Wednesday 27 July 2022

Otl Aicher

Den Bezug, den man zu einem Buch hat, ist stets ein persönlicher. Mein Interesse an dem vorliegenden Band gründet sich einerseits in den genialen Piktogrammen (man verweile einmal etwas länger als üblich bei diesem wunderbar gelungenen Umschlagsbild), und andererseits im Untertitel Designer. Typograf. Denker., wobei mich speziell die Reihenfolge anspricht, denn das bewusste Denken folgt, jedenfalls gemäss der modernen Hirnforschung, dem Handeln nach. Daraus zu folgern, dass bewusstes Denken nichts anderes als Rationalisieren sei, wäre jedoch zu kurz gedacht, denn die bewusste Reflexion ist durchaus imstande unser Handeln zu beeinflussen, auch wenn das weit weniger oft vorkommt als wir gemeinhin annehmen.

Meine Beschäftigung mit diesem Werk hat mir vor allem gezeigt, dass ich nicht zum Zielpublikum gehöre, denn mir fehlt der erforderliche Hintergrund sowohl im Design wie auch in der Typografie. Und was das Denken anlangt, so lese ich, Otl Aicher sei von Wittgenstein beeinflusst gewesen. Dieser argumentierte nicht nur, dass worüber man nicht sprechen könne, man schweigen müsse, sondern legte auch Wert auf die Unterscheidung von Sagen und Zeigen„Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ Auch Wilhelm von Ockham, dessen Rasiermesserprinzip besagt, sich, vor die Auswahl einer unter mehreren unterschiedlich komplexen Hypothesen gestellt, für die Prüfung der einfachsten zu entscheiden, gehörte offenbar zu Aichers Einflüssen.

Ich blättere, bleibe bei einzelnen Bildern hängen, dann bei Textabschnitten, die auf prägende Einflüsse hinweisen, einordnen und bewerten. Ich kann da nur mit Wittgenstein sagen: „Es gibt Probleme, an die ich nie herankomme, die nicht in meiner Linie oder in meiner Welt liegen.“ Aichers visuelle Umsetzungen hingegen, etwa das visuelle Erscheinungsbild der Stadt Isny im Allgäu, faszinieren mich. Und genauso, dass er offenbar nicht zwischen Leben und Arbeiten unterschied sowie „ein äusserst integrer Mensch mit einem starken moralischen Kern“ war.

Zahlreiche Autoren haben zu diesem Band beigetragen. Sie äussern sich ausführlich und kenntnisreich über den Denker, den Lehrer, den Designer sowie über Olympia 1972. Ein Kapitel ist mit "Architekt. Fotograf. Typograf." überschrieben, ein weiteres handelt von den sehr berührenden Erinnerungen Norman Fosters an seinen Freund. "Er eröffnete neue Wege und ermutigte uns, unsere eigenen zu finden."

Von Norman Foster erfahre ich auch, dass er einen Monat vor Aichers Tod auf einmal das Bedürfnis hatte, ihn anzurufen. "Zu meiner Überraschung – er war häufig auf Reisen – war er zu Hause. 'Norman', sagte er, ' ich habe dich in Compton Bassett angerufen. Du gehst nie ans Telefon, ich wollte einfach nur deine Stimme hören.'" Foster steigt in den Flieger, sie treffen sich noch am selben Abend.

Wie erwähnt, fühle ich mich besonders von den Piktogrammen angezogen, denn darin manifestiert sich der Denker höchst überzeugend. Ein Piktogramm zu gestalten, bedeutet, eine Information auf das Wesentliche zu reduzieren. Das Individuelle hat dem Allgemein Verständlichen zu weichen. Piktogramme funktionieren Kultur-übergreifend und tragen weit mehr zur Verständigung bei als die üblichen Sonntagsreden.

Im Gegensatz zur Malerei, bei der der Maler aus dem Nichts ein Bild erschafft, ist das Bild bei der Fotografie bereits vorhanden und entsteht durch das Einrahmen des Fotografen. Fotografieren bedeutet hauptsächlich sehen. Otl Aicher hat "das gute Auge", was sich unter anderem darin ausdrückt, dass er die Ordnung in der Natur wahrnimmt. Eugen Gomringer kommentierte Aichlers Winterlandschaften so: "Die Landschaft, die so vermittelt wird, ist weder romantisch aufgemacht noch intellektualistisch verneint, sondern als Gewebe erkannt." Intellektualistisch verneint? Was für ein aufgeblasener Quatsch. Wie bei Bildern generell (und so recht eigentlich bei Allem, was uns unsere Augen präsentieren), so gilt auch hier: Just look and see.
  
