Wednesday, 8 October 2025
The Tottori Sand Dunes
Sunday, 5 October 2025
Japanische Entdeckungen
An Adapter für meinen Laptop heranzukommen ist nicht leicht. Eine überaus freundliche Verkäuferin in einem Elektronik-Markt erklärte: Es gäbe zwar solche Adapter für Japaner, die ins westliche Ausland reisen. Umgekehrt gelte das hingegen nicht. Sie bot mir an, ein paar Telefonate zu führen, um herauszufinden, wo es in dieser Grossstadt den von mir gewünschten Adapter gab. Sie wurde auch fündig, doch es war derart weit hin, dass ich beschloss, ein paar Tage auf meinen Laptop zu verzichten.
Omelette Sandwich; Reis, Gemüse und Fisch zum Frühstück.
Im Supermarkt in Nara habe ich bei der Münzen- Rückgabe offenbar eine Münze liegen gelassen. Eine Frau stürmt mir hinterher, mit meinen zehn Yen.
Das junge Paar aus dem Baskenland besucht auf ihren zahlreichen Reisen regelmässig die Supermärkte, des Vergleichs wegen.
Immer wieder staune ich über die vielen Menschen. Und darüber, dass das alles so gut funktioniert. Es sei anstrengend sich dauernd den Erwartungshaltungen der anderen anzupassen, sagt eine 19Jährige im Zug von Nara nach Osaka. Und: Was sei das für eine Befreiung gewesen, als während der Pandemie die Strassen wie leergefegt waren.
Beim Frühstück tragen einige das Hotel-Pyjama. Eine Premiere für mich. Minutenlang kämpfe ich mit den Essstäbchen und versuche sie voneinander zu trennen. Komme mir vor wie einer dieser Volltrottel in Unterhaltungsfilmen, der drauf und dran ist, die Stäbchen auseinander zu beissen.
Drei Mal ist es mir innert einer Woche passiert, dass ich chinesische Touristen, die ich für Einheimische hielt, um Auskünfte fragte. Oft waren sie noch desorientierter als ich.
Als ich einst in China unterrichtete, fragte ich die Studenten, ob sie Chinesen, Japaner und Koreaner auseinanderhalten könnten. Nein, könnten sie nicht. Der redefreudige Chinese im Hotellift behauptet hingegen, man könne sie klar unterscheiden: "Different Hairstyle".
Verblüfft bin ich, wie wenige Hotelangestellte ein einigermassen passables Englisch sprechen.
Nach zwei Tagen beschloss ich, mich auf den Weg zum Don Quijote zu machen, wo es den von mir gewünschten Adapter geben soll. Den Weg zu finden ist nicht ganz einfach, doch die Japaner sind sehr freundlich und hilfsbereit und schliesslich lande ich in einem Laden, der mich von aussen an eine Jahrmarktsbude erinnert und Kunterbuntes anbietet, von Haushaltwaren über Elektronik bis zu Adaptern.
Don Quijote liegt in einer Gegend, wo sich Supermärkte, Industrieanlagen und andere Grossbetriebe häufen. Und so kriege ich ein Nara zu sehen, das wohl den meisten Touristen entgehen wird. Solche Gegenden scheinen mir weltweit uniform. Der lange Weg dorthin war jedoch sehr japanisch - ruhige, gepflegte Seitenstrassen mit immer mal wieder beeindruckender Architektur und exotischen Pflanzen.
Nara, Japan, 2. Oktober 2025
Wednesday, 1 October 2025
Observations in Osaka and Kyoto
Sunday, 28 September 2025
Glimpses of Japan
My first stroll around "my" hotel in Osaka lands me in Korea Town where consumerism is in full bloom. Not many people speak English, and not many (including me) are adept at reading electronic maps. One young employee at "my" hotel is however so fluent and without a trace of an accent that I wonder where he learned it. From listening to music, he says; he has never been abroad.
Ratatouille with chicken was among the dishes offered for breakfast. A first for me - it tasted fabulously. And then there were pancakes, pain au chocolat, salads, granola and ...
