Sunday, 15 June 2025

Schmutzige Geschäfte im Niemandsland

Was wirklich auf der Welt los ist, erfahren wir nicht aus öffentlichen Debatten über Migration oder Neutralität, sondern aus gelegentlichen Blicken hinter die Kulissen. Dabei wird auch deutlich, dass vieles durchaus bekannt ist bzw. sein könnte, auch wenn es selten im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht. Dies versucht Schmutzige Geschäfte im Niemandsland zu korrigieren.

Atossa Araxia Abrahamian beginnt Schmutzige Geschäfte im Niemandsland mit dem Versuch, Genf, die Stadt ihrer Kindheit, zu beschreiben. Neben der offenkundigen Internationalität ("Fast die Hälfte der Genfer Bevölkerung stammt ursprünglich nicht aus der Schweiz.") ist da noch etwas anderes im Gange. etwas Unsichtbares. Sie legt dar wie ihre "Heimatstadt Genf und ihre Nation, die Schweiz, durch die Menschen, Kriege und Gesetze, die sie prägten, das Fundament für die heutige Welt geprägt haben. Sie werden entdecken, wie das Schweizer Modell andere Staaten dazu inspirierte  ..". Die Gründe dafür sucht sie in der Geschichte. Es ist dies der allgemein gängige Ansatz, der leider das wirklich Wesentliche (Was ist es, dass die Schweiz zu einer so erfolgreichen Hehler-Nation hat werden lassen?) aussen vor lässt, auch wenn er durchaus Interessantes zu Tage fördert.

Dass diese kleine Stadt und dieses kleine Land, von dessen Territorium sechzig Prozent nicht bewohnbar sind, zu einem derart mächtigen Offshore-Finanzplatz werden konnten, verwundert und befremdet.

Die Schweizer sind ein ausgesprochen geschäftstüchtiges Volk. Die Autorin zitiert dazu Jean Ziegler: "Sie verkauften ihre Landsleute als Söldner an ausländische Regierungen." Ziegler sieht die Schweiz als Ermöglicher des Kapitalismus hinter den Kulissen. Ein Ausfluss des Calvinismus? Auf jeden Fall wird dieses Land von einem sehr speziellen Geist regiert, zu dem eine ziemlich einzigartige Heimlichtuerei sowie das Fehlen eines Unrechtbewusstseins gehört.

Atossa Araxia Abrahamian lebt heute in New York, beschreibt also aus der Distanz "die Macht über die 41 000 Quadratkilometer und darüber hinaus", die in der Mitte Europas liegt. Mit dem Söldnerwesen wurde die gesellschaftliche Stabilität (aufrührerischen jungen Männern verschaffte man einen Arbeitsplatz und hielt sie fern des Heimatlandes) geschaffen, die die Schweiz auch heute noch auszeichnet. Dazu kam der Nationalcharakter, der sich durch die Fähigkeit, Regeln aufzustellen und Gesetze zu erlassen (26 Staaten mit je eigener Verwaltung, Regierung, Parlament für verhältnismässig wenige Leute) von anderen Staaten unterscheidet.

Doch nicht nur von der Schweiz ist die Rede, sondern auch von Singapur, Luxemburg, La Réunion mit seiner Exportproduktionszone, den Offshore-Asyllagern auf Manus und Nauru, Boten und Spitzbergen. Ob dabei globale Unternehmen und Superreiche Regierungen austricksen, wie der Untertitel behauptet, finde ich jedoch fraglich; mein Eindruck ist, dass diese Exterritorialität, geschaffen mit juristischen Tricks, von den Regierenden durchaus gewollt ist.

"Kapitalisten, unentwegt auf der Jagd nach Profit, betrachten Offshore-Rechtsräume als ihr Niemandsland." Damit ist im wesentlichen umrissen, wovon dieses Werk handelt. An anderer Stelle formuliert die Autorin es so. "Wenn Regeln die Reichen begünstigen, brauchen die Reichen nicht gegen die Regeln zu verstossen."

Der Untertitel dieses Werkes, Wie globale Unternehmen und Superreiche unsere Regierungen austricksen, mag Verschwörungstheorien nahelegen, doch weit gefehlt. Wie kommt es eigentlich, dass es Zollfreigebiete gibt? Diese sind eine juristische Fiktion, denn Zollfreilager sind ausgedachte Orte mit ausgedachten Regeln. "Die juristische Person ist in den USA das am meisten verbreitete Beispiel einer Rechtsfiktion: Wir wissen, dass Unternehmen keine Personen sind, und doch geniessen sie im politischen Leben und vor Gerichte den Status einer 'Person'".

So recht eigentlich ist ganz vieles, was die globale Wirtschaft möglich macht, eine juristische Konstruktion, man könnte auch sagen, eine Anomalie. So unterstehen etwas Botschaften, Freihäfen, Steueroasen, Containerschiffe, arktische Archipele und tropische Stadtstaaten keiner nationalen Gerichtsbarkeit. "Allein in den Vereinigten Staaten gibt es 193 aktive 'Freihandelszonen', die von den Zollvorschriften befreit sind." Da all dies legal ist, müsste so recht eigentlich der Begriff Rechtsstaat eine Korrektur erfahren.

Schmutzige Geschäfte im Niemandsland ist eine detailreiche, gut geschriebene, mitunter etwas langfädige Aufklärung über ein eigentliches Paralleluniversum für Wohlhabende, eine juristische Fiktion sondergleichen, die auch deswegen möglich ist, weil sich selten jemand darüber Gedanken macht. Zum Aufschlussreichsten an diesem Werk gehören die Ausführungen zum Weltraumgesetz, das Atossa Araxia Abrahamian so kommentiert: "Das Ansinnen, die Gesetze der Menschen auf ein so weitläufiges, so unergründliches und so zeitloses Reich anzuwenden, ist so fruchtlos und egozentrisch, dass auch nur der Mensch darauf kommen konnte. Aber bei Gott, genau das haben wir getan."

Atossa Araxia Abrahamian
Schmutzige Geschäfte im Niemandsland
Wie globale Unternehmen und Superreiche
unsere Regierungen austricksen
S. Fischer, Frankfurt am Main 2025

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