Wednesday, 28 May 2025

Bibel. 100 Seiten

Zuallererst: Die Bibel, das sogenannte Buch der Bücher, ist so recht eigentlich gar kein Buch, "sondern eine Schriftensammlung, von der unterschiedliche Teile in unterschiedlichen Jahrhunderten und sehr unterschiedlichen sozialen Milieus überliefert sind." Um 100 nach Christus enthielt der christliche Kanon vier verschiedene Versionen der Jesusgeschichte: die Evangelien des Matthäus, des Markus, des Lukas und des Johannes. Es gab zwar noch mehr Evangelien, darunter das Thomasevangelium, doch die wurden redaktionell aussortiert. Obwohl der Plot in allen vier Evangelien derselbe ist (Geburt, Leben, Reden, Sterben und Auferstehen des Jesus von Nazareth), differierten die Sichtweisen beträchtlich. "Man wollte die Vielfalt der Zeugnisse erhalten und damit jeglichem Fundamentalismus Einhalt gebieten", so Johanna Haberer. Vielleicht wusste man aber schlicht nicht, wer der Wahrheit am nächsten kam.

Die Kulturen des Abendlandes gründen auf dem Christentum, also der Bibel. "Wir können wesentliche Züge der westlichen Kultur nur verstehen und entschlüsseln, wenn wir die Schriften der Bibel kennen", behauptet die Autorin. Dass eine Theologieprofessorin so argumentiert, verwundert nicht, doch die westliche Kultur versteht man meines Erachtens dann am besten, wenn man sich ganz einfach ansieht, was sie vorlebt – und das scheint mir wenig christlich, man denke etwa an: Du sollst nicht lügen. So wählten etwa in Amerika viele sich christlich Wähnende einen notorischen Lügner zu ihrem Präsidenten.

Nichtsdestotrotz: Die Bibel hat unser Menschenbild geprägt. Das biblische Menschenbild begreift den Menschen als mit der Gabe ausgestattet, sich frei entscheiden zu können, sowie Entscheidungen zu bereuen, zu revidieren, und sich neu ausrichten zu können. Ob wir wirklich so frei in unseren Entscheiden sind, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Gut gelungen ist die Auseinandersetzung mit der Frage "Wer oder was ist Gott'", wobei, neben der Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch in der Wüste, auch Gedanken von Ludwig Wittgenstein und Max Frisch beigezogen werden. Hier nur soviel: Es ist eindeutig einfacher, zu sagen, wer oder was Gott nicht ist.

Es spricht sehr für dieses Buch, dass es durchgehend auf die verschiedenen Lesarten der Bibel aufmerksam macht, Dass etwa der Turmbau zu Babel dergestalt interpretiert wird, "als fürchte Gott sich vor seinem eigenen Geschöpf und dessen technischem Fortschritt", charakterisiert Johanna Haberer als speziell christliche Wahrnehmung. "In der jüdischen Auslegung fehlt dieses Motiv, hier wird die Schuld der Babylonier vielmehr in der Unterdrückung der Individualität gesehen."

Obwohl katholisch aufgewachsen (Messdiener, Klosterschule), die Dreifaltigkeit bzw. den "Heiligen Geist" habe ich nie begriffen. Laut Frau Professor Haberer handelt es sich dabei "um eine Kraft, die lebendig macht, als eine unerklärliche Magie des Lebens." Eine sehr eigenwillige Auslegung, wie ich finde, auch wenn sie mir gefällt. Wir alle kennen solche magischen Momente, in denen etwa ein Funke überspringt, etwas geschieht das stimmig und doch nicht wirklich fassbar ist. Irritierend fand ich jedoch, dass die Autorin Willy Brandts Kniefall 1970 in Warschau als einen solchen Moment begreift. Für mich war das nichts anderes als eine Inszenierung für die Kameras.

Die jüdisch-christliche Kultur stellt sich auf die Seite der Armen, der Entrechteten, ohne allerdings den Reichtum a priori zu verurteilen. Das ist ein ziemlicher Spagat, bei dem die Benachteiligten meist das Nachsehen haben. Ja, so recht eigentlich ist vieles Christliche in der modernen Welt kaum mehr präsent. "Soziale Beziehungen werden ausschliesslich in den Kategorien des Handels bewertet, und nur wer gibt, hat das Recht, auch etwas zu erhalten." Unchristlicher geht es eigentlich nicht. Doch genau diese Galtung prägt ganz speziell das heutige, von Christen geprägte, Amerika

Bibel. 100 Seiten ist ein überaus lehrreiches Werk, das allerdings nicht einlöst, was ich mir versprochen bzw. erhofft hatte: Klarheit über die Entstehung, die Gliederung, die wesentlichsten Aussagen der Bibel.  Stattdessen macht es unter vielem Anderen (die Propheten. die Gottesknechte, Adam und Eva etc.) auf den Verlust der religiösen Sprache aufmerksam. Wörter wie Trost sind heutzutage kaum mehr in Gebrauch. "Mitleid, Barmherzigkeit oder Vergebung zu erfahren gilt als demütigend, und ein 'barmherziger Mensch' kommt in unserer Alltagssprache praktisch nicht mehr vor." Oder man nehme das Wort "Gnade". Die Weisheit "Gnade vor Recht ergehen" ist dem sogenannten Rechtsstaat, in dem das Recht des Stärkeren dem Recht des Schlaueren weichen musste, nachgerade wesensfremd. Ob Barmherzigkeit als ausschliesslich herablassend aufgefasst werden muss, wie das die Autorin tut, bezweifle ich allerdings. Für mich ist es schlicht ein anderes Wort für Empathie. 