Yöu need to go to Namba, I am told. It is where everybody goes. And so, reluctantly, I go ... only to turn around almost immediately. Too many people, definitely. Instead I am opting for side streets next to "my" hotel that are amazingly quiet and remind me of "my" Bangkok of 30 years ago.
The bagel I later ordered I thought a bit overpriced until I realised that I had ordered a full menu with soup and iced tea.
In my younger years I often felt compelled to go and do this and that. I'm glad I do not feel like this anymore. When riding on a train, for instance, I nowadays rather often look out the window instead of educating myself with a book. To simply do nothing is new to me. Do I enjoy it? No idea, really; it's what I do.
The excitement I most of my life experienced when travelling (how exotic everything foreign appeared, and how cosmopolitan I felt to be where I imagined life was happening) is gone. A certain calm has settled in - which however does not apply when I have to rapidly change planes. Also, in recent years I have often had the sensation of being where I wasn't, physically that is. In the Hungarian town of Debrecen it felt like I was in Mendoza, Argentina; and here in Osaka it sometimes feels like I could be pretty much anywhere in Asia.
To aimlessly wander about town motivates me to concentrate on my walking. There isn't much more to do. It feels kinda numbing, like you're not really here. Also, it is rainy and warm, the sky is grey. In a cafe I start reading Shusaku Endo's The Samurai.
The times when I do not know what to do have definitely increased, the older I have become, things do not seem so important anymore or am I fooling myself?
I wonder why I fancy hotel rooms. Could it be because my stay will be temporary? I'm often simply lying on the bed doing nothing; this is totally new to me for doing nothing has never figured even as an option. Instead there has always been the imperative to do something.
As usual I take a lot of photographs, mostly of flowers. Quite some I know from Brasil, others from my native Switzerland. The one below however is new to me.
My sandals are falling apart; I decide to buy new ones. The people I ask for shops are shrugging their shoulders, save for the owner of a shoe shop who gives me directions in Japanese that I do not understand. I do however embark on the way she has indicated, ask again and then realise that I have given this man a headache because sandals for men are obviously not common in Japan. Don't worry, I said, and dropped my sandals-project.
All these people running from here to there, it is mind boggling.and, from time to time I'm asking myself: What am I actually doing here? No idea, really. In any case: Big cities are clearly a thing of the past for me
The young couple near the train station in Kyoto who is showing me the way to "my" hotel is about to get married. Tomorrow, their families will meet for the first time. They confess to be nervous and, after the wedding, plan to move to Tokyo where the future husband is from.
The check-in at the hotel works robot-assisted, I'm informed. This means you register yourself using an iPad while being observed by a dinosaur who's moving back and forth.
Finally, the sun shows up. This is the first time since I arrived four days ago. It is irritating how my soul is depending on the weather.
Wednesday, 24 September 2025
Bob Dylan: Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist
Für mich ist Bob Dylan ein hervorragender Songwriter, seine Stimme ist hingegen nicht so mein Ding. Versionen seiner Songs von anderen Interpreten ziehe ich (meistens, nicht immer) vor. Als Dichter habe ich ihn nie wirklich wahrgenommen, obwohl ich einige seiner Liedzeilen auswendig kann, was natürlich auch daran liegt, dass Dylan-Songs zum Repertoire des Gitarrenduos gehörte, von dem ich einstmals ein Teil war.
Ich habe Sänger und Songwriter nie als Denker begriffen. Möglicherweise deswegen nicht, weil die Songs, die ich früher selbst geschrieben habe, intuitiv entstanden und ich Intuition und Verstand lange Zeit als Gegensatzpaare begriffen habe. Diese Interviews haben mich eines Besseren belehrt.
Eingeleitet werden die Gespräche von Heinrich Detering, der Dylans Satz: „The people in the songs are all me“ so kommentiert: „So erstaunlich diese Behauptung angesichts von Songfiguren klingt, die im spanisch-amerikanischen Krieg mitgekämpft haben, zum Schlägertrupp eines Bandenchefs gehören oder während ihres Monologs allmählich im Wahnsinn nächtlicher Halluzinationen versinken, so kennzeichnend ist sie für Dylans Songpoetik.“ Eine Sichtweise, die mich schmunzeln machte, da ich Dylans Satz ganz anders lese, nämlich so: Alle Aussagen, die wir über uns und die Welt machen, sind Aussagen über uns selber, denn etwas anderes kennen wir nicht, und können wir auch gar nicht kennen. Übrigens: Bei allen Wandlungen, die Dylan durchgemacht hat, so Deterich, ist sein „politisch-moralischer Wertekanon“ stabil geblieben. Wer auch immer wir sind, was auch immer wir tun, ein Kern in uns bleibt sich anscheinend immer gleich.
