Diesem Band liegt die Ausstellung Trees, Time, Architecture im Architekturmuseum der Technischen Universität München zugrunde, jedoch vom Schema der Ausstellung hie und da abweicht. "Das Zusammenspiel verschiedener Genres – Lebensbericht, Werkschau, Fotodokumentation und wissenschaftliche Analyse, um nur einige zu nennen – und das Einbringen der Ich-Perspektive in dieses Buch sollen dazu beitragen, den Baum als Kulturwesen, als Haupt- und Leitfigur verschiedener Berufe und Wissenschaften zur Geltung zu bringen."
Wir leben in hektischen Zeiten, alles muss schnell gehen. Bäume machen da nicht mit, haben ihren eigenen Lebensrhythmus. Sie wachsen extrem langsam. "Sie sprengen die Massstäbe des menschlichen Lebens und ihre Zeit steht im Widerspruch zu einem sich ständig beschleunigenden, technologischen und ökologischen Wandel." Kein Wunder, ist unser Verhältnis zu ihnen ziemlich, nun ja, komplex. "Wir haben sie vergöttert, uns vor ihnen gefürchtet unsere Häuser aus ihnen gebaut, sie aus unseren Städten verbannt, Hochhäuser mit ihnen geschmückt und schon vor Jahrhunderten Tausende Quadratkilometer grosse Wälder vernichtet.", schreiben Ferdinand Ludwig und Kristina Pujkilovic in ihrem Beitrag "Baum, Zeit, Architektur!"
Von Architektur und Bauen verstehe ich nichts, weshalb ich dieses Werk auch nicht angemessen zu würdigen imstande bin. Und so beschränke ich mich auf das, was ich glaube beurteilen zu können (mit der dokumentarischen
Fotografie habe ich mich eingehend beschäftigt): Die fotografische Reise durch die Xylella-Epidemie in Apulien, die Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi unternommen haben.
Sieben Jahre lang haben die beiden mit Amerkennung und Preisen Überhäuften (ob dies eine Auszeichnung ist, sei einmal dahingestellt; meines Erachtens ist offizielle Anerkennung, wie James
Agee in "Let Us Now Praise Famous Men" ausführte, ein fatales Missverständnis, ja, der Todeskuss.) die Schadwirkungen des bakteriellen Krankheitserregers "Xylella fastidiosa" dokumentiert. "Xylella bewirkt das Olive Quick Decline Syndrome, das befallene Bäume schnell absterben lässt und die gesamte Olivenwirtschaft in der Region gefährdet."
Es versteht sich: Bilder für sich genommen sagen uns in aller Regel nicht viel. Ein Bild kann uns nur dann mehr als tausend Worte sagen, wenn wir wissen, was wir vor Augen haben, denn, wie schon Goethe sagte: Wir können nur er-kennen, was wir kennen. Bilder brauchen also Worte bzw. erklärenden Text, um verstanden werden zu können. Nein, nicht alle Bilder, doch die dokumentarischen.
Die Texte, die die ausgezeichneten Aufnahmen von Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi begleiten sind höchst informativ und umfassen so recht eigentlich alles Aspekte, die diese Bilder verständlich machen, ja mehr, ihnen eine potentielle Wirkmächtigkeit verleihen, die sie ohne diese Texte definitiv nicht hätten.
Das Projekt begann 2016. Der Schädling hatte sich in der Gegend um Gallipoli gerade festgesetzt und breitete sich, begünstigt durch Klimawandel und Pestizide, schnell aus. Die Olivenhaine lagen im Sterben, die Lebensgrundlage der Bauernfamilien war dabei zu verschwinden. Wie immer, wenn Menschen nicht verstehen, was vor sich geht, sind Verschwörungstheorien nicht weit. Hilfreicher ist hingegen (wie Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi zeigen) die wissenschaftliche Herangehensweise.
Was dieses Fotografenduo hier vorlegt, ist Dokumentarfotografie vom Feinsten. Eindrücklich demonstrieren sie nicht nur, was sie vorgefunden haben, sondern auch, wie sie bei ihrem Projekt vorgegangen sind, was für Mittel sie eingesetzt, was sie selber empfunden haben. Es ist diese Mischung, die ich persönlich überaus überzeugend finde, denn hier zählt der Prozess (sie wurden von den Leuten vor Ort in deren Leben aufgenommen) genauso wie das Resultat (die Bilder mit Text).
Andjelka Badnjar, Kristina Pujkilovic, Ferdinand Ludwig, Andres Lepik (Hrsg.)
Trees, Time, Architecture
Entwerfen im Wandel
Park Books, Zürich 2025
No comments:
Post a Comment