Johanna Haberer begreift Christsein als "stets den eigenen Standpunkt reflektieren, beweglich, informiert und (selbst)kritisch zu bleiben." Auf-dem-Weg-Sein. Die jüdisch-christliche Religion und Kultur ist nomadisch geprägt. "Bis heute leben die Beduinen, Nachfahren jener nomadischen Völker des alten Israel, in Wellblechhütten an den Grenzen der Städte und Dörfer und weigern sich, feste Siedlungen zu bauen. Der Aufbruch als Lebensaufgabe ...". Es sind solche Erkenntnisse, die mich sowohl die Bibel als auch das Christentum anders und neu sehen lässt.

Johanna Haberer
Bibel. 100 Seiten
Reclam, Ditzingen 2025

Sunday, 25 May 2025

Dan Yack

Beim Einstieg in diesen Roman wähnt man sich in einem Film, so bildmächtig weiss Blaise Cendrars die turbulente Szenerie zu schildern. Und dann die Sprache (grosses Kompliment an den Übersetzer Jürgen Schroeder!), die einen geradezu mitreisst und die Welt immer mal wieder neu sehen lässt. ("Die Wolken eilen herzu ...").

Dan Yack, ein berühmter Millionär und Lebemann, wird von seiner Geliebten Hedwiga verlassen, und entschliesst sich zu einem Neuanfang, "irgendwo zwischen der Ferse Neuseelands und dem Südpol." Nicht alleine, sondern zusammen mit einem Dichter, einem Bildhauer und einem Musiker, die er in einer Kneipe aufgegabelt und mit viel Geld geködert hat.

Der Kapitän ist gereizt, das Schiff kämpft gegen heftige Winde. Dann geht der erste Blitz über der Insel nieder. Ein Blizzard. Ein Schneesturm. Der Winter. Blaise Cendrars schildert das überaus eindrücklich, kraftvoll, mit grosser Intensität. Ihm muss, so stelle ich mir vor, ein vulkanisches Temperament eigen gewesen sein!

Der Dichter ist dick geworden, er grübelt, wird gepackt von einer Störung, die ihn ständig Rückblenden in die Vergangenheit provozieren lässt. Zwanghaft. Es ist schwer, dagegen anzukämpfen. Es ist ein Phänomen, das in langen Polarnächten häufig vorkommt und einen Bakteriologen genauso befallen kann wie einen Seemann.

Der Bildhauer verliert sich "in eine verworrene Träumerei von Zukunft, Menschenliebe und Lebensfreude." Und er studiert Dan Yack, mit der Folge, dass er unbewusst dessen Einfluss erlieg und sich, wenn er ausgeht, mit grösster Sorgfalt kleidet.

Die Perspektive von Bari, dem Hund, ist noch einmal eine andere. Er ist traurig, die Überfahrt war ein Alptraum, er träumt von den Verhältnissen in England. Dann findet er raus, dass der Musiker nach Hündin riecht. Der Dichter meint: "Ich persönlich bin überzeugt, dass der Hund ein Vermittler ist zwischen den anderen Tieren und den Menschen, eine Art niederer Engel, wie es die höheren Engel gibt, die Vermittler zwischen den Menschen und Gott, aufmerksame Wächter des Gebets, die Paradieshunde."

Und Dan Yack, wie geht es ihm? Zu den drei Nöten, die ihn beschäftigen, gehört auch die Angst um sein Monokel. Doch er muss auch lachen über die verrückte Gegend, wo im Sommer Winter ist und an Weihnachten die grösste Hitze herrscht. Als sie schliesslich in Port Deception landen und er die vollkommen öde Insel erkundet, muss er ständig an Hedwiga denken, die er einfach nicht aus Kopf und Herz bringt.

Mit Hilfe von fähigen Leuten baut er eine Fabrik auf, sendet Flotten aus zum Walfang, und macht sich an die Herstellung von Walfleischkonserven. Ein Kasino kam hinzu, er verdiente Geld,, und er hatte wieder angefangen zu lieben. Und: "Er trank. Er trank. Mochte alles zum Teufel gehen!"

Soviel zum ersten Buch, Le Plan de l'Aiguille, das zweite heisst Die Bekenntnisse Dan Yacks, das sich durch dieselbe Intensität auszeichnet. Dan Yack, der früher Grammophone liebte, lebt jetzt in Le Plan de l'Aiguille, und ist besessen vom Diktaphon, in das dieses zweite Buch gesprochen wurde. Der Text handelt hauptsächlich von Mireille, seiner Tochter, die tot ist. "Sie gab nicht gern Geld aus. Im Unterschied zu mir, der ich ihr Autos und Kleider kaufte und immer den neusten Schmuck. Aber sie mochte keinen Schmuck, sie mochte nichts als Blumen, wie meine Mutter." Können wir unserem Schicksal eigentlich entkommen?