Die Gespräche sind chronologisch angeordnet. Da ich mit Bob Dylan-Songs gross geworden bin, erlaubt mir das eine ganz wunderbare Zeitreise in meine eigene Vergangenheit. Was mir bei den ersten zwei Interviews aus den 60er Jahren auffällt: Dass ich immer mal wieder lachen muss, was mich überrascht, denn ich habe Dylan bisher nicht mit Humor in Verbindung gebracht. Auf mich wirkte er meist abweisend und mürrisch, dabei ist er sehr witzig und schlagfertig.
Ich bin ganz erstaunt wie clever dieser Mann ist. Das liegt natürlich auch daran, dass ich mich nie wirklich mit ihm befasst habe. Jedenfalls verblüfft mich ungemein, wie eigenständig und hellsichtig sich der damals 24Jährige zu Museen und Galerien, ja zum Kunstbetrieb insgesamt äussert. Mit Labels wie „Protestsänger“, „Rock'n'Roll“ oder „Folkmusic“ kann er nichts anfangen. Er tut einfach, was er tut. „Ich schreibe, seit ich acht war. Ich spiele Gitarre, seit ich zehn war. Ich bin damit aufgewachsen, zu spielen und zu schreiben, was ich spielen und schreiben musste.“
Was denkt er über Politik, Hochschulen, Protestbewegungen und und und? Kaum ein Feld wird ausgelassen. Umso erfreulicher ist, dass es Dylan offenbar nicht drängt zu Allem eine Meinung zu haben. Doch die, die er hat, sind Ausdruck eigenständigen Denkens. Er selber hat das Studium abgebrochen, würde er anderen auch dazu raten? Nein, würde er nicht, doch „Ich würde ihm einfach das Studium nicht finanzieren.“ Hat er als Junge Präsident werden wollen? „Nein. Als ich ein Junge war, war Harry Truman Präsident. Und wer möchte schon Harry Truman sein?“
Berührend fand ich insbesondere, was er über sein Aufwachsen im nördlichen Minnesota sagte. „Im Winter war dort alles vollkommen still, nichts bewegte sich. Acht Monate lang.(...) Der ganze Mittlere Westen hat etwas stark Spirituelles, sehr subtil, sehr stark.“ Ich fühlte mich an Kathleen Norris' Dakota. A spiritual Geography sowie an Robert M. Pirsigs (in Zen und Die Kunst, ein Motorrad zu warten) Schilderung der Dakotas erinnert, die ihm deswegen speziell waren, weil sie nichts Besonderes versprachen und deshalb auch nichts einzulösen brauchten.
Selbstverständlich habe er ein Ziel und eine Mission, sagt Dylan und zitiert Henry Miller: „Die Rolle des Künstlers ist es, die Welt mit Desillusionierung zu impfen.“ Nicht alle Songs haben die Zeit gut überstanden, wie er auch selber meint.
Die einzigen wahren Spiegel seien Wasserpfützen, sagt er einmal. Und führt dann aus: „Ein Bild, das Sie in einer Wasserpfütze sehen, führt in die Tiefe. Ein Bild, das man beim Blick in ein Stück Glas sieht, hat keine Tiefe und keine lebendig gewellte Bewegung.“ Ich bin nur ich selbst, wer immer das ist enthält ganz viele solch smarter Aussagen. “Es geht nicht um die Songtexte. Die Leute denken das immer, und vielleicht geht es auf den Platten um die Texte, aber auf der Bühne sind nicht die Texte das Entscheidende, sondern alles läuft über die Phrasierung, die Dynamik und den Rhythmus.“ Wahre Worte!
