Tuesday, 13 April 2010

Grüezi und Willkommen


Susann Sitzler, 1970 in Basel geboren, studierte von 1992 bis 1995 Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, zog dann 1996 nach Berlin, wo sie seither journalistisch arbeitet. Eine Frucht dieser Arbeit ist "Grüezi und Willkommen", nunmehr in der 5., aktualisierten Auflage, worin den Deutschen die Schweiz erklärt wird.

So recht eigentlich wusste ich bereits, als ich das einführende Paul Bilton-Zitat las, dass ich dieses Buch mögen würde. Es geht so: "Menschen, die es fertigbringen, sich mit der Bewirtschaftung von senkrecht abfallenden Berghängen eine Existenzgrundlage zu schaffen, müssen schon ein besonderer Schlag sein." Nicht gerechnet hatte ich allerdings damit, dass Susann Sitzlers clevere Einsichten und ihr trockener Witz mich ständig zu zustimmendem Nicken und lautem Herauslachen verleiten würden. Kurzum: ich fühlte mich bestätigt, bestens instruiert und glänzend unterhalten. Und das passiert mir selten, sehr selten, es liegt Jahre zurück, dass ... doch lassen wir das, gescheiter ist, ich präsentiere hier ein paar "Müschterli" (Kostproben):

"Ohne 'Bitte', 'Danke' und 'Entschuldigung' geht in der Schweiz sehr wenig. Wenn man zahlen möchte, versucht man den Blick der Bedienung aufzufangen. Diese wird dann umgehend zum Tisch kommen und nach weiteren Wünschen fragen. Beim Abtragen der Teller wird oft die Frage 'Isch es rächt gsi?' gestellt ('Hat es geschmeckt?').Wenn man es halbwegs mit seinem Gewissen vereinbaren kann, sollte man sagen 'Sehr gut, dankeschön.' Der Dank gilt nur der Nachfrage, geniessbares Essen darf man für den Preis schon erwarten. Auch kleinste Reklamationen sollte man sich gut überlegen. Zwar wird im Ernstfall der Kellner oder eventuell sein Vorgesetzter den Fehler sofort mit unterwürfigster Geste beheben. Doch vermutlich wird er dem Gast auch ohne Worte zu verstehen geben, dass Reklamieren extrem ungezogen ist. Denn der allgemeinverbindliche Verhaltenscode in der Schweiz heisst: massvolle Selbstverleugnung. Man nennt es 'Rücksicht'."

Das ist sowas von wahr, also wahrer geht es eigentlich nicht mehr. Das gilt ebenso für dies hier: "Es gilt als sehr rücksichtslos, den anderen von seiner Meinung überzeugen zu wollen. Auch Begeisterung wird nicht herausposaunt: 'Das ist schon noch gut' bedeutet 'superklasse'.Und wenn jemand sagt, 'das ist ein relativ schlechtes Gefühl', kann man davon ausgehen, er meint: 'Das ist kaum erträglich'. Positiv an dieser Zurückhaltung ist, dass man von einem Schweizer nie unterbrochen wird. Er ist gar nicht in der Lage, dem andern ins Wort zu fallen."
Wer jetzt - und wenn er Schweizer ist, tut er das automatisch - , sofort nach Einwänden sucht, wird sicher ein oder zwei Beispiele finden, die ihn bestätigen, doch wer einfach einmal den Sitzler'schen Gedanken sich setzen lässt, ihn überdenkt und seine letzten paar Gespräche im Kopf Revue passieren lässt, wird zweifellos fest stellen, dass Susann Sitzler ganz eindeutig recht hat.

Überaus treffend fand ich auch Sätze (ich habe sie ganz willkürlich ausgewählt) wie diese:

"Die beflaggte und blumengeschmückte Innenstadt von Bern sieht sogar an normalen Wochentagen aus wie ein Freilichtmuseum."

"Wer in Appenzell-Innerhoden aufgewachsen ist, möchte auf keinen Fall mit den Einheimischen vom danebenliegenden Appenzell-Ausserrhoden verwechselt werden."

"In einer Demokratie wie der Schweiz sind keine Eliten vorgesehen. Weil es sie trotzdem gibt, bleiben sie unsichtbar."

"Grüezi und Willkommen" ist nicht nur für Deutsche, sondern auch für Schweizer ein informatives Buch. So las ich zum Beispiel verwundert, dass im Jahre 1963, anlässlich der Aufführung von Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" in Basel, Polizisten am Bühnenrand die Schauspieler vor den Prügeln der Zuschauer schützen mussten, erfuhr vom mir unbekannten "Grüeziwandern" ("In Wanderschuhen und halblangen Hosen marschiert man gemütlich durch die Landschaft und wenn einem jemand über den Weg läuft, hat derjenige gewonnen, der zuerst "Grüezi" sagt.") und fragte mich gelegentlich, ob das sein könne ("Es gibt Villengegenden mit geheizten Bürgersteigen ...") ...

Summa summarum: anregend, witzig, informativ, ein wahrer Lesegenuss!

Susann Sitzler
Grüezi und Willkommen
Die Schweiz für Deutsche
Ch. Links Verlag, Berlin 2009

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