Friday, 30 July 2010

Der Fall Neruda

Ich bin in Chile auf Roberto Ampuero gestossen. Im Dezember 2006 habe ich mir sein "Boleros en La Habana" in Santiago erstanden; gelesen habe ich es dann in Valparaiso, einer meiner Lieblingsstädte, und genau da fand ich mich bei der Lektüre von "Der Fall Neruda" geistig und seelisch immer mal wieder. Und das war toll!

"Der Fall Neruda" nimmt seinen Anfang im Chile des Jahres 1973, wo der alte und kranke Pablo Neruda Cayetano Brulé mit Nachforschungen über eine geheimnisvolle Frau beauftragt, die diesen nach Mexiko, Kuba und schliesslich in die DDR führen.

Wer von einem Krimi eine spannende Geschichte erwartet, wird enttäuscht - Spannung kommt in diesem Buch nicht auf. Wer jedoch neugierig auf Neruda ist ("Den Nobelpreis für Literatur zu erhalten bedeutete nicht zwangsläufig, ein guter Mensch zu sein, sondern nur ein grossartiger Schriftsteller"), für den lohnt die Lektüre, denn über diesen erfährt man einiges. Und wer, nicht zuletzt, an einem Buch beiläufig hingestreute Beobachtungen schätzt, die von reflektierter Lebenserfahrung zeugen, der ist bei diesem Werk besonders gut aufgehoben. Hier ein paar Beispiele:

"Obwohl er bereits über fünfzig Jahre alt war, vertraute Cayetano noch immer darauf, die Frau seines Lebens zu finden und Vater eines Sohnes oder einer Tochter zu werden, bevor er zu einem vollständig kahlen, arthritischen und ständig meckernden alten Mann im Ruhestand mutierte."

"Es gab keine naiven Menschen auf Kuba. Es gab dort dumme, freche und opportunistische Menschen, und das zu Tausenden, aber keine naiven."

"Er lernte ebenfalls, dass man in seinem neuen Gewerbe auf alles gefasst sein musste. Die Leute attackierten und verteidigten sich mit allem, was sie hatten."

"Er strich sich über den Schnurrbart, mit dem er sich hier in Mexiko wie zuhause fühlte, während er ihm in Chile das Gefühl gab, ein Fremder zu sein. Trug in Mexiko jeder Macho einen Schnurrbart, so liefen in Chile sämtliche Revolutionäre mit einem Vollbart und alle Gegner von Allendes Regierung mit glattrasierten Wangen und pomadisiertem Haar herum."

Und diese Einsicht hier, die der Autor Neruda zuschreibt:
"Hass vergeht nie, er wächst mit den Jahren, und die Zeit ist sein Dünger."

Übrigens: Der Verlag lässt einen wissen, dass es sich hier um das schon jetzt meistgelesene Buch über Neruda handelt - nur: wie will man das messen? Verkaufszahlen bedeuten ja nicht, dass Bücher auch gelesen werden ...

Roberto Ampuero
Der Fall Neruda
Bloomsbury Berlin 2010

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