Rückblicke auf der Ersten Weltkrieg ("Auch an der Front folgte ich meinem Instinkt, wenn ich die ganze Nacht durch diesen Wahnsinn irrte. Bizarre Kakophonie! Ich hörte den Tod delirieren. Eine anonyme Maschinerien,") wechseln sich ab mit dem Leben in Paris. "Was soll ich in Paris? Nicht mehr trinken, keine Frauen mehr, nein, kein Alkohol." Ob es ihm gelingen wird?

Wie das erste, so handelt auch das zweite Buch von Liebe, und Leid. Dan Yack ersäuft seinen Schmerz und wirft sich gleichzeitig in die Arbeit. Dabei geht es überaus turbulent zu und her; der Autor sprüht vor Fantasie und Sprachlust – und es sind diese, die diesen Roman ausmachen.

Blaise Cendrars
Dan Yack
Roman
Atlantis, Zürich 2025

Wednesday, 21 May 2025

1000 Sprachen - 1000 Welten

Zu den Fragen, die auch ausserhalb der Linguistik grosse Aufmerksamkeit geniessen, gehört, ob die Eskimos, wie einst in der New York Times behauptet wurde, wirklich über 70 Wörter für Schnee verfügten. Tun sie nicht, das ist widerlegt, was viele natürlich nicht hindert, diese Mär auch weiterhin zu verbreiten, denn, so der Linguist Geoff Pullum, wenn der Mensch sich einmal entschieden hat, etwas plausibel zu finden, ist er nur schwer wieder davon abzubringen. Was bei dieser Debatte jedoch übersehen wurde, meint Caleb Everett: "Sprachen spiegeln in der Regel die Umgebung wider, in der sie sich entwickeln."

Dieses Buch "soll einige besonders interessante Forschungsschwerpunkte von Psychologen, Linguisten, Anthropologen und anderen Forschern vorstellen, die unser Verständnis der menschlichen Sprache und des damit zusammenhängenden Denkens und Verhaltens formen." Caleb Everett tritt damit in die Fussstapfen seines Vaters, Daniel Everett, der aufgrund seiner Forschungen im brasilianischen Amazonasgebiet zur Auffassung kam, dass auch unser kultureller Lebensstil sich auf unser Denken auswirkt.

Vorauszuschicken ist dies: In der Linguistik gibt es die Anhänger/Vertreter sprachlicher Universalien, was meint, dass alle Sprachen der Welt grundlegende Merkmale teilen. Und dann gibt es die Relativisten, die davon ausgehen, dass die Sprache, die wir sprechen, unser Denken und unsere Wahrnehmung prägt. Ich selber tendiere zu den Universalien, Caleb Everett zum Sprachrelativismus. Doch wie so viele Rätsel, die wir mittels (erfundener) Fachdisziplinen zu beantworten suchen, liegen die Antworten, die wir finden (wollen), vermutlich in unserer Grundeinstellung: Die eher Schicksalsgläubigen werden vermutlich zum Universalismus neigen, diejenigen, die glauben, es liege an ihnen bzw. in ihrer Verantwortung/Macht, wie sie leben wollen, ziehen womöglich den Relativismus vor.

Wer davon ausgeht, dass die Menschen weltweit sich nicht wesentlich unterscheiden (sollen), wird den Universalien den Vorzug geben, wer eher an die Unterschiede glaubt, wird diese Unterschiede auch finden. 1000 Sprachen - 1000 Welten ist überaus reich an Beispielen ferner Populationen, die andere Vorstellungen vom Leben haben als der in Städten ansässige, moderne Mensch. Das ist interessant und anregend, doch ist es auch relevant bzw. macht es einen Unterschied in unserem Leben? Sicher, falls wir offen dafür sind, denn die Dinge neu bzw. anders zu sehen (das ist es, was die verschiedenen Sprachen uns zeigen), verändert die Perspektive und möglicherweise auch das Verhalten.

Da wäre einmal die Zeit, von der Caleb Everett ausgeht, dass es sie gibt. Die Rosebud Sioux in Süddakota glauben das nicht, dafür glauben sie an Geister. Doch dies nur am Rande. Verschiedene Völker drücken die Zeit verschieden aus, so Everett, aber erfahren sie sie auch anders? "Das soll nicht heissen, dass es keine universellen Komponenten in der Art und Weise gibt, wie Menschen Zeit erleben. Wir alle sind Homo sapiens mit Biorhythmen und der Fähigkeit, zeitliche Abläufe und natürliche Zyklen wie Tag und Nacht wahrzunehmen. Dennoch kann man immer klarer auf die sehr unterschiedlichen Arten und Weisen hinweisen, in denen Menschen Zeit begrifflich fassen und beschreiben." 