Die Palette, über die sich Dylan in diesen Gesprächen auslässt, ist ungeheuer breit. Von Shakespeare zu Elvis, vom Lesen der Bibel zum Malen, von Hitler bis zu meiner Lieblingsantwort (auf die Frage, ob er glaube, was einige behaupteten, dass Jim Morrison in den Anden lebe): „Ich habe bisher nicht das Bedürfnis gehabt, mir dazu eine Meinung zu bilden ...“.
Das Ich-Jahrzehnt hat Tom Wolfe die 1970er Jahre genannt. Diese Ich-Zeit dauert nach wie vor an, alles wird in der heutigen Zeit personalisiert, auf sich selber bezogen. Welt- und lebensfremder geht kaum. Umso erfreulicher ist, dass Dylan davon wenig infiziert scheint. „Als 'Hound Dog' im Radio lief, war meine Reaktion nicht: 'Wow, was für ein toller Song, wer den wohl geschrieben hat?' Mir war im Grunde gleichgültig, wer ihn geschrieben hat. Es war egal. Er war einfach ... er war einfach da.“
Fazit: Grossartig! Eine überaus erhellende, anregende und sympathische Zeitreise!
Bob Dylan
Ich
bin nur ich selbst, wer immer das ist
Gespräche aus sechzig
Jahren
Kampa Verlag, Zürich 2021
Sunday, 21 September 2025
YELLOWFACE
Wednesday, 17 September 2025
Bruchstücke
Sunday, 14 September 2025
Der geträumte Norden
Wednesday, 10 September 2025
Literaturtipps für jeden Tag
Sunday, 7 September 2025
nietzsche global
Wednesday, 3 September 2025
Tausend Worte um ein Bild zu verstehen
Kaum war Saddam Hussein hingerichtet, waren auch schon Bilder seiner letzten Minuten zu sehen: zuerst die zensurierte Fassung, ohne Ton, im staatlichen irakischen Fernsehen, dann die unzensurierte, mit Ton, im Internet.
Als nach Ausstrahlung der Fernsehversion Stimmen laut wurden, die wissen wollten, es sei bei dieser Hinrichtung alles andere als anständig zugegangen — ganz so als ob der Tod durch den Strang anständig sein könnte — meldete sich der nationale irakische Sicherheitsberater und liess verlauten, Saddam Hussein sei vor, während und nach seiner Hinrichtung respektvoll behandelt worden — ganz so als ob jemanden zu hängen und Respekt so recht eigentlich zusammengehörten. Doch dann tauchten die Bilder, die einer der bei der Hinrichtung Anwesenden mit seinem Video-Handy aufgenommen hatte, im Internet auf und straften die Worte des nationalen irakischen Sicherheitsberaters Lügen, denn auf diesem Video war zu hören, wie Saddam Hussein beschimpft und verhöhnt wurde.
Die Reaktion der politisch Verantwortlichen war vorauszusehen: sie suchten nach demjenigen, der das Video gemacht hatte; die Reaktion der Massenmedien, vertreten durch CNN, war ebenso vorauszusehen: sie interviewten den nationalen irakischen Sicherheitsberater, der, wie ebenfalls vorauszusehen, auf keine der Fragen antwortete, sondern von Versöhnung etcetera schwafelte.
Sah man sich das Handy-Video im Internet an, war schnell einmal klar, dass es bei dieser Hinrichtung darum gegangen, worum es bei einer Hinrichtung immer geht: um Rache. Anders gesagt: hier konnte man sehen und hören, was Politiker und Massenmedien uns fast immer — es sei denn, es liesse sich propagandistisch ausschlachten — vorenthalten.
Die Massenmedien, so wird gemeinhin behauptet, hätten eine "gatekeeper"-Funktion, bestimmten also, was wir zu sehen und zu hören kriegen: unsere gefilterte Mediensicht der Dinge verdanken wir demnach — hoffentlich — verantwortungsbewussten und der Aufklärung verpflichteten Menschen, die in — häufig klimatisierten — Redaktionsstuben auf der ganzen Welt das sogenannte "agenda-setting" betreiben. Mit andern Worten: uns sagen, womit wir uns gefälligst zu befassen hätten. Und die Medienverantwortlichen sind sich einig, was unsere Aufmerksamkeit verdient: auf allen Kanälen werden, weltweit, dieselben Prioritäten gesetzt.
