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Der radikale Relativismus sei empirisch falsch, schreibt Antweiler und bleibt den Nachweis, unter ausführlicher Bezugnahme auf Pullum und Malotki, nicht schuldig. Nur eben: ob wir genau so viele (oder wenige) Worte für Schnee haben wie die Eskimo oder ob bestimmte Worte (und Vorstellungen) in allen Sprachen vorkommen, sagt ja so recht eigentlich nur, dass wir von unseren Anlagen her uns ähnlicher sind als wir möglicherweise annehmen. Entscheidend ist jedoch nicht so sehr, was uns unsere Sprache potentiell auszudrücken erlaubt, sondern wie wir die Sprache in der Praxis benutzen. Anders gesagt: wir sind in stärkerem Masse durch das geprägt, was wir praktizieren als durch das, was wir potentiell können.
Was dieses Buch prägt, ist der Versuch durch einen, wie Antweiler sagt, "offeneren Vergleich" von Kulturen nach Gemeinsamkeiten statt nach Kontrasten zu suchen. Dabei ist er auf mannigfaltige Weise fündig geworden.
Hier ein paar Beispiele:
"Quer durch die Kulturen existiert die Idee, dass es Kulturprodukte gibt, die nicht nur nützlich, stabil, haltbar und dergleichen sind, sondern 'etwas mehr', eben ausser-gewöhnlich ... Unabhängig voneinander und jenseits der elaborierten Seminardebatten haben die Kulturen den Kern schon lange getroffen: Bei Kunst geht es darum, etwas so zu verändern, dass es zu etwas ganz Besonderem wird."
"Auch Kinder, die taubblind geboren wurden, also seit ihrer Geburt in ewiger Nacht und Stille leben, zeigen das ganze Spektrum der Mimik, obwohl sie es ja nie gesehen und erlernt haben können."
"Menschen in aller Welt finden Fotos spannend. Und im Widerspruch zu dem, was Ethnologen früher behauptet haben, kann jeder sie sofort interpretieren. Überall erzeugen sie Interesse, und die Menschen fragen nach. Vor allem wollen Menschen in allen Kulturen Bilder anschauen, auf denen Personen zu sehen sind."
Dass jeder Fotos sofort interpretieren kann, sicher, fragt sich nur wie, denn Interpretationen sind häufig kulturbedingt, ausser, und darauf kommt es Antweiler an, man fragt nach Grundlegendem, also zum Beispiel nach Emotionen:
"Also legt er jetzt eine ganze Palette von Gefühlsbildern hin und fragt: 'Welches Foto zeigt einen Menschen, dessen Kind gerade gestorben ist?' Oder: 'Wer ist hier der, der gerade ein verwesendes Wildschwein sieht?' Fazit: keine Unterschiede zu Chicago oder sonst wo auf der Welt."
Ich selber hätte bei der Frage nach dem verwesenden Wildschwein wohl passen müssen und bin erstaunt, dass man damit in Chicago offenbar keine Mühe hatte.
Summa summarum: Das genaue Hinschauen, das Antweiler vorführt, lohnt. Auch deswegen, weil es Überraschendes zutage fördert. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass "ja" und "nein" keine universalen Wörter sind?
Christoph Antweiler
Heimat Mensch
Was uns alle verbindet
Murmann Verlag, Hamburg 2009
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