Und dann wäre da das räumliche Denken, von dem die Forscher zumeist annehmen, es sei "von Natur aus egozentrisch und anthropomorph geprägt" und erlaube uns deshalb, den Raum zu begreifen. Feldforscher kamen aufgrund von Studien, die mit indigenen Gruppen durchgeführt wurden, zum Schluss, dass  die Sprache "einen Einfluss auf das hat, was wir früher als tief verwurzelte, universelle Facetten der menschlichen Raumwahrnehmung betrachteten. Diese Behauptung ist nach wie vor umstritten, obwohl selbst Skeptiker inzwischen allgemein anerkennen, dass die Sprache eine gewisse Rolle bei der Gestaltung der räumlichen Standardstrategien der Menschen spielt."

Kennzeichnend für dieses Buch ist unter anderem, dass es vor eindeutigen Aussagen zurückschreckt. Das ist typisch für Akademiker, die sich damit vorbeugend gegen etwaige Einwände wappnen. "... haben wir einige indirekte Möglichkeiten gesehen, wie Umweltfaktoren möglicherweise die Sprache beeinflussen können." Auch zeigen die ehrerbietigen Zuschreibungen wie "Harvard-Anthropologe" oder "Harvard-Linguist" ein von Eitelkeit geprägtes Hierarchie-Denken, das ich zwar peinlich, doch auch aufschlussreich finde. 

Ganz besonders interessant ist das Kapitel "Wie wir Sätze wirklich konstruieren", worin der Autor unter anderem darauf hinweist, wie wesentlich das Verständnis von Redewendungen für das Erlernen einer Sprache ist. So ist etwa "Meinem Sohn gingen die Pferde durch" nur verständlich, wenn man die Bedeutung dieser Aussage kennt, da einfach die Worte zu übersetzen keinen Sinn ergibt. Gleiches gilt für "Ich stehe auf Sushi". Oder "Für etwas geradestehen."

1000 Sprachen - 1000 Welten vermittelt grundlegendes linguistisches Wissen. Das geht von "Einer der zentralen Grundsätze der modernen Linguistik ist, dass Sprache überwiegend willkürlich ist." zu "Tatsächlich bleibt die Frage in den Sprachwissenschaften weiterhin ein Rätsel, wie Kinder angesichts der Komplexität der Aufgabe überhaupt Sprache erwerben". Die Zusammenstellung neuerer Forschungsergebnisse, die in diesem Buch vorgenommen wird, liefert Hinweise auf Zusammenhänge, die nicht nur faszinieren, sondern auch überraschen.

Caleb Everett
1000 Sprachen - 1000 Welten
Wie sprachliche Vielfalt unser Menschsein prägt
Westend, Neu-Isenburg 2025

Sunday, 18 May 2025

Buildings for People and Plants


It is rare, very rare, that when glancing through a tome with pictures of architecture that I feel entranced by what my eyes are showing me. And, while this quite often happens when looking at images of nature, it is seldom the case when looking at man-made stuff. Needless to say, it is not only the architecture that fascinates me, it is also the presentation, the photographs, that is, that show me what the photographer has decided to frame, and thus to make me look at.

"We try to maintain a childlike sense of wonder, both in our design process and our finished projects.", I read in the introduction, and this sense of wonder can be also experienced when looking at these pics that were taken (for seven of the ten projects in the book) by Bruce Damonte. Another photographer that needs to be mentioned is Miguel de Guzmán. We do not look simply at truly fascinating architecture, we look at it through the eyes of these gifted photographers.

Transforming parking into a social experience with a vertical 
 stack of public spaces, including a gallery, play area, garden, 
and more © Imagen Subliminal

The essay Civics Lessons for an Uncertain Age by Nicolai Ouroussoff lets the reader/the viewer know that "under the colorful packaging, these projects are informed by a stubborn determination to reengage what is left of the public sphere." Not only a laudable but also a necessary endeavour. "Over time, as the architects became more established and the budgets got bigger, the geometries got more complex. Yet the interest in how public buildings can serve as places of common ground remains."

Come to think of it, it is pretty obvious that buildings do not stand alone. After all, everything is somehow connected. We all influence each other in ways we are hardly aware of. To emphasise the already exisiting connections and to establish new ones is the goal of the architects of WORKac. Contemplating what they have created gave me feelings of joy and lightness.

A vibrant hub for student life and a new campus entry © Bruce Damonte

There's also a conversation between Amale Andraos and Dan Wood, both cofounders of WORKac, and Heidi Zuckerman, "a globally recognized leader of contemporary art" (what would Americans do without superlatives, I wonder?), that is introduced by Zuckerman asking: "How does art inspire your practice and why do you think it matters?" I must admit that the answers by the architects I did not find very inspiring ("One learns to value life through art."), which isn't too surprising since, as one of the two points out, architects (bound by various constraints) and artists (very few constraints) work in very different way.

What I liked best about this conversation is Heidi Zuckerman's remark: "the more you look, the more you see.", that describes precisely my experience with this impressive tome that documents beautifully what the WORKac architects see as their mission: "We don't think of buildings as isolated objects, Rather, we enlist their power to frame, reexamine and reinvent relationships – between citizens and cities, public and private space, the individual and the collective, inside and outside, and people and plants."

An aesthetic pleasure of the first order!