Vor dem Internet und den Handy-Videos galt für die Massenmedien, was der Schweizer Kabarettist César Kaiser einmal am Beispiel der Polizei illustrierte. Die Polizei sei ein enorm "Gruppen förderndes" Organ: entweder es bildeten sich Gruppen, weil sie auftauche oder sie tauche auf, weil sich Gruppen bildeten. Ähnliches liesse sich für die Medien sagen: sie tauchen auf, weil etwas vorgefallen ist oder es wird etwas inszeniert, weil die Medien auftauchen. Das gilt nach wie vor, doch es gilt heutzutage etwas weniger, weil, Dank der Technik, jeder und jede, hier und jetzt, zum Medienproduzenten werden kann. Mit anderen Worten: die "gatekeeper"-Funktion, und damit die Macht der traditionellen Nachrichten-Produzenten, scheint zunehmend in Auflösung begriffen.
Seit es das Internet gibt, können wir sehen, was wir sehen wollen. Also hauptsächlich Pornografie, nach wie vor der Motor des Internets, oder eben die Bilder von Saddams Hinrichtung, die wieder einmal eindrücklich gezeigt haben, wie leicht Bilder ohne Ton zu Propagandazwecken benutzt werden können.
Ein Foto, um verstanden zu werden, muss im Kontext gesehen werden. Wenn ich nicht weiss, wer Saddam Hussein ist, werden mir die paar verwackelten Videobilder nicht viel sagen. Wer ist der Mann also, was ist der Kontext? Nun ja, der Kontext ist immer konstruiert und abhängig davon, was die Menschen glauben: für seine Anhänger ist Saddam ein anderer als für seine Gegner. Jeder baut sich also seinen eigenen Kontext, ganz nach Belieben? Klar doch, obwohl: es gibt Fakten. Und diese sehen, im Falle von Saddams Hinrichtung, so aus, dass er verhöhnt und beschimpft wurde, als ihm der Strick um den Hals gelegt und er zu Tode gebracht wurde.
Pressefotos ohne Bildlegenden können nur schwer verstanden werden und so recht eigentlich ist der Begleittext zum Bild meist wesentlicher als das Bild selbst. Ein Beispiel: ein älterer Mann und eine ältere Frau sitzen sich an einem Tisch in einer Cafeteria gegenüber. Er liest die Zeitung, sie tunkt ein Hörnchen in ihre Kaffeetasse. Die Bildlegende sagt: eheliches Zusammensein nach zwanzig Jahren Verheiratetsein. Manche Verheiratete mögen jetzt denken: Ja, so isses; andere werden sagen: also nein, bei uns ist das überhaupt nicht so; und noch einmal andere werden womöglich einfach grinsen und hoffen, bei ihnen werde es mal nicht so weit kommen. Doch aufgepasst: das Foto zeigt nichts dergleichen, denn ein Foto kann das, was diese Bildlegende suggeriert, gar nicht zeigen. Was unsere Augen wahrnehmen und was der Text zum Bild sagt, dass wir sehen sollen, hat in diesem Fall — und in vielen anderen Fällen — überhaupt nichts miteinander zu tun. Es kann nämlich gut sein, dass der Mann und die Frau gar nicht verheiratet sind, und es kann ebenso gut sein, dass sie gerade bevor (oder nachdem) der Fotograf auf den Auslöser gedrückt hat, miteinander geredet haben. Mit anderen Worten: ein Bild sagt keineswegs mehr als tausend Worte, vielmehr brauchen wir tausend Worte, um überhaupt zu verstehen, was wir eigentlich anschauen — erst dann, wenn wir wissen, was wir vor Augen haben, kann uns ein Bild mehr als tausend Worte sagen.
Was für Fotos gilt, gilt ebenso für Videos — wir können nur sehen, was wir wissen. Weshalb wir denn auch immer auf die Geschichte zu den Bildern angewiesen sind. Und da es fast nie nur eine Geschichte, sondern meist mehrere — und möglicherweise voneinander abweichende — Geschichten zu einem Bild gibt, ist ein wirkliches Bilder-Verstehen nur möglich, wenn wir angemessen — also über verschiedene Kontexte — informiert sind.
