Wednesday, 10 December 2025

Schwarzlicht

In jüngeren Jahren, als ich mir von Büchern sinngebende Einsichten versprach, pflegte ich mir wichtige Sätze anzustreichen – und da ich fast alles wichtig fand, nahmen die Unterstreichungen gelegentlich ganze Seiten ein. Daran musste ich denken, als ich María Gainzas Schwarzlicht zur Hand nahm, denn bereits die ersten Seiten begeisterten mich derart, dass ich drauf und dran war, praktisch jeden einzelnen Satz zu unterstreichen.

Hier einige ganz willkürlich ausgewählte Beispiele:

„Sie trug eine zitronengelbe Bluse und ein zerknittertes stahlgraues Kostüm. Sie machte einen gewöhnlichen, ja geradezu etwas lächerlichen Eindruck, doch ihr Äusseres war, wie ich nach einiger Zeit feststellen sollte, ihrer Geisteshaltung genau entgegengesetzt.“ Soviel zu all den Trotteln, die vom ersten Eindruck auf eine Person schliessen.

„Auch wenn sie selten davon sprach, schien sie einer älteren Zivilisation zu entstammen, die es nicht nötig hatte, alles in Worte zu fassen.“ Wie wohltuend, denkt es so in mir.

„Ich war jung, wusste wenig, und was ich wusste, verstand ich kaum, dafür jedoch weckte nahezu alles rasendes Interesse bei mir.“ Treffender kann ich meine eigene Jugend nicht beschreiben!

Die Kunstkritikerin María, die in der Welt der Kunst eine Zeitlang „ein gewisses Prestige erlangt hatte, das sich der Illusion verdankte, eine empfindsame Prosa sei Ausdruck einer ehrbaren Gesinnung, am Stil erkenne man den Charakter“, ist eigentlich nicht darauf aus, sich zu etablieren, als sie bei der Taxierungsabteilung des Banco Ciudad eine neue Stelle antritt.

Ihre Chefin, Enriqueta Macedo, führt sie in die Welt der gefälschten Kunstwerke ein. Enriqueta hatte die Fälschungen der Bande der melancholischen Fälscher („Ihre Mitglieder, die davon lebten, dass sie die Reichen übers Ohr hauten, fühlten sich wie durch ein brüderliches Band verbunden.“), ansässig in Buenos Aires, im Stadtteil Belgrano, während vierzig Jahren für echt erklärt. Im Namen der Kunst und nicht etwa des Geldes wegen. „Falsch waren ihrer Ansicht nach bloss Werke von zweifelhafter Qualität.“

Es geht in diesem glänzend geschriebenen Roman nicht nur um die darstellende Kunst („Ein Sammler kauft keine Kunst, er kauft die gesellschaftliche Bestätigung seiner Investition.“), sondern auch, und vor allem, um die Lebenskunst. „Obwohl es vordergründig immer um Malerei ging, schienen ihre Ratschläge sich in Wirklichkeit auf die Kunst des Lebens zu beziehen.“

Als Enriqueta stirbt, wird María Kunstkritikerin bei einer Zeitung. Als sie den Job verliert, macht sie sich auf die Suche nach der legendären Kunstfälscherin Negra. „… frage ich mich manchmal, ob das Fälschen nicht das einzig wirklich grosse Kunstwerk des 20. Jahrhundert darstellt.“

Schwarzlicht ist ausgesprochen reich an Lebensweisheiten, zu denen auch gehört: „Wie die Grossmutter einer Freundin immer sagte: ‚Nur weil dir schon mal was Schlimmes passiert ist, heisst das nicht, dass dir danach nichts Schlimmes mehr passieren kann.’“ Ob die Erkenntnisse, die etwa Proust („Jeder Mensch kann auf sieben genaue Kopien seiner selbst zählen.“) und anderen bekannten Autoren zugeschrieben werden, erfunden sind oder nicht, ist bei einem Werk, das sich der Fälschung widmet, schwer abzuschätzen – ich jedenfalls habe mich entschieden, sie als wahr zu betrachten.

Immer mal wieder muss/darf ich Tränen lachen. „Ohne sie war ich wie eine Kuh ohne Weide …“. Fühle ich mich nachdenklich gestimmt. „Vielleicht gibt es tatsächlich so etwas wie ‚die glücklichste Zeit des Lebens‘, eine Feststellung, die einen ganz schön traurig machen kann.“ Weiss ich mich mit Wesentlichem konfrontiert. „Doch wie Bach, der darum bat, ihn niemals bewaffnet ausser Haus gehen zu lassen – er fürchtete, ihn könne plötzlich Mordlust befallen – , hielt ich mich von allen Verlockungen fern.“

Schwarzlicht ist gescheit, witzig und lebensklug. Und überdies vielfältig lehrreich. Eine Perle!

María Gainza
Schwarzlicht
Roman
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023

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