WORKac
Buildings for People and Plants
Park Books, Zurich 2025

Wednesday, 14 May 2025

Peanuts. 100 Seiten

Ich bin Peanuts-Fan, habe mir während Jahren immer mal wieder einen dieser Comicstrips aus der Zeitung ausgeschnitten. Einige sind mir geblieben, kann ich frei zitieren (und tue es auch gelegentlich). Dazu kommt: Als ich vor Jahren angefangen habe, Portugiesisch zu lernen, haben mir die Peanuts-Comics dabei geholfen.

Wahrgenommen habe ich die Peanuts immer als lustig und streetwise, ernsthaft auseinandergesetzt habe ich mich nicht mit ihnen. Als ich jetzt auf dieses Zitat des Peanuts-Schöpfers Charles M. Schulz stosse: "Das grundlegende Thema der Peanuts war von Anfang an die Grausamkeit, die unter Kindern existiert." bin ich verblüfft und überrascht. Und werde ausgesprochen neugierig auf das, was Joachim Kalka, der Autor dieses Büchleins, noch alles auf Lager hat.

    Zu Snoopy notiert er: "Das Interessante an diesem Comic-Hund ist es, mit welcher Konsequenz er sich weigert, die klassische Rolle des Hundes zu erfüllen: die des Begleiters." Und Lucy, deren psychiatrische Praxis dazu dient, Charlie Brown auf seine Fehler aufmerksam zu machen, und findet, dass die  Psychiatrie eine exakte Wissenschaft ist, antwortet auf Charlie Browns "Eine exakte Wissenschaft?!, mit "Ja, du schuldest mir exakt einhundertdreiundvierzig Dollar!"

Joachim Kalka erläutert, ordnet ein und versteht klarzumachen, einleuchtend und nachvollziehbar, weshalb Charles M. Schulz macht, was er macht. Der Akzent liegt dabei auf: Wie mache ich es, dass ein Comicstrip gut funktioniert. Das ist auch Kalkas Domäne und so ist wenig erstaunlich, dass ich selber manchmal zu ganz anderen Schlüssen komme. Ein Beispiel: Linus ist abhängig von seiner Schmusedecke und will sie sich abgewöhnen. Als ihm das schlussendlich gelingt und er überglücklich ist, von seiner Sucht geheilt zu sein, gibt ihm Charlie Brown eine neue Decke. Kalka kommentiert: "Der Strip kann eben auf so ein zentrales Strukturelement nicht verzichten." Ich selber finde, dies zeige noch etwas ganz anders, nämlich, dass man von einer Sucht nicht so schnell loskommt. 

Wunderbar, worauf Joachim Kalka alles aufmerksam macht. "Snoopy beschliesst, Krieg und Frieden zu lesen: Jeden Tag ein einziges Wort."  Zu Snoopys Tagräumen gehört auch, dass er sich als Schriftsteller sieht. "Während ein Hemmnis für Snoopys Romanproduktion in seiner Einfallslosigkeit liegt, ist sein anderes das beschränkte Wissen." Das sind in der Tat nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Schriftstellerleben!

Ganz besonders beeindruckt hat mich Kalkas Herausschälen von Grundlegendem. Einerseits, weil es mir Augenöffner angetan haben, andererseits, weil mir damit eine Perspektive eröffnet wird, die ich als bereichernd erlebe. So ist etwa Snoopy ständig mit Selbstinszenierungen beschäftigt, beschränkt sich Charles M. Schulz auf einige wenige Topoi, und lässt sich von den Jahreszeiten leiten. Keine Frage, das wird vermutlich den meisten auffallen, die sich mit den Peanuts auseinandersetzen, doch wer tut das schon und dann noch mit einem so guten Auge wie Joachim Kalka?

Ständig ist der Fernseher an; Lucy ist aggressiv, Charlie Brown ist es nicht. In seiner Unbeholfenheit, seinem ständigen Scheitern, zeigt sich auch, dass die Welt der Kinder oft das genaue Gegenteil einer Idylle ist. "Es ist gewiss die mit grosser Subtilität inszenierte Kinderperspektive, die den Strip so faszinierend macht: eine Welt von Wesen, welche in den Begrenzungen der Kindheit gefangen sind und sie gleichzeitig überwinden oder ignorieren."

Joachim Kalkas Blick auf die Peanuts lässt sie mich ungewohnt und neu sehen. Bravo!

Joachim Kalka
Peanuts. 100 Seiten
Reclam, Ditzingen 2025

Sunday, 11 May 2025

Russland gegen die Moderne

Es sei gleich voran geschickt: Dieses Buch wurde im Jahre 2022 verfasst, die englische Originalausgabe erschien 2023. Zudem: Dies ist ein akademisches Werk, operiert also mit Thesen und beschäftigt sich ausgiebig mit Definitionen. Für mich wurde die Lektüre immer dann spannend, wenn die Ausführungen konkret wurden. "Noch im Januar 2022 erachteten sowohl meine russischen als auch ukrainischen Freund:innen und Kolleg:innen die Wahrscheinlichkeit eines Einmarsches als verschwindend gering und allein den Gedanken als lachhaft," Auf die Idee, dass es daran liegend könnte, dass man Irrationale nicht rational erklären kann, kamen die Rationalen allerdings nicht. Nach wie vor huldigen sie der Vorstellung, was zur Zeit auf der Welt geschieht, sei rational erklär- und begreifbar. Das ist die Definition von irrational.