Angesichts der Tatsache, dass das digitale Zeitalter, auch die Bildermanipulation, die es schon immer gab, leichter gemacht hat, erstaunt es nicht wenig, wie sehr wir Bildern vertrauen — wir halten Bilder grundsätzlich für wahr, so lange jedenfalls, bis jemand das Gegenteil beweist.
Doch wie kommt es eigentlich, dass wir Bildern mehr zu trauen scheinen als Worten? Möglicherweise, weil wir Lügen eher mit Worten und nicht so sehr mit Sehen verbinden. "Seeing is Believing" heisst es bekanntlich — auch wenn das Gegenteil oft genauso wahr ist, wir also vielfach sehen, was wir sehen wollen — und meint nicht zuletzt: man kann mir viel erzählen, doch glauben werde ich nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Dazu kommt, dass fotografische Evidenz bedeutet, dass das, was sich im Augenblick der Aufnahme dem Kameraauge präsentiert hat, auch so existiert hat. Man kann das Foto von einem Bleistift ganz verschieden interpretieren, je nachdem, welche Bedeutung man dem Bleistift beimisst, ob er in einer Kultur mehr oder weniger verbreitet ist, etcetera, etcetera, doch ein solches Foto wird generell als Beweis akzeptiert, dass dieser Bleistift so zur Zeit der Aufnahme existiert hat.
Je mehr die Bilder die Medienwelt dominieren, desto notwendiger wird es, sich mit der Sprache der Bilder beziehungsweise dem Bilder-Lesen auseinanderzusetzen. Das meint: Bilder gehören befragt. So zum Beispiel: Warum hat die kleine Kim Phuc auf dem berühmten Foto von Nick Ut aus dem Vietnamkrieg keine Kleider an? Der Bub neben ihr ist doch angezogen. Und warum rennen die Kinder und die Soldaten hinter ihnen nicht? Was ist überhaupt passiert? Und wo?
Solche Fragen stellen Kontext her und machen ein Bild erst verständlich, denn es sind die Informationen zum Bild (und nicht das Bild), die unsere Wahrnehmung bestimmen. Im Falle des Fotos von Nick Ut: Ein Flugzeug hatte gerade Napalm abgeworfen und der kleinen Kim Phuc die Kleider versengt. Mit dieser Information beginnen wir zu erahnen, was damals vorgefallen ist. Zudem: wenn wir jetzt noch erfahren, dass es sich um einen Akt von "friendly fire" handelte, "sehen" wir bereits wieder ein anderes Bild. Und mit jeder weiteren Frage wieder ein neues Bild beziehungsweise neue Bilder.
Und so gilt denn: Damit ein Bild uns mehr als die berühmten tausend Worte sagen kann, brauchen wir zuerst (fast) tausend Worte, die uns erklären, was wir vor Augen haben.
2007 © Hans Durrer / 2007 © Soundscapes
Sunday, 31 August 2025
Des Menschen Jahreszeit
Wednesday, 27 August 2025
Grosse Literatur im Detail
Sunday, 24 August 2025
See you later
Wednesday, 20 August 2025
On Propaganda
When Brian Eno first visited Russia, in 1986, he made friends with Sacha, a musician whose father had been Brezhnev's personal doctor: "One day we were talking about life during "the period of stagnation" — the Brezhnev era. "It must have been strange being so completely immersed in propaganda," I said. "Ah, but there is the difference. We knew it was propaganda," replied Sacha. "That is the difference. Russian propaganda was so obvious that most Russians were able to ignore it. They took it for granted that the government operated in its own interests and any message coming from it was probably slanted — and they discounted it."
Propaganda is a term not much in use nowadays for we associate it readily with a regime that has absolute power to get certain things propagated — or suppressed — by all media. To put it in a more "neutral" way: propaganda consists of a deliberate attempt at controlling, or altering, peoples attitudes, hoping that a predictable behaviorial change would take place — this can be done in a variety of ways: most recently, governments that were for going to war with Iraq resorted to — if we believe their critics — hyping-up, distorting, manipulating, ignoring, and so on, and so on, information until it was to their liking: attitudes, clearly, were shaken.
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