Otl Aicher
Designer. Typograf. Denker.
Herausgegeben von Winfried Nerdinger und Wilhelm Vossenkuhl
in Zusammenarbeit mit Fritz Frenkler, Hannes Gumpp,
Hans Hermann Wetcke und der Technischen Universität München (TUM)
Prestel, München°London°New York 2022

Wednesday 20 July 2022

Moments in time - Marseille






Some fabric caught in wires in the sky above Marseille, France, on 2 May 2022. How the wind transformed this fabric from one moment to the next held me captive for quite some time. Nothing could illustrate better that everything is changing constantly.

Wednesday 13 July 2022

What pictures do not show

Photographs document reality, we tend to believe, although we know that this can hardly be the case for, to begin with, there are no smells and there are no sounds emanating from a picture. Photos are triggers at best, and they transport feelings.

When I spottend the two seagulls (in the the city of Porto, near the river) they were engaged in an animated conversation. And that is the reason why I am posting this shot – to remind me of their loud chatter that you cannot see but that, or something similar, you are now able to imagine.

This photo shows a part of the main door of a large, impressive house in Bever, Switzerland. To the left is a bench on which an old lady was sitting. It was the house of her parents, she said. I showed her the photograph, and she asked: Should I have closed the upper-half? No, no, I retorted, I took the picture because of it. She pointed to the snow covered nearby mountain, and said: This would be a nice photograph ...

Wednesday 6 July 2022

Zum Krieger werden

Als ich während eines Einsatzes als Therapeut einer Kollegin gegenüber wortreiche Ausführungen über meine Sicht der Dinge 'unseren' Patienten anlangend machte, sagte sie unvermittelt: Du bist eigentlich eher Philosoph als Therapeut. Sie hatte recht: Ich bin eindeutig lebensphilosophisch unterwegs, mit studierten Philosophen verbindet mich allerdings gar nichts. Für mich wesentlich ist die Grundeinstellung, der sogenannte mind-set, und das meint in meinem Falle, sich als Krieger zu verstehen, der alles im Leben als Herausforderung nimmt und sich voll und ganz dem stellt, was ihm zustösst, ohne Klage oder Bedauern. Sein Ziel ist es, nicht im Urteil der andern, sondern vor sich selbst zu bestehen. Es sei inspirierend, ein Krieger zu werden, schreibt Joseph Goldstein in The Experience of Insight, niemand sonst könne es für uns tun, wie alle müssen es selber tun. „Be aware, moment to moment, paying attention to what's happening in a total way. There's nothing mystical about it, it's so simple and direct and straightforward, but it takes doing,“

Wie ich zum Therapeuten geworden bin? Ich habe einfach beschlossen, einer zu sein. Klar, ich hatte schon Skrupel, und nicht zu wenig, glaubte, ich müsste zuerst eine entsprechende Qualifikation erwerben. Und so flog ich nach Minnesota, um mich im Hazelden Treatment Center über deren Counsellor-Ausbildung, die auf den 12-Schritten beruht, zu informieren.

Hazelden, da landeten die Berühmten, hatte ich gelesen. Auch von einem Priester hatte ich gehört, der von seinen Oberen dorthin geschickt worden war. Er erschien in Soutane, mit steifem Kragen, und erkundigte sich bei der Aufnahme, wie lange denn die Therapie dauere. Einen Monat, wurde ihm beschieden, worauf er sagte: Dann werde ich, schliesslich bin ich ein gebildeter Mann, es wohl in der Hälfte der Zeit schaffen. Und zur Antwort erhielt: Bei Ärzten, Anwälten und Priestern dauert die Behandlung in der Regel doppelt so lange wie üblich – ihre Egos sind schwieriger zu knacken.

Was meine Motivation sei, Therapeut werden zu wollen, fragt mich der Cheftherapeut. Mein Interesse gelte existenziellen Fragen, mich beschäftige, wie man leben solle, was ein gutes Leben sei. Da sei ich als Therapeut hier ganz falsch, denn da gehe es darum, die Leute wieder fit, also alltagstauglich zu machen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. sagt er. Ich kann kaum glauben, was ich da höre. Die Patienten wieder fit für unseren Wettbewerbs-Alltag und unsere Konsummentalität machen? Wirklich?! Nichts, dass der Sucht förderlicher wäre als der Imperativ unseres Konsumirrsinns: Mehr-Mehr-Mehr! 

Hans Durrer: Greogors Pläne, neobooks 2021