Zu den Begriffen, denen sich der Autor annimmt, gehört auch "die neue Moderne", die "zwischen dem Planeten und seinen Menschen ausgehandelt wurde". Ich kann mir viel vorstellen, doch ein solches Aushandeln dann eben doch nicht. Genauso wenig wie was eine Gaiamoderne sein könnte. Zu Gaia siehe  die Ausführungen von James Lovelock.

Akademiker zeichnet aus, Banales in Hochtrabendes zu verwandeln. "Moderne Nationen entwickeln sich in einem Balanceakt zwischen der Zivilgesellschaft und dem Staat." Und dass der Mensch ohne Vertrauen so ziemlich am Arsch wäre, weiss man auch ohne gescheite Leute wie Niklas Luhmann. Wie funktioniert aber ein Staat, dem die Bürger der Obrigkeit nicht trauen, da sie wissen, dass sie ständig angelogen werden, wie in Russland während Covid-19? "In einer ungleichen und anti-intellektuellen Gesellschaft jedoch glaubte niemand den Fachleuten, weder die Bevölkerung noch die Elite. In der Bevölkerung sah man sie als Teil der Elite und entzog ihnen das Vertrauen, und die tatsächliche Elite aus Managern und Staatsbeamten zählte sich nicht zu ihresgleichen und traute ihnen ebenfalls nicht."

Dass Russland, abhängig von Petrodollars und Gas-Euros, den Klimawandel leugnet, ist wenig überraschend. Wer sich die amerikanische "Who profits?"-Frage zu eigen macht, gelangt meist schnell zum Kern vieler politischer Probleme. Alexander Etkinds überaus detaillierte Ausführungen bringen  jedoch Verblüffendes ans Licht, das diesen Kern ganz neu beleuchtet. "Nur ein Prozent der russischen Bevölkerung war in der Ölindustrie tätig, und ein erheblich geringerer Anteil an Menschen profitierte davon. Dennoch erwirtschaftete die Branche weit mehr als die Hälfte des Staatshaushalts."

Höchst differenziert zeigt Alexander Etkind auf wie Russland an ganz unterschiedlichen Fronten (von der Homophobie zur Unterstützung rechtextremer Bewegungen, von systematischen Lügen zur Verbreitung von Korruption) gegen den Westen schiesst, mit dem Ziel das Vertrauen in den Staat zu unterminieren. Dabei macht er einem auch bewusst, dass die moralfreien Polit-Amateure im Weissen Haus gegen die moralfreien Polit-Profis im Kreml keine Chance haben.

Ob das russische Gebaren wirklich von strategischen Überlegungen geleitet wird, wie das Alexander Etkind und andere Akademiker insinuieren, da bin ich mir nicht so sicher, da ich davon ausgehe, dass der Mensch nicht wirklich weiss, was er tut. Andererseits versteigt sich der Autor nicht einfach in Theorien, sondern orientiert sich am Verhalten der Russen. Und dieses lässt seine Rückschlüsse in der Tat sehr plausibel erscheinen. Nur eben: Was uns einleuchtet, muss deswegen noch lange nicht so sein.

Was dieses Werk für mich lohnenswert macht, ist die ungeheurere Dichte an Informationen, die der Autor vorlegt. Ganz besonders aufschlussreich sind so Sätze wie: "Und die bei der Elite beliebten Banken – unter anderem Credit Suisse und Deutsche Bank – waren ebenfalls im Bilde.", machen sie doch deutlich, dass wenn es wirklich eine einheitliche Front gegen Russland gäbe, das Regime kaum überlebensfähig wäre.

Mir fehlt zwar der Wissenshintergrund, um dieses Werk angemessen würdigen zu können, doch die Vielzahl der Erkenntnisse, die mir dieses Werk vermittelt, sind echte Augenöffner. Einige will ich hier teilen: "Sämtliche Petrostaaten waren zutiefst ungleich." Putins Vorgesetzte beim KGB sahen als seine einzige Schwäche sein "vermindertes Gefahrempfinden". "Der Unterdrücker verübt seine Gräueltaten zwar frei von jeder Vernunft, erklärt sich aber eifrig. Nicht seinem Opfer gegenüber, aber für das Publikum zu Hause und im Ausland hält er Begründungen bereit."

Nun gut, einen Russland-Ignoranten wie mich zu beeindrucken, ist nicht allzu schwierig. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass ich alle offiziellen russischen Verlautbarungen für Lügen halte, und allem, was man inoffiziell zu wissen glaubt, mit Skepsis begegnen. "Vor 2022 gab es in Russland 83 Milliardäre ("Forbes") und 269.000 Millionäre (Credit Suisse). Die tatsächliche Zahl der Reichen und Mächtigen im Land lag irgendwo dazwischen – wenige zehntausend. Über sie wissen wir nur sehr wenig." Wie Alexander Etkind auf diese wenigen zehntausend kommt, erläutert er nicht.

