Münze liegen gelassen. Eine Frau stürmt mir hinterher, mit meinen zehn Yen.

Das junge Paar aus dem Baskenland besucht auf ihren zahlreichen Reisen regelmässig die Supermärkte, des Vergleichs wegen.

Immer wieder staune ich über die vielen Menschen. Und darüber, dass das alles so gut funktioniert. Es sei anstrengend sich dauernd den Erwartungshaltungen der anderen anzupassen, sagt eine 19Jährige im Zug von Nara nach Osaka. Und: Was sei das für eine Befreiung gewesen, als während der Pandemie die Strassen wie leergefegt waren.

Beim Frühstück tragen einige das Hotel-Pyjama. Eine Premiere für mich. Minutenlang kämpfe ich mit den Essstäbchen und versuche sie voneinander zu trennen. Komme mir vor wie einer dieser Volltrottel in Unterhaltungsfilmen, der drauf und dran ist, die Stäbchen auseinander zu beissen.

Drei Mal ist es mir innert einer Woche passiert, dass ich chinesische Touristen, die ich für Einheimische hielt, um Auskünfte fragte. Oft waren sie noch desorientierter als ich.

Als ich einst in China unterrichtete, fragte ich die Studenten, ob sie Chinesen, Japaner und Koreaner auseinanderhalten könnten. Nein, könnten sie nicht. Der redefreudige Chinese im Hotellift behauptet hingegen, man könne sie klar unterscheiden: "Different Hairstyle".

Verblüfft bin ich, wie wenige Hotelangestellte ein einigermassen passables Englisch sprechen. 

Nach zwei Tagen beschloss ich, mich auf den Weg zum Don Quijote zu machen, wo es den von mir gewünschten Adapter geben soll. Den Weg zu finden ist nicht ganz einfach, doch die Japaner sind sehr freundlich und hilfsbereit und schliesslich lande ich in einem Laden, der mich von aussen an eine Jahrmarktsbude erinnert und Kunterbuntes anbietet, von Haushaltwaren über Elektronik bis zu Adaptern.

Don Quijote liegt in einer Gegend, wo sich Supermärkte, Industrieanlagen und andere Grossbetriebe häufen. Und so kriege ich ein Nara zu sehen, das wohl den meisten Touristen entgehen wird. Solche Gegenden scheinen mir weltweit uniform. Der lange Weg dorthin war jedoch sehr japanisch - ruhige, gepflegte Seitenstrassen mit immer mal wieder beeindruckender Architektur und exotischen Pflanzen.

Nara, Japan, 2. Oktober 2025

Wednesday, 1 October 2025

Observations in Osaka and Kyoto

I'm not suprised that I find toothbrush, pyjama, and razor in "my" hotel room in Osaka. I remember that from my first visit to Japan six years ago. I'm however surprised that "my" hotel in Kyoto doesn't provide these amenities. Very well then, I'm thinking to myself, this is probably the price that you pay when you choose to check-in a robot-assisted hotel although it later turned out that I had been wrong for all the usual amenites were actually provided (they simply were not in the room but had to be picked up next to the reception).

This is my second time (the other was in Delhi) that I'm staying in a room without windows. It irritates me.

Osaka, 25 September 2025

When I arrive for breakfast, I'm greeted with signs in English that explain what is what. There is also a sign in Italian that states one should limit breakfast time to 40 minutes.

If you are not into big crowds, Japan is probably not for you. The masses that populate Kyoto Station or Osaka Station are hard to believe. Moreover, that these places function is a remarkable feat.

A couple from Australia who has seemingly done all the required tourist-things lets me know that to get up early in order to avoid the crowds is an absolute must. They sounded somehow stressed and so I've decided to skip anything remotely touristic. I do however pass by some temples and also venture into a park that pretty much looks like parks usually do. But then I come across a temple and a park reminiscent of the Zen-pictures in my head and I feel truly  enchanted.

