Wer fotografiert, ist gut beraten, ich von einer Idee leiten zu lassen. Der 1985 in Tannesberg in der Oberpfalz geborene und heute mit seiner Familie in Köln lebende Diplom-Geograf Kilian Schönberger, der seit 2012 als freier Landschaftsfotograf sich auf Wald, Berge und Nebel konzentriert, hat sich in diesem Band der nächtlichen Natur verschrieben. Zweifellos eine originelle Idee (und eine solche braucht es heutzutage angeblich, um einen Verlag zu finden), doch funktioniert sie auch? Ja, sie tut es, von den Bildern in Nachts im Wald geht eindeutig etwas Geheimnisvolles, Unwirkliches, Magisches aus.
Der Wald prägte Kilian Schönbergers Kindheit in der Oberpfalz. War er damals Abenteuerspielplatz, wurde er später zu seinem Arbeitsplatz. Den nächtlichen Wald entdeckte er wegen der 'blauen Stunde'. "Dieser Begriff bezeichnet einen je nach Jahreszeit ungefähr eine Stunde langen Zeitraum kurz vor Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang, der durch besondere Lichtstimmungen charakterisiert ist. Nicht nur Fotografen schätzen die Blauen Stunden für das an klaren Tagen aussergewöhnliche Ambiente."
Monduntergang auf der Röhn @ Kilian Schönberger
Nachts im Wald ist ein informatives Buch. So erfahre ich unter anderem, dass ein Drittel von Deutschlands Gesamtfläche von Wald bedeckt ist, die Waldökosysteme ungemein vielfältig sind (mediterran anmutende Eichenwälder hätte ich in der Eifel nicht erwartet – doch was weiss ich schon von der Eifel), der Grund für Berghütten im Hochgebirge auch darin liegt (das hatte ich mir noch nie überlegt), dass nächtliche Auf- und Abstiege oft zu riskant wären.
À propos Eifel: "In der Eifel fand ich ein Äquivalent zu 'meiner' Oberpfalz. Aufregend unspektakulär." Mit anderen Worten: Eine Anregung genau hinzuschauen.
Kilian Schönberger erzählt von seinen Nachttouren und macht mir bewusst, dass nicht nur das Sehen im dunklen Wald gewöhnungsbedürftig ist (er hat immer seine Stirnlampe dabei), sondern des Nachts auch viele Tiere unterwegs und Geräusche von beispielsweise Rotwild, Hirschrudeln und Wildschweinen auszumachen sind.
Forschungen haben gezeigt, dass Bäume sich in der Nacht anders verhalten als am Tag. Bekannt ist auch, dass sie (in unseren Breiten) während der kalten Jahreszeit in eine Art Winterschlaf verfallen. Doch brauchen sie auch Nachtruhe wie wir Menschen? Nachgewiesen hat man jedenfalls, dass Dauerbeleuchtung mit Kunstlicht zum grossflächigen Absterben von Eichen in den USA geführt hat.
Wie jedes Buch, so regt auch dieses zu Gedanken an, die über das Gezeigte und Geschilderte hinausgehen. Als ich lese, dass Schönbergers besonderes Interesse "den spannenden Motiven im Bereich von Wald- und Baumgrenze" gelten, geht mir unvermittelt die Betreiberin des Hotelrestaurants auf dem Flüelapass durch den Kopf, die auf meine Frage, was sich denn in den letzten Jahren auf dieser Höhe vor allem verändert habe, erwiderte, die Baumgrenze habe sich verschoben, der Erwärmung wegen, so weit oben habe sie zuvor keine Lärchen wachsen sehen.
Fazit: Eine willkommene Horizonterweiterung!
Kilian Schönberger
Nachts im Wald
Goldmann, München 2020
No comments:
Post a Comment