Sunday, 1 June 2025

Kreuzberg die Welt

Als ich vor nunmehr 25 Jahren begann, mich ernsthaft mit Fotografie auseinanderzusetzen, galt mein Interesse der Presse- sowie der Dokumentarfotografie. Blättere ich jetzt durch Kreuzberg die Welt mache ich in zweifacher Hinsicht eine Zeitreise. In ein Kreuzberg, das es so nicht mehr gibt und in eine Zeit, in der Fotografien wie die von Wolfgang Krolow zu denen gehörten, die damals meine Welt waren.

Eingeleitet wird dieser Band durch ein informatives Porträt des Fotografen und Menschen Wolfgang Krolow durch Rainer Wendling, der dessen Momentaufnahmen überaus treffend als "gestaltete" Fotografie charakterisiert. Bedauerlicherweise hat er seinem Beitrag ein Zitat vorangestellt, in dem unter anderem behauptet wird: "Nichts ist, wie es scheint ...". Nun ja, das Wesen der Fotografie ist der Schein.

Die Fotografien von Wolfgang Krolow dokumentieren ein buntes Nebeneinander, das für diejenigen, die ein Auge und ein Herz dafür haben, immer schon faszinierend gewesen ist. Es sind Schwarz/Weiss-Aufnahmen, die mich ungemein ansprechen, was wesentlich damit zu tun hat, dass Wolfgang Krolow ein ziemlich einzigartiger Sinn für Komposition eignet.

In diesen Bildern manifestiert sich ganz vieles: Sozialkritik, die sich in der Sujet-Wahl zeigt (Häuserbesetzungen, Gedenkdemonstrationen ...), die Lebensfreude spielender Kinder, Punks, Strassenkünstler, Häuserfassaden, verlassene Plätze, alte Menschen, und und und. Allein die Anordnung der Bilder ist ein Meisterwerk. Da hat einer hingeschaut, ganz viel gesehen und festgehalten, was er teilen wollte. Wir sehen Kreuzberg mit den Augen (und durch die Linse) von Wolfgang Krolow. Das heisst nicht, dass wir sehen, was er gesehen hat, das heisst, dass wir vor Augen haben, was er uns zeigen wollte.

Was mir fehlt, sind Informationen zu den Bildern, ausführliche Informationen, nicht nur Stichworte wie Polizeiaufmarsch oder Demo gegen Nato, Aufrüstung und Raketenstationierung. Das ist zwar gängige Praxis bei Fotobüchern, aber eben gänzlich unbefriedigend. Mir einfach Bilder vor die Nase zu werfen und zu behaupten, diese sprächen für sich selber, finde ich etwas billig. Natürlich trifft dies nicht auf alle Bilder in diesem beeindruckenden Band zu, denn spielende Kinder oder Aufnahmen, die aus rein ästhetischen Gründen gemacht wurden, brauchen wirklich nicht erklärt zu werden. Die Aufnahmen von besetzten Häusern oder von Polizeieinsätzen gehören hingegen kontextualisiert, Bild für Bild braucht es erläuternden Text, der sich an den journalistischen Ws orientiert (Wer, Was, Wo, Wann, Wie).

Der mich am meisten ansprechende Text (es gibt insgesamt vier) stammt von Mustafa Akça, der Bezug auf einzelne Bilder nimmt und auch ausführt, was emotional mit ihm passiert, wenn er diese Aufnahmen anschaut. Dabei haben es ihm vor allem die Kinder angetan; mir selber ging es ebenso. Doch auch die Fotos einzelner alter Menschen, die ein Verloren-Sein in dieser Welt ausstrahlten, berührten mich sehr.

Im Beitrag von Sebastian Lux wird Wolfgang Krolow mit der Aussage zitiert, es sei sein "erklärtes Ziel" gewesen, mit seiner Fotografie "Widerstandskultur zu fördern"., was er so erläutert: "Für mich waren das einfach interessante Motive, die aber gleichzeitig auch etwas beitragen sollten zur Veränderung." Wir das konkret geschehen soll, erschliesst sich mir zwar nicht, denn Fotos tun nichts anderes (können nichts anderes tun) als Festhalten, was einmal gewesen ist. Dazu kommt, dass niemand wirklich weiss, was Fotos auslösen, auch deshalb haben die Militärs Angst vor Bildern toter Soldaten.

Es versteht sich: Wer mit Kreuzberg vertraut ist, wird diese Fotos anders sehen als ich, ein Schweizer, der schon viele Jahre nicht mehr dort war. Und wer mit Wolfgang Krolows Kreuzberg vertraut ist, wird diese Fotos gerade noch einmal anders sehen. Mich selber stimmten nicht wenige der Aufnahmen melancholisch (was ich als positiv empfinde), für mich sind sie (nein, nicht alle, natürlich nicht, die Mehrzahl sind eindeutig einem politisch aufklärerischen Drang geschuldet) die berührenden und überzeugenden Werke eines Romantikers (und auch das meine ich positiv), mit einem ganz wunderbaren Sinn für Situationskomik und Ästhetik.

Kreuzberg die Welt
Fotografien von Wolfgang Krolow
Assoziation A, Berlin/Hamburg 2025

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