Kyoto, 27 September 2025

My first encounter with things Japanese I had when, at the age of 17, I read Zen-Buddhism and Psychoanalysis by Suzuki, Fromm and de Martino. It had a lasting effect on me for I can still recall what I perceive to be essential to Zen: Not to analyse but to experience.

My walks through Osaka and Kyoto take me mostly along side streets that are often empty and radiate a quietness that I experience as magic. Moreover, these vibes make me feel present in a way that I rarely sense.

Sunday, 28 September 2025

Glimpses of Japan

My first stroll around "my" hotel in Osaka lands me in Korea Town where consumerism is in full bloom. Not many people speak English, and not many (including me) are adept at reading electronic maps. One young employee at "my" hotel is however so fluent and without a trace of an accent that I wonder where he learned  it. From listening to music, he says; he has never been abroad.

Ratatouille with chicken was among the dishes offered for breakfast. A first for me - it tasted fabulously. And then there were pancakes, pain au chocolat, salads, granola and ...

Yöu need to go to Namba, I am told. It is where everybody goes. And so, reluctantly, I go ... only to turn around almost immediately. Too many people, definitely. Instead I am opting for side streets next to "my" hotel that are amazingly quiet and remind me of "my" Bangkok of 30 years ago.

The bagel I later ordered I thought a bit overpriced until I realised that I had ordered a full menu with soup and iced tea.

Osaka, Japan, 24 September 2025

In my younger years I often felt compelled to go and do this and that. I'm glad I do not feel like this anymore. When riding on a train, for instance, I nowadays rather often look out the window instead of educating myself with a book. To simply do nothing is new to me. Do I enjoy it? No idea, really; it's what I do.

The excitement I most of my life experienced when travelling (how exotic everything foreign appeared, and how cosmopolitan I felt to be where I imagined life was happening) is gone. A certain calm has settled in - which however does not apply when I have to rapidly change planes. Also, in recent years I have often had the sensation of being where I wasn't, physically that is. In the Hungarian town of Debrecen it felt like I was in Mendoza, Argentina; and here in Osaka it sometimes feels like I could be pretty much anywhere in Asia.

To aimlessly wander about town motivates me to concentrate on my walking. There isn't much more to do. It feels kinda numbing, like you're not really here. Also, it is rainy and warm, the sky is grey. In a cafe I start reading Shusaku Endo's The Samurai.

 The times when I do not know what to do have definitely increased, the older I have become, things do not seem so important anymore or am I fooling myself?

I wonder why I fancy hotel rooms. Could it be because my stay will be temporary? I'm often simply lying on the bed doing nothing; this is totally new to me for doing nothing has never figured even as an option. Instead there has always been the imperative to do something.

As usual I take a lot of photographs, mostly of flowers. Quite some I know from Brasil, others from my native Switzerland. The one below however is new to me.

Osaka, Japan, 25 September 2025

My sandals are falling apart; I decide to buy new ones. The people I ask for shops are shrugging their shoulders, save for the owner of a shoe shop who gives me directions in Japanese that I do not understand. I do however embark on the way she has indicated, ask again and then realise that I have given this man a headache because sandals for men are obviously not common in Japan. Don't worry, I said, and dropped my sandals-project.

All these people running from here to there, it is mind boggling.and, from time to time I'm asking myself: What am I actually doing here? No idea, really. In any case: Big cities are clearly a thing of the past for me

The young couple near the train station in Kyoto who is showing me the way to "my" hotel is about to get married. Tomorrow, their families will meet for the first time. They confess to be nervous and, after the wedding, plan to move to Tokyo where the future husband is from.

The check-in at the hotel works robot-assisted, I'm informed. This means you register yourself using an iPad while being observed by a dinosaur who's moving back and forth.

Finally, the sun shows up. This is the first time since I arrived four days ago. It is irritating how my soul is depending on the weather.