Mein Lieblingskapitel ist "Die unerträgliche Leichtigkeit westlicher Expert*innen". Was seit 2014 in der Ukraine geschieht, bezeichnet der Autor zutreffend mit Russisch-Ukrainischer Krieg. Die westlichen Einschätzungen sogenannt anerkannter Grössen sind aus heutiger Sicht überaus peinlich. Man sollte sich die einschlägigen Namen merken (unter ihnen Adam Tooze, Niall Ferguson, John Mearsheimer), auf dass man sich künftig an ihre Inkompetenz erinnere.

Russland gegen die Moderne ist ein beeindruckend informatives Werk. Alexander Etkind plädiert nicht nur für die Idee eines deföderierten Russlands, er sagt den Zerfall der Russischen Föderation voraus. 

Alexander Etkind
Russland gegen die Moderne
Eine "Spezialoperation" zur Unterdrückung der gesellschaftlichen Transformation
transcript Verlag, Bielefeld 2025

Wednesday, 7 May 2025

Bürokratopia

Mit der Bürokratie habe ich noch nie etwas Positives verbunden, ich halte sie, wie das der britische Anthropologe Nigel Barley einmal treffend auf den Punkt gebracht hat, für an end in itself. Allerdings merke ich bereits auf den ersten Seiten von Bürokratopia, dass ich mir dazu recht wenig Gedanken gemacht und offenbar Wesentliches nicht beachtet habe.

Da die Autorin Julia Borggräfe Juristin ist, muss ich gleich noch einmal über meinen Schatten springen, denn mit Juristen (ich habe selber ein Jurastudium absolviert), assoziiere ich so ziemlich gar nichts, das ich hilfreich finde. Im vorliegenden Fall habe ich mich jedoch insofern getäuscht, als mir dieses Buch bewusst macht, wie notwendig eine funktionierende Verwaltung für das Gelingen der Demokratie ist.

Dass die Verwaltung unser Leben weit mehr bestimmt als die Politik, ist mir schon lange klar. Jedenfalls theoretisch. Umso verblüffter bin ich jetzt, dass ich mir über die Funktionsweise der Verwaltung bislang noch nie wirklich nachgedacht habe. "Der Zusammenhang zwischen einem funktionierenden Staat und einer starken Demokratie hat sich bei den politischen Verantwortungsträger:innen noch nicht durchgesetzt – obwohl dieser mehr als offensichtlich ist." Man sieht gerade in den USA, was passiert, wenn die politisch Verantwortlichen keinen Schimmer davon haben, was Verantwortung bedeutet.

Die Verwaltung hat sich am Gemeinwohl zu orientieren. "Verwaltungsakte mögen für Einzelpersonen mitunter belastend sein, aber sie dienen der Aufrechterhaltung von Ordnung und Gerechtigkeit. Daraus, dass Verwaltungsentscheidungen auf Gesetzen basieren, die durch demokratische Prozesse legitimiert und durch das Rechtssystem überprüfbar sind, ergibt sich ihre Verbindlichkeit für alle Bürger:innen." Auch wenn ich das mit der Gerechtigkeit entschieden weniger idealistisch sehe, so bringt dies auf den Punkt, weshalb die Verwaltung so wesentlich ist: Sie vermittelt Stabilität. Und nichts ist den Menschen wichtiger.

Julia Borggräfe diagnostiziert einen Vertrauensverlust in den Staat und plädiert für Bildung, den "Rohstoff, aus dem individuelle und gesellschaftliche Zukunft gemacht wird." So nachvollziehbar ihre Forderung auch ist, besonders innovativ scheint mir dieser Ansatz nicht, auch deswegen nicht, weil die Charakterbildung in der Schule keinen Platz hat und das vermittelte Fachwissen nach Abschluss der Ausbildung oft obsolet geworden ist.

Studien werden angeführt, Beispiele aus anderen Ländern herangezogen. So funktioniert der Schulunterricht etwa in Finnland (kooperativ, von unten nach oben) ganz anders als in Deutschland (Top-down-Prinzip). Auch für die Digitalisierung macht sich Julia Borggräfe stark. Nun ja, wer sich einmal längere Zeit in Ländern, wo regelmässig der Strom ausfällt, aufgehalten hat, wird das womöglich etwas weniger positiv sehen.

Aufgestossen ist mir das Vokabular.  Ein Titel wie "Modernes Personalmanagement als Treiber von Verwaltungsinnovation" lässt mich automatisch aufstöhnen. "Employer Branding", "Work-Life-Balance", "Strategische Personalplanung und -entwicklung" etc. ist der übliche Beraterjargon. Ein Satz wie "In der heutigen dynamischen und komplexen Welt spielt Führung eine entscheidende Rolle für den Erfolg von Innovations- und Transformationsprozessen, gerade auch in der öffentlichen Verwaltung", finde ich schlicht unerträglich. Nichtssagender geht kaum.

Je mehr meine Lektüre voranschritt, desto öfter ging mir dieses Zitat von Robertson Davies (aus A Mixture of Frailties) durch den Kopf: His reply had that clarity, objectivity and reasonableness which is possible only to advisors who have completely missed the point. Der Punkt hier ist der Faktor Mensch, an dem dieses Werk völlig vorbeigeht. So wird zum Beispiel differenziert und einleuchtend ausgeführt, weshalb der Klimawandel zu den "wicked problems" und mittels strategischer Vorausschau angegangen gehört. Dabei wird jedoch vollkommen ausser Acht gelassen, dass für unser Hirn nur die nähere Zukunft, nicht aber die entferntere emotional (Verstehen ist ein Gefühl) begreifbar ist.

