Wednesday 10 January 2024

Steve McCurry. Devotion - Hingabe

Sein Spitzname lautet Steamroller-Steve, die Dampfwalze. Weil er immer unterwegs ist, in Bewegung, auf Reisen, rastlos auf der Suche nach besonderen Details und Stimmungen. Er pirscht herum, beobachtet, bleibt abrupt stehen, hebt die Kamera, um ein perfektes Motiv einzufangen, das andere vielleicht gar nicht bemerkt hätten“, lese ich in einem Artikel in der Welt aus dem Jahre 2020.

Steve McCurrys Aufnahmen sind ein ästhetischer Genuss. Da er auch in Kriegsgebieten fotografiert hat, wird ihm manchmal vorgeworfen, ein romantisches Bild des Krieges zu vermitteln. Er sagt: „Ich versuche nie zu romantisieren. Mein Ziel ist es nicht, etwas schöner zu machen. Mein Ziel ist es, eine Geschichte zu erzählen – so genau und objektiv, wie möglich.“

Ich kann es nicht mehr hören, diesen „Fotos erzählen Geschichten“-Schmarren. Fotos erzählen keine Geschichten, sie können es nicht. Sie machen genau das Gegenteil: Sie zeigen ein Stück einer Geschichte, ohne Kontext. Wird ihnen kein Begleittext beigegeben, weiss man häufig nicht, was man vor Augen hat.
Mönche auf der Dammstrasse zum Eingang von Angkor Wat, 
Kambodscha, 1999

Dankenswerterweise ist den Bildern im vorliegenden Band eine Bildlegende beigegeben. Wir haben also eine Vorstellung, wenn auch eine sehr rudimentäre, was wir vor Augen haben. Das, was wir von Steve McCurry gewohnt sind: Sehr schöne, wunderbar farbige Lebensausschnitte. So wie er sie vorgefunden hat. „Ich dirigiere nicht, mache keine Ansagen, wie Menschen sich bewegen oder platzieren sollen. Ich nehme nur, was mir angeboten wird und was für eine Chemie entsteht“, sagte er 2015 dem Spiegel.

Die Sujets sind ganz unterschiedlich; hier einige ganz willkürlich ausgewählte: Kutschi-Nomaden beim Abengebet, Kandahar, Afghanistan; In einem Krankenhaus wird ein frühgeborenes Kind behandelt, Jaipur, Indien; Kriegsveteranen besuchen den US-Friedhof, Manila, Philippinen; Junge Schüler der Shaolin-Kampfkunstschule Tagou, Zhengzhou, China; Eine Frau legt die Beichte ab, Medjugorje, Bosnien-Herzegowina (Jugoslawien); Ein Team sucht nach Landminen, Kandahar, Afghanistan; Menschenmassen beim Kumbh-Mela-Fest, Prayagrau (früher Allahbad), Indien.

Vielfältiger geht kaum; mangelnde Diversifikation kann man dem Mann wirklich nicht vorwerfen. 

Mutter und Tochter auf ihrem Balkon in Beirut, 
Libanon, 1982

Texte gibt es in diesem Band kaum. Und die, die es gibt – inklusive des Vorworts von Pico Iyer –  könnten kürzer kaum sein. Sie alle weisen auf verschiedene Aspekte der Hingabe hin. Ich selber assoziiere damit etwas Kontemplatives und empfinde das Betrachten dieser Fotos als eine Einladung zum ruhigen Verweilen.

Die Bilder in Hingabe entstanden auf vielen Reisen. Auch wenn man Hingabe, wie Steve McCurry dies tut, sehr weit versteht – so kann sie sich in einer Geste, einem Blick zeigen – , bei nicht wenigen Aufnahmen hatte ich den Eindruck, sie hätten nichts mit Hingabe zu tun. Was natürlich auch daran liegt, dass ein Teil der hier versammelten Fotos bereits in anderen Büchern von McCurry zu sehen gewesen ist, was den Eindruck einer Wiederverwertung unter einem verkaufsträchtigen Titel nahelegt.

Ein älteres Ehepaar kehrt nach der Arbeit auf dem Feld nach Haus zurück, 
Gostivar, Mazedonien, ehemaliges Jugoslawien

Nichtsdestotrotz: Viele der überaus gelungenen Aufnahmen regen an, sich mit der Vorstellung von Hingabe auseinanderzusetzen, die Pico Iyer als universelle, demütigende Sehnsucht charakterisiert, „uns vor dem, was wir lieben, zu verneigen und es in den Armen zu wiegen.“

Steve McCurry
Devotion. Hingabe
Prestel Verlag, München 2023

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