Wednesday, 24 March 2010

Winter in Maine


Diesem ganz wunderbaren Roman ist ein Zitat von Marc Aurel vorangestellt, das dieses Werk treffend illustriert: "Wer sehr lange lebt, verliert doch nur dasselbe wie jemand, der jung stirbt. Denn nur das Jetzt ist es, dessen man beraubt werden kann, weil man nur dieses besitzt."

Gerard Donovan ist ein Meister im Vermitteln dieses Jetzt. Weil er genau hinguckt, weil er genau beschreibt und weil er zu Interpretationen Abstand hält. Und das klingt dann zum Beispiel so: "Als ich Streichhölzer, Milch, Tee, Brot und Butter gekauft und alles im Pick-up verstaut hatte, überquerte ich die Strasse bis zum Café. Mir fiel auf, dass der Wind auffrischte und die vereinzelten Regentropfen sich härter anfühlten, als wären sie mit Schnee beschwert. Deshalb freute ich mich über den Schwall warmer Luft, der mir beim Öffnen der Cafétür entgegenströmte, über das helle Licht und die paar Leute, die über Suppe und Getränke gekauert dasassen. Es bediente eine andere Kellnerin, doch sie brachte mir dieselbe Kaffeesorte an denselben Tisch und sagte auch dasselbe: Lassen sie ihn sich schmecken."

Der Protagonist, Julius Winsome, lebt mit seinem Hund Hobbes und über dreitausend Büchern in einer Jagdhütte in den Wäldern Maines. Dann tritt unverhofft Claire in sein beschauliches Dasein und verschwindet nach einiger Zeit genauso unverhofft wieder. Kurz darauf wird Hobbes aus nächster Nähe mit einer Schrotflinte erschossen. Und Winsome beginnt einen Rachefeldzug.

Das einsame Leben in den Wäldern und die Lektüre Shakespeares (wer dächte da nicht an Thoreaus Walden?) hat den Protagonisten Winsome zu einem bedächtigen, überlegten und sehr gegenwärtigen Menschen werden lassen. Daran ändert auch der Tod seines Hundes nichts und doch ändert sich mit diesem Tod alles: Winsomes Leben gerät aus den Fugen, er rächt sich nun an der Welt, an all dem, was er falsch findet an dieser Welt.

Was diesen Roman aussergewöhnlich macht, ist nicht in erster Linie der Rachefeldzug von Winsome - obwohl, dieser ist spannend genug und das Buch ist auch ein Krimi - , sondern die Stimmung, die Gerard Donovan zu vermitteln weiss. Man glaubt beim Lesen selber vor Ort in diesen Wäldern zu sein, das Holz der Jagdhütte zu riechen, die Bücher aus den Regalen zu ziehen, das Knirschen des Schnee unter den Schuhen zu hören, zu spüren, wie die Zeit verstreicht. Donovan ist ein Meister im Vermitteln der Gegenwart.

Es braucht wenig, so scheint es (ist der Tod eines Hundes wenig?), dass ein Mensch ausrastet. Doch rastet Winsome wirklich aus? Nie ist er auf seinem Rachefeldzug unkontrolliert, ganz methodisch und überlegt (genauso wie vor dem Tode des Hundes) geht er vor. Was sich geändert hat, ist, dass sein (stark von seinem Vater geprägtes) Leben plötzlich eine ganz andere Richtung genommen hat.

Gerard Donovan führt mit diesem Buch eindrücklich vor, dass es illusorisch ist, zu glauben, wir hätten unser Leben unter Kontrolle. Dass er dies am Beispiel eines äusserst kontrolliert agierenden Menschen aufzuzeigen vermag, macht dieses raffinierte Werk zu einem Lesegenuss erster Güte.


Gerard Donovan
Winter in Maine
Luchterhand Literaturverlag, München 2009

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