Ich habe nur eine vage Vorstellung, worum es sich bei der Stockfotografie handelt, als ich mir dieses Büchlein vornehme. Was genau sind also Stockfotografien? "Stockfotos sind Bilder, die mit Blick auf einen künftigen Verwendungszweck produziert werden und auf Vorrat ("in stock") bereitstehen." Wer einen Artikel bebildern will, wird meist mittels Schlagwortsuche in den Datenbanken der Stockfotografie fündig. "Die Stockfotografie ist also in erster Linie ein Geschäftsmodell zur effizienten Bilddistribution."
Stockfotos sind somit Bilder auf Abruf. Der Auftraggeber spart Geld für teure Fotoshootings, die Darstellung der Welt wird zunehmend uniform. Juristisch ist dies meist so geregelt, dass die Nutzung am Bild erworben wird und dieses Nutzungsrecht nicht exklusiv ist. Was zu einigermassen erstaunlichen Folgen führen kann. "So warb etwa die CDU während des Kommunalwahlkampfs in Hannover 2021 mit einem Stockfotomotiv, das die AfD bereits einige Jahre zuvor ihrerseits in einer Kampagne gegen Kita-Gebühren eingesetzt hatte."
Autor Thomas Nolte tut, was Sachbuchautoren gemeinhin so tun: Er klärt Begriffe, wirft einen Blick zurück in die Geschichte. So gängig dies auch ist, von Fantasie zeugt dieses Vorgehen nicht. Unter dem Titel "Sprechende Bilder" (ich weiss, das ist metaphorisch gemeint, trotzdem: Bilder können nicht sprechen) zeigt er dann, wie man üblicherweise Fotos interpretiert: Er liest in das Foto hinein, was nicht zu sehen ist. Zugegeben, dazu eignen sich Stockfotos hervorragend.
Stockfotografie nimmt Bezug auf bekannte Theoretiker wie William J. Mitchell, der digitale Bilder als performances versteht, oder Charles Sanders Peirce, der die Fotografie als Zeichenform begreift. Mir sind beide Betrachtungsweisen fremd; sie suchen Sinn, gründen in Interpretation und nicht in Anschauung. Irritierend fand ich überdies, dass Thomas Nolte mit Begriffen wie Street
Photography oder Staged Photography (kaum etwas, was nicht darunter fallen würde) operiert, ganz so, als ob klar wäre, was darunter zu verstehen sei. Ich für meinen Teil halte solche Kategorisierungen nicht nur für willkürlich, sondern für absurd.
Als ich dann auf diesen Satz stiess – "Voraussetzung für die Entstehung der staged photography ist die Bildwerdung der Welt." – , wusste ich definitiv, dass ich nicht zum Zielpublikum dieser Schrift gehöre, denn für mich ist dies nichts als prätentiöser Jargon bzw. ich kann mir unter "Bildwerdung der Welt" so ziemlich gar nichts vorstellen. Und Baudrillard, der die Wirklichkeit als imaginiert begreift, wünsche ich möglichst schmerzhaftes Zahnweh.
Trotz vieler abgehobener Theorien, die für Bedeutungsbedürftige attraktiv sein mögen, sowie von allerlei Zitaten, die an Nichtssagendem schwer zu übertreffen sind ("Ein Stockfoto zu betrachten bedeutet, zu wissen, dass man ein Stockfoto betrachtet."), zeigt dieses Büchlein auch sehr schön auf, dass die Stockfotografie durch die von der Realität losgelöste Darstellung der Realität "eine in sich geschlossene Parallelwelt (entwirft), die sich durch sterile Perfektion auszeichnet" ...
Die Stockfotografie "bietet mit ihren Bildern eine Reihe von Gestaltungsentwürfen an." Dieser zentrale Aspekt weist darauf hin, dass wir die Welt nicht einfach hinnehmen, sondern gestalten wollen. In dieselbe Richtung geht auch die KI, wobei Autor Nolte treffend darauf hinweist, dass im Gegensatz zu KI, den Stockfotos "noch eine Referenz zukam – mag das Dargestellte selbst auch inszeniert sein." Man konstatiere dies "mit einem fast nostalgischen Gefühl", meint er – und man kann ihm nur zustimmen.
Thomas Nolte
Stockfotografie
Pathosformeln des Spätkapitalismus
Wagenbach, Berlin 2024
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