Bürokratopia ist detailliert, informativ, verständlich geschrieben; vor allem die Analyse lohnt. 

Julia Borggräfe
Bürokratopia
Wie Verwaltung die Demokratie retten kann
 Wagenbach, Berlin 2025      
                      

Sunday, 4 May 2025

Trees, Time, Architecture!

Diesem Band liegt die Ausstellung Trees, Time, Architecture im Architekturmuseum der Technischen Universität München zugrunde, jedoch vom Schema der Ausstellung hie und da abweicht. "Das Zusammenspiel verschiedener Genres – Lebensbericht, Werkschau, Fotodokumentation und wissenschaftliche Analyse, um nur einige zu nennen – und das Einbringen der Ich-Perspektive in dieses Buch sollen dazu beitragen, den Baum als Kulturwesen, als Haupt- und Leitfigur verschiedener Berufe und Wissenschaften zur Geltung zu bringen."

Wir leben in hektischen Zeiten, alles muss schnell gehen. Bäume machen da nicht mit, haben ihren eigenen Lebensrhythmus. Sie wachsen extrem langsam. "Sie sprengen die Massstäbe des menschlichen Lebens und ihre Zeit steht im Widerspruch zu einem sich ständig beschleunigenden, technologischen und ökologischen Wandel." Kein Wunder, ist unser Verhältnis zu ihnen ziemlich, nun ja, komplex. "Wir haben sie vergöttert, uns vor ihnen gefürchtet unsere Häuser aus ihnen gebaut, sie aus unseren Städten verbannt, Hochhäuser mit ihnen geschmückt und schon vor Jahrhunderten Tausende Quadratkilometer grosse Wälder vernichtet.", schreiben Ferdinand Ludwig und Kristina Pujkilovic in ihrem Beitrag "Baum, Zeit, Architektur!"

Von Architektur und Bauen verstehe ich nichts, weshalb ich dieses Werk auch nicht angemessen zu würdigen imstande bin. Und so beschränke ich mich auf das, was ich glaube beurteilen zu können (mit der dokumentarischen Fotografie habe ich mich eingehend beschäftigt): Die fotografische Reise durch die Xylella-Epidemie in Apulien, die Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi unternommen haben.

Sieben Jahre lang haben die beiden mit  Amerkennung und Preisen Überhäuften (ob dies eine Auszeichnung ist, sei einmal dahingestellt; meines Erachtens ist offizielle Anerkennung, wie James Agee in "Let Us Now Praise Famous Men" ausführte, ein fatales Missverständnis, ja, der Todeskuss.) die Schadwirkungen des bakteriellen Krankheitserregers "Xylella fastidiosa" dokumentiert. "Xylella bewirkt das Olive Quick Decline Syndrome, das befallene Bäume schnell absterben lässt und die gesamte Olivenwirtschaft in der Region gefährdet."

Es versteht sich: Bilder für sich genommen sagen uns in aller Regel nicht viel. Ein Bild kann uns nur dann mehr als tausend Worte sagen, wenn wir wissen, was wir vor Augen haben, denn, wie schon Goethe sagte: Wir können nur er-kennen, was wir kennen. Bilder brauchen also Worte bzw. erklärenden Text, um verstanden werden zu können. Nein, nicht alle Bilder, doch die dokumentarischen. 

Die Texte, die die ausgezeichneten Aufnahmen von Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi begleiten sind höchst informativ und umfassen so recht eigentlich alles Aspekte, die diese Bilder verständlich machen, ja mehr, ihnen eine potentielle Wirkmächtigkeit verleihen, die sie ohne diese Texte definitiv nicht hätten.

Das Projekt begann 2016. Der Schädling hatte sich in der Gegend um Gallipoli gerade festgesetzt und breitete sich, begünstigt durch Klimawandel und Pestizide, schnell aus. Die Olivenhaine lagen im Sterben, die Lebensgrundlage der Bauernfamilien war dabei zu verschwinden. Wie immer, wenn Menschen nicht verstehen, was vor sich geht, sind Verschwörungstheorien nicht weit. Hilfreicher ist hingegen (wie Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi zeigen) die wissenschaftliche Herangehensweise.

Was dieses Fotografenduo hier vorlegt, ist Dokumentarfotografie vom Feinsten. Eindrücklich demonstrieren sie nicht nur, was sie vorgefunden haben, sondern auch, wie sie bei ihrem Projekt vorgegangen sind, was für Mittel sie eingesetzt, was sie selber empfunden haben. Es ist diese Mischung, die ich persönlich überaus überzeugend finde, denn hier zählt der Prozess (sie wurden von den Leuten vor Ort in deren Leben aufgenommen) genauso wie das Resultat (die Bilder mit Text).

Andjelka Badnjar, Kristina Pujkilovic, Ferdinand Ludwig, Andres Lepik (Hrsg.)
Trees, Time, Architecture
Entwerfen im Wandel
Park Books, Zürich 2025